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Ratgeber

Lauter Schlaubi-Schlümpfe – warum Assessments am Ziel vorbeischießen

Assessments sollen den Besten ermitteln. Stattdessen züchten sie Einzelkämpfer und Schauspieler. Warum AC’s heute nichts mehr taugen.

Von Alexandra Vollmer
4 Min.
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Unter strenger Beobachtung: Assessments sollen den Besten ermitteln. Und schießen meilenweit daneben. (Photographee.eu/Shutterstock)

Ein Mitarbeiter hat gekündigt, und du musst kurzfristig Ersatz finden. Gleichzeitig musst du eine Präsentation für den Chef vorbereiten und dafür sorgen, dass eine verspätete Lieferung doch noch pünktlich ankommt. Und deine Frau ruft an und bittet dich, deinen Sohn in einer halben Stunde von der Kita abzuholen. Apropos Frau: Morgen ist Hochzeitstag, und du hast noch kein Geschenk…

Flucht oder Angriff

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Jeder, der schon mal ein Assessment mitgemacht hat, kennt sie, die klassische Postkorbübung. Der potentielle Arbeitnehmer muss unter erheblichem Zeitdruck zehn oder mehr Dokumente – zum Beispiel E-Mails mit zu erledigenden Aufgaben – sichten, priorisieren und gegebenenfalls delegieren. Dazu werden auch Störer wie Anrufe oder streitlustige Gesprächspartner eingebaut, um den Kandidaten zu verunsichern. So testet das Unternehmen, wie strukturiert und belastbar er unter hohem Stress arbeitet.

Daneben gibt es noch einen zweiten wichtigen Baustein: den Persönlichkeitstest. In Rollenspielen und Gruppendiskussionen soll der Bewerber zeigen, wie er tickt. Wie verhält er sich seinen Kollegen und Vorgesetzten gegenüber? Wie kommuniziert er unter Stress? Der Rat der Unternehmen, gelassen und authentisch zu bleiben, ist trügerisch. Denn das übliche Aktionsmuster, das ein Mensch in Stresssituationen zeigt, ist entweder Angriff oder Flucht. Beides wäre in einem solchen Forum unangebracht. Also geht das fröhliche Taktieren los. Jetzt verhalten sich alle Kandidaten bewusst sachlich, kooperativ. Sie schreiten voran, achten aber darauf, nicht zu forsch rüberzukommen. Sie zeigen Führungsstärke, holen aber schwächere Gruppenmitglieder empathisch mit ins Boot. Am Ende kristallisiert sich beim AC ein Sieger heraus. Ein Könner. Im Job? Nein, im AC…

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Bitte recht freundlich: Assessments fördern Manipulation und Schauspielerei. (lassedesignen/Shutterstock)

Streber honorieren

Heiko Fischer von der Managementberatung Resourceful Humans hält noch aus einem anderen Grund nichts vom Assessment. „Klassische Assessment Centers sind für Streber“, so Fischer. „Das klassische AC soll den Klassenbesten identifizieren. Die besten Chancen hat derjenige, der die Regeln des AC nutzt, um sich bestmöglich zu präsentieren. Das bedeutet nichts anderes, als das hier Einzelkämpfer aufs Siegertreppchen kommen. Klar, man kann sich als Teamplayer profilieren, aber eben nur, um am Ende als Individuum zu glänzen.“

Diese Denke kommt aus der Top-Down-Schule des Management. „Was vernetzte Organisationen heute jedoch brauchen, sind keine ‚Schlaubi-Schlümpfe‘, sondern kritische Geister. Menschen, die Dinge mutig in Frage stellen und als Teil eines Teams schnell Antworten erarbeiten. Menschen, die mehr an den Erfolg der anderen denken, als an sich selbst“, ist Fischer überzeugt. „Solche Menschen findest du niemals im klassischen AC.“

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Reiner Selbstschutz

Wenn das so ist, wenn nach Strich und Faden manipuliert wird. Wenn am Ende Einzelkämpfer auf den Thron kommen, die den Herausforderungen des unternehmerischen Alltags gar nicht gerecht werden. Nicht gerecht werden können. Warum sind dann Assessments nach wie vor weit verbreitet? Laut einer Umfrage nutzen immerhin ein Drittel der Unternehmen das Assessment zur Bewerberauswahl. Damit rangiert es auf Rang vier und liegt einen Platz hinter dem strukturierten Interview. Die Antwort ist erschreckend einfach: Die Unternehmen fliehen ins AC.

Vor allem zwei Gründe sorgen dafür, dass Unternehmen auf derartige Tests setzen:

  1. Schutz vor Angriffen: Durch vermeintlich objektive Auswahlverfahren schützen sich Unternehmen vor späteren Angriffen, vor allem in Punkto Diskriminierung. Denn leicht kann nachgewiesen werden, dass die Auswahl allein aufgrund fachlicher und sozialer Kompetenzen erfolgt ist und im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gehandelt wurde.
  2. Filter: Wenn ein Unternehmen tausende von Bewerbungen für nur wenige Trainee-Stellen erhält, sind Assessment Center zum Teil reine Notwehr.

Echt ist besser

Warum im Fake bewerten? Anstatt auf Rollenspiele und Simulationen als Bewertungsmaßstab zu setzen, sollten Unternehmen besser auf echte Auseinandersetzung mit zukünftigen Mitarbeitern setzen. Ein bis zwei Probetage sind für beide Seiten um Welten aussagekräftiger als jede abstrahierte Wettbewerbssituation. In echten Arbeitssituationen können beide Seiten erleben, wie sich eine Zusammenarbeit anfühlt. Ganz realistisch. Denn Schauspielerei lässt sich in einem echten Team, bei einem realen Kundenproblem nicht lange durchhalten.

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Heiko Fischer erlebt in seiner Beratungstätigkeit immer wieder Unternehmen, die sich bewusst von AC’s verabschieden: „In der durch Scrum und durch agile Methoden geprägten Videospiel-Industrie wurden AC‘s schon vor langer Zeit auf dem Friedhof veralteter Instrumente begraben. Dort heißt es: ‚Talk is cheap, show me the code‘. Anstatt abstrakter Übungen werden dort mehrere Kandidaten eingeladen, um direkt für ein bis zwei Tage in operativen Teams mitzuarbeiten. Sämtliche Beteiligte lernen sich über die Realität kennen“, sieht Fischer, der sich in seiner Firma gern als „Chief Troublemaker“ sieht, das klare Plus dieses Vorgehens. „Am Ende gibt es keine Top-Down-Bewertung, sondern vielmehr einen offenen Dialog auf Augenhöhe: Passt es fachlich und menschlich? Ein solcher Ansatz behandelt Menschen wie Erwachsene und nicht wie Kandidaten.“

Und wie sind jetzt diese, sagen wir, zwei bis drei Kandidaten zu finden? Aus 1.500 Bewerbungen via Stellenanzeige ist das kaum zu leisten. Besser das Unternehmen baut sich ein Netzwerk auf und akquiriert potenzielle Mitarbeiter in einem laufenden Prozess. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen gleich mit den Richtigen ins Gespräch kommen, um Welten größer.

Mehr zum Thema: „Verkaufen statt Bewerben“ und „Mitarbeiter für die Ersatzbank

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