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Die Einkaufsstadt stirbt? Egal, beleben wir lieber die Innenstadt neu

Nicht der Onlinehandel zerstört die Innenstadt, sondern fehlendes Umdenken in der Stadtplanung. Ein Plädoyer für einen anderen Weg, die Innenstadt zu „retten“.

Von Jochen G. Fuchs
3 Min. Lesezeit
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Die Einkaufsstadt ist tot, beleben wir sie neu. Im Bild: Kiel im Frühjahr 2020 während der ersten Welle der Corona-Pandemie. (Foto:Petra Nowack / Shutterstock.com)

Eine Einkaufstasche schneidet tief in meine Hand, mein Rucksack drückt an der Schulter, der Kaffee schwappt von innen gegen den Kaffeebecher und eigentlich würde ich mich gerne hinsetzen. Mein Blick schweift über den Kasseler Königsplatz, die wenigen Sitzgelegenheiten sind schon besetzt. Und in Corona-Zeiten möchte ich mich nicht einfach irgendwo dazugesellen. Und mit dem Becher in der Hand scheidet auch ein Lokal aus. „Das war wohl eine Fehlentscheidung, ich hätte den Kaffee an einem Tisch bestellen sollen“, denke ich.

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Der Nachmittag endet genervt mit einer im Stehen „genossenen“ Wurst beim Metzger. Ein Innenstadtbesuch zu Corona-Zeiten zeigt überdeutlich, dass die Aufenthaltsqualität in vielen Städten stark zu wünschen übrig lässt. Vergessen wir die Diskussion darüber, wie wir den Einzelhandel in den Innenstädten retten, vor allem: Hören wir damit auf, die Rettung des Einzelhandels mit der Rettung der Innenstädte gleichzusetzen. Das sind völlig unterschiedliche Dinge.

Brauchen wir die Einkaufsstadt noch?

Ich liebe es, einzukaufen, und ich bin überzeugt davon, dass ein guter Einzelhändler in die Innenstadt gehört und diese auch bereichern kann.

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Die Betonung liegt dabei aber auf dem guten Einzelhändler, denn die bittere Wahrheit ist, dass überflüssige Händler von der Handelsevolution zu Recht beerdigt werden. Von drei Dutzend austauschbaren Händlern im selben Segment habe ich als Kunde keinen Nutzen, da reichen zwei von der Sorte. Statt drei Dutzend Mal Textilien lieber nur ein Dutzend Läden, dafür aber kleine Boutiquen und spezialisierter Fachhandel.

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Neben dem eher als Zeitvertreib zu betrachtenden Bummeln, gibts ja schließlich auch zielgerichtetes Einkaufen. Und manche Dinge funktionieren offline besser als online: Hüte und Anzüge online zu kaufen ist für mich, bei aller Begeisterung für den Onlinehandel, eine Tortur. Nichts passt! Die im Resultat entstehenden Retourenorgien soll bitte jemand anders feiern.

Also, halten wir fest, dass der Einzelhandel in die Innenstadt gehört, aber dass es zukünftig deutlich weniger Händler in den Innenstädten geben wird. Es ist wichtig, zu begreifen, dass der Einzelhandel zu großen Teilen in den Innenstädten sterben wird und es dagegen letztlich kein Gegenmittel gibt. Denn sonst stecken wir weiterhin Geld in Strukturen, die es bald nicht mehr geben wird. Geld, das woanders besser aufgehoben wäre. Die Einkaufsstadt ist tot, aber die Innenstadt kann davon unabhängig neu belebt werden.

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Akzeptieren wir diese Prämisse, können wir uns endlich der entscheidenden Frage zuwenden.

Was machen wir zukünftig mit unseren Innenstädten?

Experten aus der Forschung, wie der Wirtschafts- und Sozialgeograf Ivo Mossig, sagen klar, dass die Innenstädte durch eine Veränderung der räumlichen Nutzung wiederbelebt werden können. Also mehr Büros, mehr Wohneinheiten zurück in die Innenstadt. So kommen ganz automatisch wieder mehr Menschen in die Innenstädte. Übrigens eine Grundvoraussetzung für den überlebenden Einzelhandel: mehr potentielle Kunden.

