
Alle wollen scheitern. Also: Natürlich will weiterhin niemand scheitern, denn schon als Kinder bekamen wir dafür grandiosen Ärger. Aber wenn’s dann doch passiert ist: Party! Wunden lecken! Vortrag auf der großen Bühne!
Das ist alles ganz nett und sicherlich könnten wir den Erfolgsdruck rausnehmen und Menschen öfter mal machen lassen. Der Scheitern-Fetisch könnte einer neuen Studie zufolge aber deutlich übertrieben sein.
Wo geht’s hier zum Erfolg?
Tatsächlich scheinen wir zu hohe Erwartungen an Menschen zu haben, die gescheitert sind. Weit weniger als erwartet schaffen einen Approbationstest, nachdem sie einmal durchgefallen sind. Menschen lernen weit weniger als erwartet von Fehlern der Vergangenheit. Kurz: Wir überschätzen den Wert des Scheiterns.
Zwei Mechanismen sind der Metaanalyse zufolge hier am Werk:
Scheitern schmerzt das Ego. Es kann so wehtun, dass der Lerneffekt leidet. Der angenommene Effekt – Fehler machen klug – verpufft an einer inneren Mauer des Selbstschutzes. Das Scheitern wird dann externalisiert: Nicht man selbst muss lernen, sondern die Welt muss sich verändern. Vergessen wird: Scheitern darf man auch bedauern. Man darf traurig sein oder wütend. Wer sich selbst vor dem Trauern schützt, der verhindert auch das Selbstmitgefühl. Und so lernen wir genau gar nichts.
Wer nach einem Scheitern Erfolg hat, hilft häufig denen weniger, die Hilfe benötigen. Vielmehr gingen die Menschen davon aus, dass diese es schon selbst hinbekommen. Doch Scheitern, wie oben bereits dargestellt, führt nicht zum Erfolg. So wird Potenzial verschwendet.
Der Eigenwert des Scheiterns werde also systematisch überschätzt. Nicht das Scheitern ist es, das zum Erfolg führt, sondern das Lernen daraus. Und das ist nicht selbstverständlich.
Der frei erfundene Kulturkampf
Und doch wird seit Jahren der Wert des Scheiterns beschworen. Den Trend hat irgendjemand von irgendeiner Konferenz in den USA mitgebracht und uns hierzulande direkt einen Mangel attestiert. Fail harder! Doch diese Debatte geht in die falsche Richtung. Natürlich brauchte die Fehlerkultur ein Update: Über Fehler reden, aus Fehlern lernen, Fehler als Teil des Lebens akzeptieren, nach Fehlern weitermachen.
Aber das berühmte „Ever tried. Ever failed. Try Again. Fail again. Fail better“-Zitat (Samuel Becket) zum Teil der Arbeitskultur zu machen, ging dann doch etwas zu weit. Es leitet den Fokus weg von einer Kultur des Lernens, hin zur Selbstdarstellung. Die Erfahrung, gescheitert zu sein, wird zu einem wichtigen biografischen Element – ebenso wie die fortgesetzte Klage, dass es eben eine Fehlerkultur brauche. Das Betrauern, das Lernen, das Neuerschaffen? In der Theorie vorgesehen, aber dann doch kein Teil der guten Geschichte.
Wir überschätzen den Wert des Scheiterns. Nicht, dass es keinen Wert hätte. Aber scheitern reicht nicht. Wer vom Scheitern nichts lernt, der hat zwar immer noch eine gute Story, aber trotzdem nichts erreicht.