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Braucht Europa eigene Plattformen?

Eine europäische Kommunikations- und Contentplattform könnte den Austausch zwischen den Bürgern fördern. Warum mehr Kommunikation in Europa wichtig ist und was die Herausforderungen sind.

Von Luca Caracciolo
7 Min.
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(Grafik: t3n)

Es klingt absurd, nicht realisierbar, abwegig und naiv. Eine europäische Kommunikationsplattform bauen – ernsthaft? Nicht nur, dass die Distribution von Inhalten im Netz gelöst ist. Allein die Netzwerkeffekte globaler Plattformen wie Facebook, Whatsapp oder Instagram zu erreichen, gilt heute als so gut wie unmöglich. Es gibt deshalb eine Liste voller Gründe, warum ein solches Vorhaben nur scheitern kann. Und die wichtigste Frage: Warum gerade jetzt?

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In Zeiten aber, in denen mit Facebook die größte soziale Plattform der Welt wankt und ihre ohnehin eher schlecht ausgefüllte öffentlichkeitsbildende Funktion verliert, stellt sich zunehmend die Frage, wo im Netz eigentlich noch ein funktionierender Begegnungsraum vorhanden ist, in der sich die Gesellschaft zum Gespräch einfindet. Dass ein solcher Raum privatwirtschaftlich organisiert mehr oder weniger gescheitert ist, zeigt nicht zuletzt die Facebook-Krise und der angekündigte Pivot des Konzerns, die Kommunikation in Zukunft verstärkt ins Private – also in geschlossene Gruppen – zu verlagern. Aber heißt das jetzt, dass das soziale Experiment im Netz im Sinne einer digitalen Öffentlichkeit gescheitert ist?

Bürokratiemonster statt Identifikationsfigur

Gleichzeitig hat Europa noch immer das Problem, dass sich seine Bürger nicht als Gemeinschaft verstehen. Europa ist abstrakt und wird von seinen Bewohnern meist als bürokratisches, weit entferntes Gebilde erlebt – eine komplexe Institution, die in Brüssel und Straßburg Entscheidungen trifft. Es gibt kaum ein kollektives Gefühl der Zusammengehörigkeit. Gemeinschaftsgefühl entsteht aber nur durch gemeinsame Kommunikation – wenn die fehlt, mißlingt auch die Identifikation mit einer Idee.

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Das zeigt sich beispielhaft daran, dass die Idee der vereinigten Staaten von Europa laut einer Yougov-Umfrage von Ende 2017 nur von jedem dritten Deutschen (30 Prozent) unterstützt wird. Bei den Franzosen sind es 28 Prozent. Im Vergleich dazu sind die Befragten der anderen Länder sogar noch weniger offen. In den skandinavischen Ländern nur jeder Achte (12 bis 13 Prozent) und in Großbritannien sogar nur jeder Zehnte. In einer Studie vom Pew Research Center von diesem Jahr bejahten 49 Prozent der Deutschen die Aussage, dass die EU die Bedürfnisse ihrer Bürger nicht verstehe. In Frankreich waren es sogar 65 Prozent.

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Hinzu kommt, dass außereuropäische Identitätsangebote aus anderen Kontinenten diese Lücke zunehmend füllen. Der durchschlagende Erfolg etwa von Streaming-Angeboten wie Netflix oder Amazon Prime auch in Europa jedenfalls zeugt von einer zunehmenden US-amerikanischen Dominanz der Kulturproduktion. Laut einer kürzlich durchgeführten Yougov-Studie gaben 33 Prozent der 18- bis 34-Jährigen an, mindestens einmal pro Woche Netflix zu nutzen. 2015 waren es nur knapp drei Prozent. Wie soll sich ein europäisches Gemeinschaftsgefühl ausbilden, wenn sich die jungen Generationen immer stärker auf Erzählungen aus den USA beziehen?

Kaum Gemeinschaftsgefühl, keine gemeinsamen Kommunikationsräume, kaum gemeinsame kulturelle Angebote – wie soll ein starkes Europa entstehen, wenn schlicht die Basis dafür fehlt?

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Mit neuen Technologien zu mehr Europa

Ein großes Problem für die Schaffung einer europäischen Öffentlichkeit ist die fehlende gemeinsame Sprachbasis. Europa ist ein sprachlicher Flickenteppich, es gibt 24 offizielle Amtssprachen, hinzu kommen noch deutlich mehr gesprochene Sprachen, von Dialekten gar nicht erst zu reden. Und obwohl es mit dem Internet ein supranationales Medium gäbe, auf europäischer Ebene viel stärker miteinander ins Gespräch zu kommen – etwa nationale Debatten in Zeitungen und Zeitschriften in ganz Europa sichtbar zu machen –, scheitert es schlicht an der Sprachbarriere. Es klingt profan, aber es kann keine europäische Öffentlichkeit entstehen, wenn es keine gemeinsame Sprache gibt.

