E-Commerce und stationären Handel verbinden: Das sollten Händler beachten
Die Kluft zwischen dem heutigen Verhalten der Käufer und der Anpassungsfähigkeit der Händler könnte aktuell kaum grösser sein. Die Internet World Messe am 1. und 2. März 2016 zeigt Strategien und Technologien für die digitale Transformation im Handel. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen zeigt sich im Handel besonders ausgeprägt. Bereits seit einem guten Jahrzehnt lassen innovative E-Commerce-Konzepte Umsätze massiv vom stationären in den Onlinehandel verlagern. Und der gute alte Versandhandels-Katalog ist bei B2C so gut wie verschwunden, und bei B2B steht er je länger je mehr zur Disposition. Doch es sind nicht nur die Umsätze, die sich von stationären Formaten oder Direktvertriebs-Konzepten in den Onlinekanal verlagern. Der ganze Transformationsprozess fordert heutige Unternehmungen auf verschiedenen Ebenen. Und Technologie ist da oft noch die einfachste Disziplin.
Kulturelle Veränderungen
Waren E-Commerce-Projekte in den Anfängen kurz nach dem Millenium primär IT-Projekte, hat sich diese Wahrnehmung fundamental geändert. Digitale Vertriebsmodelle haben heute nicht nur die Aufmerksamkeit der Top-Manager, sondern stehen auf jeder strategischen Agenda in Verwaltungsräten und Investorenkreisen. Nur weil es sich um eine technische Lösung handelt, ist E-Commerce kein IT-Projekt. Vielmehr erfordern die digitalen Kommunikations- und Vertriebsmodelle die gesamte Unternehmung in ihren Grundwerten. Die gesamte Unternehmenskultur muss neu ausgerichtet werden. Denn was über Jahrzehnte Gültigkeit hatte, wurde quasi über Nacht zu Makulatur.
Händler haben ihr Wissensmonopol über Sortimente, Produkte und Preisgefüge verloren und sind mit einem noch nie so informierten und damit starken Kunden konfrontiert. Gleiches gilt für interne Belange, wo Hierarchien, Anciennitätsprinzipien und Silo-Strukturen über Bord geworfen gehören, will man im heutigen unglaublich dynamischen Wettbewerb mithalten können, wo technologie-getriebene Unternehmen innerhalb weniger Jahre ganze Branchen umgewälzt haben. Von Amazon bis Zalando beherrscht Technologie- und Logistik-Kompetenz den Handel in einer noch nie dagewesenen Dynamik und Größe. In Asien Ähnliches mit Alibaba und Rakuten. Und Tech-Firmen wie Apple, Google und Facebook besetzen heute monopolistische Stellungen wo noch vor gut zehn Jahren Unternehmungen aus der Old-Economy dominierten.
Diese Herausforderungen stellen mancherorts traditionelle Strukturen von Handelsunternehmen in Frage. Und neben den kulturellen Umwälzungen und neuen Selbstverständnissen ist die schnelle Anpassung an neue Rahmenbedingungen zum kritischen Erfolgsfaktor geworden.
Change-Management und Führungsinstrumente
Starre Strukturen und Silo-Denke sind Gift im „War for talents“, der aktuell auf den Arbeitsmärkten tobt. Vielmehr Gift sind aber auch veraltete Führungsinstrumente wie reine Profit-Center-Betrachtungen, die einer partiell überholten Betriebswirtschaftslehre folgen. Denn davon werden noch heute mehrheitlich Ziele mit Mitarbeitern und Organisationseinheiten vereinbart, die dem Kundenverhalten diametral entgegenlaufen.
Noch heute wird in der Regel Verkaufspersonal in Filialen nach erzielten Umsätzen gemessen. Noch heute werden oft Außendienst-Mitarbeiter nach Kaufabschlüssen provisioniert, um nur zwei Beispiele zu nennen. Kein so auf seine Leistung reduzierter Mitarbeiter wird auch nur einen Grund sehen, einen Euro in einen anderen Kanal respektive einen anderen Customer-Touchpoint zu verschieben. Warum soll er auch – er widerhandelt ja seinen gesetzten Zielen und riskiert, diese nicht zu erreichen.„Noch heute werden oft Außendienst-Mitarbeiter nach Kaufabschlüssen provisioniert.“
Die Folgen davon sind allgegenwärtig. In der Wahrnehmung der Kunden gibt es „mehrere Unternehmen“ derselben Firma, nämlich das Unternehmen A stationär, das Unternehmen A online und mobile und das Unternehmen A im Direct-Sales. Für den Konsumenten, ob privat oder gewerblich, ist das unverständlich, denn er kauft ja beim Unternehmen A und nicht in einem Kanal.
