
Selbst klassiche Pure-Online-Händler wie Amazon arbeiten inzwischen mit Filialen, Popup- und Outlet-Stores. (Bild: Amazon)
Cyberport und Notebooksbilliger tun es schon lange, Zalando und Mister Spex jetzt auch vermehrt und Amazon macht’s entweder dauerhaft (in Oberhausen) oder nur für ein paar Tage (in Berlin) … die Rede ist von Onlinehändlern und großen E-Commerce-Playern, die – entgegen aller Trends – Ladengeschäfte betreiben. Warum sie das tun, hat eine Vielzahl von Gründen: In manchen Fällen kann man den Kunden einfach besser überzeugen, wenn man ihn persönlich und vor Ort hat, in anderen Fällen spielt die Brand-Awareness eine Rolle oder der Wunsch, neue Zielgruppen zu erschließen, die in diesem speziellen Fall keinem Onlinehändler ihr Vertrauen schenken würden. Das hier sind die wichtigsten Gründe, warum klassische E-Commerce-Player sich für einen physischen Laden entscheiden.
1. In der Filiale geht Beratung einfach besser
Es gibt Waren, die kann man gut online kaufen – Bücher, Musik, Unterhaltungselektronik – und andere Warengruppen, bei denen das schon schwieriger ist: Brillen sind so ein Beispiel. Denn alles, was über Fertigware hinausgeht, muss ausgemessen und angepasst werden. Mag das bei einer einfachen Lesebrille noch funktionieren, wird’s spätestens bei Gleitsichtgläsern knifflig. Das haben beispielsweise etliche Online-Optiker erkannt. Sie suchen sich Vertragswerkstätten in den Regionen oder machen kurzerhand selbst ein Geschäft auf.
Oft geht es aber auch nur darum, den Kunden an der Hand zu nehmen und ihm bei der Bestellung zu helfen – ihm zu erklären, wie er seine Größe ausmessen kann oder ihm dabei zu helfen. Eine solche Retail-Lösung kann sich bezahlt machen, insbesondere bei Schnelldrehern, also Waren, die nur kurze Zeit in Mode sind oder nicht allzu lange haltbar sind. Hier ist es für den Händler besonders bitter, wenn sie (möglicherweise sogar mehrmals) aufgrund falscher Größen- oder Farbauswahl retourniert werden. Eine Filiale spart Kosten und stellt sicher, dass Ware nicht wochenlang beim Kunden liegt, ohne dass dieser sie auch wirklich behält.
Etwas anders gelagert ist der Fall bei Versicherungs-Startups und Kreditvermittlern. So ist zwar Finanzcheck.de ein klassisches Internet-Startup, aber bestimmte Zielgruppen kann man sich besser erschließen, indem man vor Ort für den Kunden da ist. Die Hamburger haben aus der Not eine Tugend gemacht: Sie erhielten Besuche von Kunden in der Hamburger Zentrale und beschlossen aus diesem Sachverhalt heraus, einfach ein Büro in bester Hamburger Lage anzumieten (und, wenn mal keine persönliche Beratung erfolgt, einfach dort zu arbeiten).
2. Auch Showrooming hilft dabei, Waren zu verkaufen
Es gibt Produkte, die bestellt man nicht mal so nebenbei – Lautsprecherboxen oder Matratzen zum Beispiel. Da braucht es entweder Testurteile, die die Kunden überzeugen, oder man kann den Kunden im Laden beraten und testen lassen. Auch bei beratungsintensiven Produkten wie Parkett oder anderen Bodenbelägen, die man im Laden einfach mal anfassen und begutachten kann, bietet ein Ladengeschäft unschätzbare Vorteile und bessere Möglichkeiten der Beratung.
Das ist dann entweder ein klassischer Showroom – die Ware wird woanders gelagert oder erst auf Anfrage des Kunden bestellt und direkt an diesen geliefert – oder aber ein Flagship-Store, aus dem der Kunde einfach die vorrätige Ware mitnimmt oder (wenn mal nicht vorhanden) per Tablet nach Hause bestellt. Dass der Kunde hier Artikel, die nicht vorrätig sind, kostenlos geliefert bekommt, sollte selbstverständlich sein, ist es aber leider immer noch nicht.