(Grafik: t3n)

Vielleicht kann Technologie bei der Übersetzung helfen. Denn eine einzige offizielle Amtssprache einzuführen, dürfte vermutlich nicht wirklich helfen – zu unterschiedlich sind die europäischen Kultur- und Sprachräume. Wenn es aber möglich wäre, Inhalte in Echtzeit zu übersetzen, wäre das Problem der Sprachbarriere beseitigt. Künstliche Intelligenz und vor allem neuere Ansätze wie Deep Learning haben die Sprachübersetzung in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht, in Deutschland gibt es mit DeepL sogar einen Pionier in der Materie, der dem Branchenführer Google das Wasser reichen kann.

Wolfgang Blau, Auslandschef von Condé Nast, hat sich auf einer EU-Konferenz im vergangenen Jahr in Wien für eine solche Sprach-Schnittstelle ausgesprochen, die mithilfe von Machine Learning Echtzeit-Übersetzungen liefert: „Egal, ob in Kroatien oder Österreich: Gäbe es die Möglichkeit, (…) zum Beispiel auch journalistische Inhalte sofort in alle Sprachen Europas automatisch zu übersetzen, würde das ganz neue Möglichkeiten eröffnen und auch der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit helfen.“

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Wer die gleiche Sprache spricht, kann relativ unkompliziert miteinander ins Gespräch kommen – fehlt eigentlich nur noch der Begegnungsraum: eine eigene europäische Kommunikationsplattform. Es ist die vielleicht heikelste Frage, denn niemand traut sich ernsthaft an ein europäisches Facebook heran.

Eine europäische Plattform – jetzt echt?

Vielleicht muss eine europäische Kommuikationsplattform aber von einer anderen Perspektive aus gedacht werden und an ein Konstrukt ansetzen, das es längst gibt: die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender. Der ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayrischen Rundfunks Ullrich Wilhelm wirbt für ein europäisches Youtube – „mit Elementen von Facebook für den direkten Austausch mit den Nutzern sowie einer guten Suchfunktion – also ein Angebot, das von Youtube, Facebook und Google gelernt hat, aber auf europäischen Idealen von Vielfalt, Qualität und Offenheit aufbaut“, erklärt Wilhelm in einem Handelsblatt-Interview aus dem vergangenen Jahr. Wenn Algorithmen US-amerikanischer Unternehmen darüber entscheiden, welche Inhalte relevant sind, dann kratze das an der Souveränität der europäischen Staaten. „Europa ist in Gefahr, die digitale Hoheit über seine prägenden Werte zu verlieren“, so Wilhelm.

Bei solch einer Medienplattform müssen die anderen aber mitspielen – in Deutschland allen voran das ZDF. Dort ist man zurückhaltender, ZDF-Chef Thomas Bellut schlägt eine gegenseitige Verlinkung der Mediatheken vor. Die Idee dahinter: Inhalte aus der ZDF-Mediathek verlinken auf die ARD-Mediathek und umgekehrt. Im Idealfall gibt es auch ein Single-Sign-On, also die einmalige Anmeldung für alle Mediatheken.

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Für den Organisationsforscher Leonhard Dobusch ist ein solches Konstrukt nur logisch. „Die meisten Nutzer schauen heute nicht mehr nach Fernsehsender, sondern nach Sendungen“, sagt er. Zu oft suchten Zuschauer nach dem Tatort in der ZDF-Mediathek und werden nicht fündig. Wenn die Onlineangebote der Sender erstmal beginnen würden, sich gegenseitig zu verlinken, dann werden sie merken, wie sie profitieren. „Dann kann etwas entstehen“, glaubt Dobusch. Vor allem auch, wenn eine engere Kooperation sogar auf einer europäischen Ebene ansetzt. Eine Institution dafür gibt es jedenfalls schon: die Europäische Rundfunkunion, ein Zusammenschluss von derzeit 72 Rundfunkanstalten in 56 Staaten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens mit Sitz in Genf.

Auf Basis einer europäischen Medien-Plattform etwa ließen sich dann auch einfache soziale Funktionen umsetzen. „Warum nicht Nutzer erlauben, Playlists zu erstellen und mit anderen zu teilen?“, fragt Dobusch. Solche Funktionen begründen jetzt zwar keine klassische Social-Media-Plattform, aber sie wären immerhin ein Anfang.

