Querdenker mit Einser-Durchschnitt – warum Zensuren der falsche Maßstab sind
„Vier in Mathe… geht nicht. Dreier-Abi…geht nicht”, akribisch geht der Personalsachbearbeiter die Bewerbungen auf die vakante Stelle durch. Immer im Hinterkopf, dass das Unternehmen selbstverständlich nur die Besten einstellt. Man ist ja schließlich Marktführer und nicht irgendein Hanswurst. Am Ende hat er einen Stapel für die „engere Wahl“. Richtig gute Abschlüsse haben die. Aber irgendwas fehlt. Niemand sticht heraus. Alles aalglatt. Ist denn gar kein bunter Vogel, gar kein Genie mehr unter den jungen Leuten heutzutage? Doch, sicher. Aber in dem anderen Stapel…
Wenn ich gute Noten will, kriege ich gute Noten
„Na gut, an irgendetwas muss ich mich ja orientieren”, denkt sich der Personaler. Und Zeugnisse scheinen dafür ein probates Mittel zu sein. Sie entscheiden erfahrungsgemäß darüber, ob du fit für die Versetzung bist. Sie ebnen dir den Weg in deine Wunschschule und zur Uni deiner Wahl. Oder eben auch nicht. So verwundert es nicht, dass auch Unternehmen sich auf diesen gängigen Leistungsanzeiger verlassen.
Sie wollen die Besten für ihr Unternehmen, suchen aber die mit den besten Noten. Und genau da beißt sich die Katze in den Schwanz. Wenn Unternehmen gute Noten wollen, dann bekommen sie normierte Menschen mit guten Noten. That’s it. Querdenker sehen anders aus. Denn eines ist klar: Einen Einser-Durchschnitt bekommst du in der Regel nicht, wenn du dich in deiner Schulzeit auch einmal rechts und links vom Wegesrand umgesehen hast, wenn du Neigungen gefolgt und zwischendurch auch einmal einen Umweg gefahren bist – einfach, weil die Gelegenheit so umwerfend war. Wenn du dich auf andere Impulse als die der Tests und Klassenarbeiten einlässt, dann wird am Ende kaum eine Eins herausspringen. Es sei denn, du bist der totale Überflieger.
Und wenn du sie dann hast, die Eins auf dem Zeugnis – was sagt die schon aus? Doch nichts weiter, als dass du ein konkretes Wissenspaket perfekt auswendig gelernt hast – entweder mit viel Fleiß oder auch mit wenig, je nach fachlicher Neigung. Über tatsächliche Fähigkeiten wie beispielsweise, ob du womöglich ein fantastisches räumliches Vorstellungsvermögen besitzt und wahre bauliche Meisterwerke zustande bringst, schweigen Zensuren sich in der Regel aus. Ebenso darüber, ob du vielleicht über zehn grüne Daumen verfügst und zu Hause ein eigenes Gewächshaus betreibst.
Und so hat der Kandidat mit dem Super-Zeugnis die Messlatte in Schule und Ausbildung zwar bravourös übersprungen. Bei all der Strebsamkeit bleiben jedoch möglicherweise die ureigene Bedürfnisse und Fähigkeiten auf der Strecke – einfach, weil es am Ausprobieren mangelt.
Raus aus dem Raster
Eine frustrierende Schere. Unternehmen wollen mutige Ideengeber, wählen aber das Raster so, dass genau diese keinen Eingang finden. Bewerber wiederum strecken sich nach perfekten Zeugnissen – wohlwissend, dass das den Einzug ins gelobte Land verspricht – anstatt sich wirklich zu entwickeln.
Um aus dieser frustrierenden Lage herauszukommen, braucht es Mut auf beiden Seiten. Zum einen müssen Unternehmen ihre aktuellen Bewertungsraster über Bord werfen und mutig der Zensuren-Gläubigkeit entsagen. Zensuren setzen Maßstäbe, die im Unternehmensalltag, bei wahrhaften Kundenproblemen, schlicht keine Rolle spielen. Zum anderen brauchen Bewerber Mut, um die Uniform abzulegen. Mut, die asphaltierten Wege zu verlassen und einen Schritt ins unwegsame Gelände zu wagen. Mut, die Kanten zu schärfen und auf Normen zu pfeifen. Möglicherweise gibt’s dann kein „A“ im Arbeitsverhalten, aber du weißt am Ende, was du kannst. Und fast noch wichtiger: Du weißt, wofür du dich ernsthaft engagieren willst. Von diesem Fokus profitieren beide Seiten.
Ehrlich und bunt – Matching in 3 Schritten
Okay, keine Zeugnisse. Ja, und was dann? Wie finden Unternehmen dann den Querdenker – den engagierten Mitarbeiter, der zu ihrem Unternehmen passt?
- Zunächst einmal: gut vernetzen. Das Unternehmen sollte gezielt und nachhaltig Kontakte zu den Kreisen aufbauen, die für das Unternehmen tatsächlich interessant sind.
- Orientieren am echten Bedarf: Unternehmen erwähnen in ihrer Ausschreibung am besten exakt das, worauf es tatsächlich ankommt. Soll der- oder diejenige wirklich ein glänzendes Abi vorweisen oder braucht der Gaming-Produzent nicht vielmehr jemanden, der sich bereits während der Schulzeit die Nächte um die Ohren gehauen hat? Vor der Konsole?
- Gemeinsamer Testlauf: Eine gute Möglichkeit, am Ende den passenden Mitarbeiter zu finden, ist das Probearbeiten. Ein Unternehmen, ein bis drei Mitarbeiter, ein echtes Kundenproblem. So finden beide Seiten am besten heraus, ob sie zueinander passen.
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„Noten/Benotung“ sind genauso sinnvoll und realistisch wie eine Luftgitarre.
Das kann man jetzt weiter ausführen und sehr viel dazu schreiben, muss man aber nicht.
Sehr interessant in diesem Zusammenhang auch die Print-Ausgabe von t3n, Nr. 44 (05/2016) mit der Titelzeile „Diplom? geschenkt!“.
Sehr guter Artikel, der es auf den Punkt bringt. Aber oftmals ist es vielleicht auch gut, wenn man nicht bei den Unternehmen landet, die stoisch hauptsächlich auf das Notenkriterium achten. Dort wird das Arbeiten vermutlich nicht angenehm sein, da sehr hierarchisch und in den höheren Positionen sitzen dann oft Leute, die etwas zu inkompetent für die Stelle sind und nicht wegen ihrer Arbeit aufsteigen sondern wegen den Sinnlosfakten Noten und Abschlüssen.
Ich bin zwar kein Personaler, aber ich kann öfters mal mitentscheiden im Einstellungsprozess. Und auch wenn ich die Zeugnisse einsehen kann, habe ich da noch nie drauf geschaut.