„Unser Körper ist Gott“: Kann KI uns ewige Langlebigkeit schenken? Multimillionär startet Religion

Bryan Johnson hat es sich zur großen Aufgabe gemacht, niemals zu sterben. Der 47-jährige Multimillionär und Risikokapitalgeber hat unter seinem persönlichen Slogan „Don’t Die“ bereits Veranstaltungen, Merchandising-Artikel und eine Netflix-Dokumentation aufgezogen. Nicht zuletzt ist er mit seinem Unternehmen Blueprint und dem Vertrieb seines „Longevity Mix“ umstritten. Jetzt gründet er auch noch eine Religion namens „Don’t die“.
Johnson, der laut eigener Aussage bereits Millionen US-Dollar für Körperscans, Tests, Nahrungsergänzungsmittel und einen Lebensstil ausgibt, der den Alterungsprozess verlangsamen oder gar umkehren soll, erhält stets eine umfangreiche Medienberichterstattung und hat sich eine große Fangemeinde in den sozialen Medien aufgebaut. Für viele Menschen ist er außerdem zum Gesicht einer Langlebigkeitsbewegung geworden, die sich nicht scheut, Experimente zu wagen.
Kein Plastik für Mr. Langlebigkeit
Ende April traf die US-Ausgabe von MIT Technology Review Johnson bei einer Veranstaltung für Menschen, die sich für sein Herzensthema interessieren, im kalifornischen Berkeley. Es gab ein Gespräch nach dem Mittagessen am Rande der Veranstaltung – die Reporterin hatte Plastikbox mit Essen, Johnson hatte eine scheinbar plastikfreie, kompostierbare Box mit Hähnchen und Gemüse. Seine makellose Haltung wurde von einem neutralen Gesichtsausdruck ergänzt.
Am Morgen hatte Johnson, in abgetragenen Turnschuhen und einem Hoodie, der mit Sicherheit extrem teuer war, dem Publikum von dem erzählt, was er für das Ende der Menschheit hält. Konkret machte er sich massive Sorgen um KI – nämlich, dass wir vor einem „Ereignishorizont“ stehen, einem Punkt, an dem eine Superintelligenz sich dem menschlichen Verständnis und der menschlichen Kontrolle entzieht. Daher war er auch nach Berkeley gekommen, um Menschen, die sich für Langlebigkeit interessieren, davon zu überzeugen, ihre Bemühungen auf KI zu konzentrieren.
KI soll menschliche Existenz sicherstellen
Es ist diese besondere Sorge, die letztlich die Mission seiner neuen „Don’t Die“-Religion untermauert. Zunächst müssten die Menschen deren Ideologie verinnerlichen, sagt er. Dann müssen sie sicherstellen, dass KI auf die Erhaltung der menschlichen Existenz ausgerichtet ist. Aber ohne KI, sagt er, würde er keine seiner Aktivitäten und Maßnahmen gegen den Tod durchführen können. „Ich bin überzeugt, dass wir uns als Spezies in einer existenziellen Phase befinden.“ Ironischerweise war Johnson selbst schon einmal Mitglied einer Sekte, jener der Mormonen, die in Utah, wo er herkommt, weitverbreitet ist. Inzwischen ist er allerdings ausgetreten. Die Lösung des Problems des Alterns werde noch Jahrzehnte dauern, sagt er. Das Problem: Wir würden nur so lange überleben, wenn wir sicherstellen, dass KI auf das Überleben der Menschheit ausgerichtet ist.
Das folgende Interview wurde zur Verständlichkeit gekürzt.
MIT Technology Review (TR): Herr Johnson, warum gründen Sie eine neue Religion?
Bryan Johnson: Wir befinden uns in einer neuen Phase, in der wir aufgrund der Fortschritte in der KI dabei sind, neu zu definieren, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Das erfordert eine neue Form von Vorstellungskraft, Kreativität und Aufgeschlossenheit, und das ist eine große Herausforderung. Diese Diskussion nur als Gemeinschaft oder als einen Lebensstil anzugehen, hat nicht genug Gewicht und Kraft. Religionen haben sich dagegen in den letzten Jahrtausenden als die wohl wirksamste Form erwiesen, um menschliche Bestrebungen zu organisieren. Es ist einfach eine bewährte Methode.
TR: Wie gründet man eine neue Religion denn?
Johnson: Das ist eine gute Frage. Wenn man sich historische Beispiele ansieht, hat Buddha zum Beispiel einen Prozess der Selbstfindung durchlaufen und daraus ein Rahmenwerk entwickelt. Und Mohammed hatte seine Geschichte, Jesus seine Herkunft. Man könnte sogar sagen, dass Satoshi [Nakamoto, der noch immer unbekannte Schöpfer von Bitcoin] wie der Gründer einer modernen Religion agierte, die mit dem Bitcoin-Whitepaper ins Leben gerufen wurde. Adam Smith hat mit seinem Buch [Wealth of Nations] den Kapitalismus ins Leben gerufen. Die Frage ist: Was ist eine moderne Religion und wie überzeugt sie Menschen? Das ist für mich eine offene Frage. Ich weiß es noch nicht.