Mehr Social für die Europäer

Der politischen Berater Johannes Hillje denkt einen Schritt weiter und reduziert den europäischen Plattformgedanken nicht allein auf Medieninhalte. Er fordert ein eigenständiges europäischen Kommunikationsraum im Digitalen: „Dort können wir dann auch Kommunikation und politische Debatte eher nach demokratischen Regeln organisieren und müssen nicht allein nach ökonomischen Prämissen verfahren, so wie das die privaten Plattformen heute tun.“

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Hillje hat bei der letzten Europawahl 2014 für die Grünen den Wahlkampf mit organisiert. Als TV-Duelle mit europäischen Spitzenkandidaten im Stile eines Wahlkampf-Duells im Vorfeld einer Bundestagswahl durchgeführt werden sollten, interessierte sich fast niemand dafür. „Einige der Kandidaten wollten nicht mal englisch sprechen“, erzählt Hillje. Die Folge: 28 Selbstgespräche auf nationaler Ebene und kein echter europäischer Wahlkampf.

„Vielleicht braucht es eine Art CTO für Europa, der mit einer anderen Perspektive auf diese Fragen blickt als Ministerialbeamte das je könnten.“

In seinem kürzlich erschienen Buch „Plattform Europa“ formuliert er deshalb vier Forderungen: ein europäisches Nachrichtenangebot, das möglichst über „Euronews“ hinausgeht, ein europäisches Unterhaltungs- und Kulturangebot – mit einem „House of Cards“ aus Europa –, Angebote und Tools für die politische Partizipation und schließlich Apps, die die europäische Integration im Alltag Realität werden lassen – wie zum Beispiel ein europäisches Jobportal, das möglichst in einer Sprache Jobangebote etwa für junge Menschen zusammenfasst oder auch europäische Coworking-Spaces auflistet. Nichts, was es in Ansätzen nicht schon gibt – aber eine stringentere Umsetzung unter Einbeziehung der zukünftigen Nutzer sei ein möglicher Weg, Dienste zu entwicklen, die dann auch wirklich genutzt werden. „Es geht hier nicht darum, eine europäische Kopie von Facebook zu entwickeln“, sagt Hillje. Vielmehr plädiert er für ein Nebeneinander zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Angeboten im Netz – ganz ähnlich wie beim Rundfunk.

Ein CTO für Europa?

Die größte Herausforderungen liegt aber vermutlich gar nicht so sehr an fehlenden Ideen, sondern an der möglichen Umsetzung. Selbst wenn die EU die Einnahmen aus einer noch zu beschließenden europäischen Digitalsteuer, die im Jahr circa vier bis fünf Milliarden Euro einbringen könnte, dafür einsetzt: Wer entwickelt ein User-Interface, das nutzerzentriert ist? Wer baut wie die technischen Systeme? Wie motiviert man europäische Nutzer, solche Kommunikationsangebote auch wirklich zu nutzen? Wie sehen sie letztlich konkret aus? Wer übernimmt die Trägerschaft für solche Angebote, die möglichst staatsfern sein sollte?

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Vielleicht braucht es eine Art CTO für Europa, der mit einer anderen Perspektive auf diese Fragen blickt als Ministerialbeamte das je könnten. Jemand, der Erfahrung hat im Aufbau solcher Plattformen und darum weiß, was die kritischen Herausforderungen sind. Und grundsätzlich versteht, dass gute Ideen nicht automatisch bedeuten, dass am Ende auch ein gutes Produkt entsteht. Es geht ja nicht darum, Youtube oder Facebook niederzuringen, sondern alternative europäische Angebote im Netz zu etablieren. Aber selbst solche Angebote müssen ein Mindestmaß an Benutzbarkeit gewährleisten und eine Dynamik entwickeln, die ihre Nutzer davon überzeugt, sie regelmäßig zu nutzen.

Die digitale Gesellschaft braucht digitale Räume zur Meinungsbildung und zum Austausch – am besten gleich auf europäischer Ebene, um Angebote für eine stärkeres europäisches Gemeinschaftsgefühl zu bieten. Die Technologie ist ja da, jetzt muss es darum gehen, sie geschickt in die richtige Richtung zu entwickeln und die Bürger als Nutzer nicht zu vergessen. Denn ohne sie und ihren Sinn für eine kontinentale Gemeinschaft ist Europa kaum zukunftsfähig.

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Kommentare (1)

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icu

Braucht Europa eine Plattform? Nö.
Was Europa braucht sind einheitliche Schnittstellen für verschiedene Arten von „Plattformen“.
Bei Telefon, E-Mail und MMS/SMS geht es ja, dass ich unabhängig vom Provider meine Kommunikationsgegenstelle erreiche oder Inhalte teile.
Ja, und warum sollte man die Inhalte von verschiedenen Plattformen, z. B. Video oder Musik, nicht gegenseitig vernetzen? Wie im Artikel schon geschrieben, der Konsument sucht nach einem bestimmten Film oder eine bestimmten Band, da sollte es doch egal sein, auf welcher Plattform der Film gerade verfügbar ist oder welche Dienst das aktuelle Album im Angebot hat.

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