Damit die Menschen, die wir dort neu ansiedeln, aber auch bleiben – und ich endlich bequem irgendwo meinen Kaffee trinken kann – müssen wir laut Experten wie Mossig die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten erhöhen.

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Der Schlüssel: Die Aufenthaltsqualität in den Innenstädten erhöhen

Der Kampf gegen den Klimawandel bietet da eine Chance: Autos raus aus der Stadt schadet zwar initial dem Handel, die Blicke über den Tellerrand zu den bereits bekannten autofreien Innenstädte zeigen aber, dass die Frequenz mittelfristig steigt und auch die Lebensqualität in den Innenstädten. Damit wäre eine gute Grundlage für eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Stadt gelegt.

Allerdings habe ich trotzdem noch keinen Sitzplatz, um meinen Kaffee zu trinken, und was ich danach machen soll, weiß ich auch nicht. Die Piratenpartei in Leverkusen allerdings weiß weiter und arbeitet dort gerade am Konzept der „benutzbaren Stadt“. Öffentliche, gemeinsam nutzbare Einrichtungen sollen die Innenstadt attraktiver machen.

Das können einerseits grundlegende Infrastrukturen wie Trinkwasserbrunnen, Sitzgelegenheiten, Toiletten oder Laternen mit Freifunk-WLAN-Hotspots und öffentlichen Steckdosen sein. Oder andererseits Pizzaöfen, Grillplätze oder großzügigere Spielplätze mit Wasserspielanlagen, Einrichtungen, die ganz von selbst zur Freizeitgestaltung in der Stadt führen.

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Ein weiteres Konzept, das nicht nur in Leverkusen verbreitet ist: die „essbare Stadt“, eine Kombination aus Freizeitgestaltung und Gestaltung des öffentlichen Raums mit Nutzpflanzen. Weltweit sind ähnliche Programme zu finden – von Toronto über Kassel bis nach Hamburg. Das Rezept beinhaltet meist eine Prise Bauernmarkt, vermengt mit Urban Gardening und einem Hauch Eventgestaltung. Wenn mehr solcher Konzepte entwickelt werden, dann finde nicht nur ich einen Sitzplatz, sondern auch der in der Stadt verbleibende Handel wieder mehr Kunden. Und unsere Städte haben sich von der Einkaufsstädten weiterentwickelt zu Erlebnisstätten.

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Detlef S.

Diesem Artikel kann ich nur zu stimmen, die Einkaufsstraßen der Städte haben doch schon lange das Problem, das sie kaum noch Umsatz machen, außer an Weihnachten vielleicht.

Warum baut man die Häuser nicht zu Wohnungen um? und statt Kaufhäuser gesellen sich dann eine Gastronomie, und einige kleine Läden für die Grundversorgung.

Vielleicht noch eine Bäckerei, die ihr Backwerk auch noch vor Ort herstellt.

Das wäre meine Vision von einer attraktiven Innenstadt!

Antworten
thomas

Ich glaube nicht, dass die Wohnstädte die Lösung sind. Die gibt es ja und meistens ist dort tote Hose.

Auch in den Innestädten sind die „Kaufhäuser“ bereits Mangelware. Zumeist sind ja die Läden bereits auf einem, maximal 2 Stockwerken untergebracht und darüber dann Wohnungen.

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Detlef S

Ich kann jetzt nur für Dortmund sprechen, da haben sie schon ein Kaufhaus abgerissen, heute steht dort ein Studentenwohnheim, immerhin besser als so ein 1 Euro Ramschladen im Erdgeschoss, wie es zuletzt war.

Henrik

Und die Händler müssen sich von ihren Traumpreisen verabschieden. Ich zahle nicht das doppelte wenn ich es Online für die hälfte haben kann.

Antworten
Detlef S

Die Preise sind wahrscheinlich auch ein Resultat, das Immobilienhaie die Mieten immer höher drehen, aber das dürfte wohl auch bald Geschichte sein, wenn die Läden erst mal dicht machen, dann kann sich der Eigentümer die Miete knicken. Zum Thema Online, das ist auch bei mir die durchaus bevorzugte Art einzukaufen.

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