Online heisst primär Sichtbarkeit im Retail
Der Einfluss von E-Commerce auf den Detailhandel kann gar nicht groß genug eingestuft werden und bedarf einer differenzierten Betrachtung.
Selbstverständlich ist da primär die Umsatzbetrachtung, weil der Handel schon seit je her nach diesen Metriken funktioniert hat. Umsatz, Flächenproduktivität, Personaleffizienz und mehr. Doch gerade mit den Skalen-Effekten sind viele dieser Messgrössen obsolet geworden und werden durch neue ersetzt, welche sich entlang des Customer-Journey und über die verschiedenen Touchpoints im Einkaufsprozess aufreihen. Im E-Commerce redet man von Conversions-Raten, durchschnittlichen Warenkörben und Kauffrequenzen, Cost per Order, Customer-Lifetime-Values, Neukunden-Akquise-Kosten, Marketing-/Umsatz-Ratios und mehr. Denn messen kann man online alles.
Shutterstock)Doch zurück zum Umsatz. Gerade bei Cross- beziehungsweise Omni-Channel-Händlern greift die reine Umsatzbetrachtung schlicht zu kurz. Denn es gilt, die E-Commerce Plattform in die gesamte Unternehmensbetrachtung zu integrieren und ganzheitlich zu sehen. Und da sind nicht nur Kannibalisierungsängste fehl am Platz, denn die sind schlicht vernachlässigbar. Denn das Umsatzpotenzial, was von Online in die Fläche geht, überwiegt dasjenige, welches entgegengesetzt von Stationär nach Online abwandert.
Und wenn sich ein Kunde entscheidet, sich offline beraten zu lassen und dann online zu kaufen, dann besteht die hohe Kunst darin, dass das Verkaufspersonal diesen Kundenwunsch auch aktiv und überzeugend unterstützt, damit der Umsatz im Unternehmen bleibt. Dies wiederum gelingt nur, wenn das Verkaufspersonal auch entsprechend motiviert wird.
Dem Onlineshop kommt heute vielmehr eine wichtige Rolle zur Frequenzsicherung in den Flächen zuteil. Grundsätzlich gehört das ganze Sortiment online, ohne Wenn und Aber. Und dies nicht mal primär, um zu verkaufen. Sondern einerseits als digitales Schaufenster und wichtigen Informationskanal zur Vorbereitung des stationären Einkaufs.
Internet World Shop: Showroom für das Ladenlokal der Zukunft
Doch wie lassen sich die Vorzüge des digitalen Schaufensters in die bestehenden Strukturen des stationären Handels integrieren? Technologien zum Anfassen finden Besucher auf der Internet World Messe im eigens konzipierten „Internet World Shop“. Auf einer Fläche von 75 Quadratmetern zeigt die Messe Shopping-Technologien im Live-Einsatz – darunter eine Shopping-App, die Kunden erlaubt, ihre Lieblingsstücke vorab online auszuwählen und die den Kunden dann im Ladengeschäft gezielt zu den ausgewählten Teilen führt. Zudem wird auf der Messe der sogenannte Infinite Cart vorgestellt, ein digitaler Einkaufskorb als Prototyp, der Kunden erlaubt, überdimensionale Produkte wie Möbel oder einfach große Mengen von Produkten für den B2B-Bereich in den Warenkorb zu legen und am Check-out per App zu bezahlen.
Im sogenannten weShop, einer ganzheitlichen Shop-Lösung, entwickelt von der Kommunikationsagentur Serviceplan gemeinsam mit Vitrashop, Cancom, Cisco und NEC, zeigt die Messe anschaulich, wie der Laden der Zukunft aussehen könnte. Hier erleben Besucher unter anderem die individualisierte Kundenansprache mittels Beacon-Technologie, Stilberatung per Videokonferenz, Warenerkennung mittels RFID-Technologie oder auch eine Inszenierung von Outfits im Spionspiegel in der Umkleidekabine. Mehr Informationen und die Anmeldung findet ihr auf internetworld-messe.de.
Wie heisst die Shopping-App, die Kunden erlaubt, Lieblingsstücke vorab online auszuwählen??