TR: Ihr Ziel ist es, KI mit der „Don’t Die“-Bewegung in Einklang zu bringen – oder, mit anderen Worten, sicherzustellen, dass KI-Modelle menschliches Leben priorisieren und schützen. Wie wollen Sie das erreichen?
Johnson: Ich spreche mit vielen KI-Forschern darüber. KI-Systeme könnten mit Werten zur Konfliktlösung ausgestattet werden, die nicht zum Tod eines Menschen führen. Oder einer anderen KI. Oder des Planeten.
TR: Würden Sie sagen, dass „Don’t Die“ schon jetzt Ihre Religion ist?
Johnson: Nein, ich denke, es ist die Religion der Menschheit. Sie unterscheidet sich von anderen Religionen, die sehr auf ihren Gründer ausgerichtet sind. Ich denke, dass sie dezentralisiert sein muss und etwas, das sich jeder zu eigen machen kann.
„Wir spielen mit der Idee, dass der Körper Gott ist“
TR: Es gibt dabei also keinen Gott?
Johnson: Wir spielen mit der Idee, dass der Körper Gott ist. Wir haben mit dem Format einer „Don’t Die“-Familie experimentiert, bei der sich acht bis zwölf Personen wöchentlich treffen. Es ist an andere Gruppen wie die Anonymen Alkoholiker angelehnt. Wir haben ein Eröffnungsritual. Wir haben ein Mantra. Und dann gibt es einen Teil, in dem sich die Menschen bei ihrem Körper für etwas entschuldigen, das sie ihm angetan haben und das ihnen selbst Schaden zugefügt hat.
Das verändert unsere Beziehung zu unserem Körper und unserem Geist. Es ist auch eine Möglichkeit für Menschen, enge Freundschaften zu schließen, emotional sensible Themen zu erörtern und sich gegenseitig bei der gesunden Praxis zu unterstützen.
Was ich eigentlich sagen will, ist dies: Das Leben ist die Tugend. Das Leben ist das Ziel. Wenn jemand an Gott glaubt, ist das in Ordnung. Man kann Christ sein und das machen, man kann Muslim sein und das machen. „Don’t Die“ ist ein „Ja, und…“ für alle Gruppierungen.
TR: Es ist also eine andere Art, über Religion nachzudenken?
Johnson: Ja. Derzeit hat Religion nicht mehr den höchsten Stellenwert in der Gesellschaft. Viele Menschen schauen in gewisser Weise auf sie herab. Ich denke, dass die Weiterentwicklung der KI zusätzliche Fragen darüber aufwerfen wird, wer wir sind: Was ist unsere Identität? Was glauben wir über unsere Existenz in der Zukunft? Die Menschen werden wieder nach einem Rahmenkonstrukt suchen, das ihnen hilft, die Gegenwart zu verstehen. Ich glaube daher, dass es in den kommenden Jahren eine Wiederhinwendung zur Religion geben wird. Manche mögen sagen, dass es seltsam ist, jetzt eine Religion zu gründen, und Religion Menschen sogar abschreckt. Aber ich finde das in Ordnung. Ich glaube, wir sind hierbei unserer Zeit voraus.
Wie Körper und KI zusammengehen
TR: Bezieht Ihre Religion KI in irgendeiner Weise mit ein, nimmt sie darauf Bezug?
Johnson: Ja. KI wird bei uns allgegenwärtig sein. Und deshalb haben wir eben über „unser Körper ist Gott“ nachgedacht. In den letzten Jahren habe ich die Hypothese ausprobiert, dass, wenn ich eine ganze Menge Daten über meinen Körper sammle, diese einem Algorithmus übergebe und ihn dann mit wissenschaftlichen Erkenntnissen füttere, das Ergebnis besser ist als bei einem Arzt. Ich liefere mich also dem Algorithmus aus.
Es wäre dann in meinem eigenen Interesse, mir von ihm sagen zu lassen, was ich zu essen, wann ich zu schlafen und wann ich Sport treiben soll. Denn er würde wissen, wie er mich besser und glücklich macht. Anstatt dass mein Verstand willkürlich entscheidet, was er essen möchte, basierend darauf, wie er sich gerade fühlt, wird der Körper selbst zu einer Autorität erhoben. KI wird bald allgegenwärtig sein und in unsere alltäglichen Aktivitäten integriert. Genauso wie sie unsere Texte automatisch vervollständigt, wird sie auch unsere Gedanken automatisch vervollständigen.
TR: Könnten manche Menschen das nicht auch so interpretieren, dass KI letztlich Gott ist?
Johnson: Möglicherweise. Ich habe aber Probleme damit, den Gott eines anderen Menschen zu definieren. Wir sind uns alle einig, dass keiner von uns heute sterben möchte. Deshalb werden wir versuchen, „Don’t Die“ in den nächsten 18 Monaten zur einflussreichsten Ideologie des Planeten zu machen.