Wenn du entscheiden willst, musst du allein sein können
Teamfähigkeit vs. Entscheidungsfähigkeit
Teamfähigkeit ist zur Schlüsselqualifikation avanciert. Eine Unternehmensbefragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages aus dem Jahr 2015 zeigt, dass sie unter den Anforderungen an Bachelor-Absolventen an oberster Stelle steht: Für 72 Prozent der Firmen ist sie eine unverzichtbare Eigenschaft eines Bewerbers – weit vor dem Fachwissen. Im Team zu arbeiten und Lösungen zu entwickeln, wird zum Erfolgsrezept für Unternehmen. Beim Führen jedoch hört der Spaß auf. Denn im Team zu führen und zu entscheiden, das haut nicht hin. „Führung – auf die wir auch zukünftig nicht verzichten können – ist nicht hübsch kuschelig, kollaborativ und social“, so Rath. „Im Gegenteil. Führung ist manchmal eine ziemlich einsame Veranstaltung“. Denn Verantwortung ließe sich eben nicht gemeinsam tragen und in die Cloud delegieren.
Entscheiden geht nur allein
Jeder, der entscheidet, übernimmt die volle Verantwortung. Nicht die drei Kollegen, mit denen er über die Entscheidung gesprochen hat. Und auch nicht der Lebenspartner, der den einen oder anderen Hinweis beigesteuert hat. „Egal, durch wie viele Meetings und Email-Threads hindurch die Entscheidung konsensfähig wurde – die Verantwortung dafür nimmt uns niemand ab“, so Rath. Das sei nichts, worüber man klagen müsse. Im Gegenteil. „Je einsamer wir eine Entscheidung treffen, desto verantwortungsvoller treffen wir sie“, ist Rath überzeugt. Denn nur in dieser Einsamkeit werden Konsequenzen deutlich wahrgenommen. Ein Schulterschluss mit anderen hingegen führt oft zu einer Art Enthaftung. Die Gruppe würde schon für die Konsequenzen geradestehen. Das ist jedoch ein Trugschluss. Und so gehöre es zu den wenigen unverrückbaren Wahrheiten über Führung, dass selbstverantwortliches Entscheiden und Handeln in gewissem Maße auch bedeutet, einsam zu sein. Und je mächtiger, also befugter wir seien, desto einsamer würden wir. Und? Kratzt die Einsamkeit des Entscheiders an dessen sozialer Kompetenz? Wird die Führungskraft mittelfristig unfähig, Bindungen im Team zu pflegen? „Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Einsamkeit, die freilich eher eine philosophische ist als eine soziale, den Entscheider erdet“, beruhigt Rath. „Sie macht ihn nicht etwa asozialer, sondern sogar zu einem besseren Leader“. Diese Einsamkeit zu spüren und zu lernen, damit umzugehen, sei Teil des Lernprozesses jeder Führungskraft.
Sagen wie’s ist
In dezentral organisierten Unternehmen treffen nicht mehr ausschließlich Führungskräfte dank ihrer hierarchisch festgelegten Rolle die notwendigen Entscheidungen, sondern zunehmend entscheiden auch Mitarbeiter über Fragen, die in ihren Verantwortungsbereich fallen. „Wenn aber Führungskräfte immer weniger führen und Mitarbeiter immer mehr entscheiden, kann das nur funktionieren, wenn all die neuen Entscheider auch lernen, mit ihrer Verantwortung umzugehen – und auch mal allein auf weiter Flur zu stehen“, so Rath. Und das lerne man nicht in der Cloud. Auch in den Universitäten sei dieser Aspekt kein Thema. „Hören wir auf, so zu tun, als sei die Einsamkeit des Entscheiders ein Kinderspiel“, fordert Rath. Neue Arbeitsmodelle würden dazu führen, dass immer mehr Menschen physisch allein arbeiten – quer über den Globus verteilt. „Je mehr wir auf neue Weise zusammenarbeiten – mit oder ohne Hierarchien, vernetzt, digital oder wie auch immer – desto mehr einsame Entscheider wird es geben“, ist Rath überzeugt. Umso wichtiger sei es, die Entscheider der Zukunft darauf vorzubereiten anstatt ihnen vorzuheucheln, Führung sei ein Spaziergang auf digitalen Wolken, bei dem niemand mehr einsam sein müsse.
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