3. Filialen schaffen Kauferlebnis und Kundenbindung
Über eine Website ist ein Kauferlebnis nur selten zu inszenieren. Klar – Händler können Social Media nutzen, den Kunden dazu animieren, in Storytelling-Orgien über die eigenen Produkte zu schwärmen, aber das alles ist und bleibt oft nur ein fader Abklatsch eines Kauferlebnisses, wie wir es von früher kennen. Ein physischer Laden hilft dabei, Produkte zu erleben. Etwas anders sieht das bei der Kundenbindung aus – die lässt sich sehr gut auch bei Online-Only-Händlern schaffen. Und doch können auch hier gemeinsame Events wie eine Hausmesse, ein Workshop oder andere Incentives dem Kunden etwas vermitteln, über das er mit anderen spricht.
Auch Amazon ist ein gutes Beispiel, wie man mit Events Kundenbindung erzeugen kann. Das Unternehmen eröffnete Ende November für gerade einmal eine gute Woche einen Popup-Store in bester Lage in Berlin-Charlottenburg – und veranstaltete dort Lesungen, Konzerte und andere Events, die teilweise nur für bestimmte Kundengruppen (Prime-Kunden) oder nach Voranmeldung zugänglich waren. Nebenbei konnten sich die Kunden auch über ausgewählte Produkte informieren und beispielsweise die Smartspeaker sowie Lesegeräte und Tablets aus dem Hause Amazon testen.
4. Filialen machen eine Marke bekannt und erschließen neue Zielgruppen
Es gibt gerade im E-Commerce Zielgruppen, die man leichter erschließen kann und solche, bei denen man sich schwer tut. Manche Kunden können sich überhaupt nicht vorstellen, beispielsweise Kleidung online zu kaufen, für andere ist das dagegen gar kein Problem. Wenn sich beispielsweise Cyberport oder Zalando dazu entschließen, Stores zu eröffnen, dann hat das auch etwas mit Zielgruppen zu tun, die bevorzugt offline kaufen. Das Kalkül dahinter: Ist der erste Schritt gemacht und ein erstes Vertrauen hergestellt, dann erfolgt der zweite Kauf auch per Versand.
Umgekehrt kann die Filiale dann aber auch als erste Anlaufstelle bei Fragen des Kunden oder als Abholstation für online bestellte Waren dienen. So lassen sich Versandkosten sparen – und ist der Kunde erst einmal im Laden, kauft er ja vielleicht noch etwas anderes zusätzlich.
5. Ein Ladengeschäft kann als klassisches Outlet dienen
Nicht alles ist in großen Mengen in allen Varianten und Größen verfügbar. Das ist beispielsweise auch ein Grund dafür, dass sich Zalando dazu entschlossen hat, Outlet-Stores anzubieten – anders, als man das kennt, sogar in bester Innenstadtlage. Zwar kann man auch im Onlineshop gut nach einzelnen Größen filtern oder die Konfektion einer bestimmten Marke oder Saison durchsuchen, gerade bei Einzelstücken ist es aber durchaus auch üblich, diese über ein Outlet an den Kunden zu bringen. Besonders empfehlenswert ist das, wenn Ware schon einmal im Verkauf war und beispielsweise einzelne Retouren ansonsten aufwendig verarbeitet und wieder im Warenwirtschaftssystem verzeichnet werden müssten.
Doch da gibt es – auch und gerade im Zeitalter des E-Commerce – noch etwas anderes: Der Kunde kann mit solchen Einzelstücken, die es eben nicht bundesweit und permanent, sondern nur vor Ort gibt, erfolgreich dazu animiert werden, sich mit einer Marke, einem Laden zu beschäftigen. Diese Inszenierung von Sonderverkäufen verstehen gerade in den USA viele Unternehmen sehr gut und auch in Deutschland kommt das immer mehr in Mode.
Fazit: Offline rundet online ab
Es ist heutzutage falsch, nur auf Onlinehandel zu setzen, genauso wie es auch falsch ist, nur auf Retail-Stores zu setzen. Vernünftig und hilfreich ist es aber, wenn ein Händler es schafft, seine Kunden über alle Kanäle hinweg zu verstehen und eine umfassende Customer-Journey nachzuzeichnen. Doch diese datengetriebene Herangehensweise fehlt vielen E-Commerce-Unternehmen immer noch.
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