Damals schien die Sache endgültig abgeschlossen. Beton füllte den Bohrschacht bis in mehrere Hundert Meter Tiefe, darauf kam ein aufgeschweißter Stahldeckel, darauf noch einmal 50 Zentimeter Beton, darauf wiederum eine zwei Meter dicke Schicht aus Erde und Kies. Zurück blieben eine unscheinbare planierte Fläche – und, 630 bis 650 Meter tiefer, gut 67 000 Tonnen flüssiges Kohlendioxid, gefangen in porösen Sandsteinschichten.
Hier, im brandenburgischen Ketzin, fand von 2004 bis 2017 das erste Forschungsprojekt zur unterirdischen Speicherung von CO2 auf dem europäischen Festland statt. Es stand einmal für eine große Hoffnung: Wenn man das Kohlendioxid aus Kraftwerksschloten abfängt und in den Untergrund verpresst (Carbon Capture and Storage, CCS), ließen sich Klima und Kohle miteinander versöhnen.
Doch welcher Anwohner will schon auf einem riesigen unterirdischen CO2-See sitzen? Richtig: keiner. Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung fürchtete eine zweite Endlagerdebatte und verbot 2012 die kommerzielle CO2-Deponierung. Nur Forschung war noch erlaubt.
Stimmungswechsel
Mittlerweile bröckelt der Widerstand. Ausgerechnet Robert Habeck, damals als Umweltminister von Schleswig-Holstein einer der größten Gegner des Verfahrens, sagte Anfang 2023: „Lieber CO2 in der Erde als in der Luft.“ Mittlerweile legte die Bundesregierung eine „Carbon-Management-Strategie“vor, die CO2-Deponien wieder erlauben wird.
Der zentrale Grund für diesen Meinungswechsel: Es geht offenbar nicht mehr anders. Deutschland hat seine Klimaziele mittlerweile verschärft, bis 2045 will es komplett klimaneutral sein – ist jedoch laut aktuellem Projektionsbericht des Umweltbundesamtes nicht auf dem Weg, diese Vorgabe zu erreichen. Nimmt man das Ziel aber weiterhin ernst, muss man sich auch für „schwer zu vermeidende Restemissionen“ – zum Beispiel aus Biogaskraftwerken, Müllverbrennung, Landwirtschaft oder aus der Stahl- und Zementherstellung – etwas einfallen lassen. Die meisten Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland halten negative Emissionen deshalb für unverzichtbar.
Erschwerend kommt hinzu: Trotz jahrzehntelanger Klimadiplomatie, trotz Corona, trotz Ausbau der Erneuerbaren, trotz zunehmend spürbarer Wetterextreme ist der weltweite Treibhausgas-Ausstoß nicht nur nicht gesunken, sondern sogar weiter angestiegen. Nach einem kurzen pandemiebedingten Einbruch hat er 2022 einen neuen Rekordwert von rund 37 Gigatonnen erreicht. Der Versuch, die Erderwärmung durch Einsparungen auf 1,5 Grad zu begrenzen, darf wohl als gescheitert gelten.
Der Weltklimarat IPCC sieht kaum noch Alternativen dazu, Treibhausgase aus der Atmosphäre zu ziehen – und zwar zusätzlich zu „tiefgreifenden, raschen und nachhaltigen Emissionsreduzierungen“, wie es im Bericht von 2023 heißt. Wenn entsprechende Verfahren „in einem Umfang eingesetzt werden, der die jährlichen Restemissionen übertrifft“, ließen sich auch „negative Netto-Emissionen“ erreichen.
Budget überziehen
Der letzte Satz klingt hoffnungsvoll, ist aber eigentlich ein Ausdruck nackter Verzweiflung. Denn er bedeutet: Wenn wir es nicht schaffen, unsere Emissionen ausreichend zu senken, müssen wir später umso mehr zurückholen. Silke Beck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung wirft dem IPCC vor, damit ein „politisches Tabu“ gebrochen zu haben: „Während er in früheren Berichten davor gewarnt hat, dass bestimmte ,gefährliche‘ Grenzen wie das 2-Grad-Ziel nicht überschritten werden dürfen, geht er heute davon aus, dass die Menschheit ihren bereits in Anspruch genommenen Kredit beim CO2-Budget überziehen und dann in der Zukunft mit Zinsen zurückzahlen kann“, schreibt sie in einem Online-Kommentar. Das heiße: „Die Verantwortung, Emissionen zu reduzieren, wird von gegenwärtigen auf zukünftige Generationen übertragen.“
Kritiker hielten die CO2-Rückholung immer schon für eine Entschuldigung, bequem weiter so wirtschaften zu dürfen wie bisher. Die Ingenieure werden sich schon was einfallen lassen – wozu also den eigenen Lebensstil ändern? Die Frage ist aber: Was kann CCS zur nötigen Emissionsreduzierung wirklich beitragen? Sprechen wir von substanziellen Mengen oder eher von Tropfen auf dem heißen Stein?
„CCS wird nie eine Alternative zur Emissionsminderung sein“, sagt etwa Jutta Paulus, Europaabgeordnete der Grünen. Und Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, sekundiert: „CCS ist kein Allheilmittel für den Klimaschutz.“
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