Für Sara Grasmann* kam das Angebot zu führen überraschend. Nach einigen Jahren als Fachkraft bei einem Automobilhersteller, haben ihre Vorgesetzten ihr das Vertrauen geschenkt, ein Team zu übernehmen. „Ich war stolz, als mir der neue Posten angeboten wurde“, erzählt sie im t3n-Gespräch. „Aber da waren auch Zweifel.“ Grasmann wusste nicht, ob sie überhaupt zur Führungskraft tauge. „Ich hatte ja gar keine Erfahrung in Mitarbeiterführung“, erklärt die Berlinerin. Sie verstand es zwar, neben ihren täglichen Aufgaben auch die Kolleginnen und Kollegen anzuspornen. Jedoch war zumindest letzteres nie ihre Hauptaufgabe, sondern immer nur eine Art von Talent, das sie einbringen konnte. Respekt hatte sie vor der Herausforderung, als Chefin gleichzeitig ihre eigenen To-dos zu erledigen, wichtige Aufgaben an ihr Team abzugeben und die Resultate zu überprüfen, eine motivierende Kultur zu schaffen und zu sichern, und für alle immer ansprechbar zu sein. Zur Führungskraft müsse man geboren sein, so ihre Annahme. Sie trat von dem Angebot zurück.
Die Haltung einer Führungskraft ist entscheidend
Dass die Anforderung an eine Führungskraft enorm gewachsen sei und mit zunehmender Komplexität neuer Generationen und Arbeitswelten weiter steige, bestätigt auch Svenja Haus. „Wer sich anschaut, was eine erfolgreiche Führungskraft alles leisten muss, landet schnell bei der eierlegenden Wollmilchsau“, so die Führungskräftetrainierin im t3n-Gespräch. Die Expertin gehört zum Coachhub-Team, einer Online-Plattform, die Chefinnen und Chefs in virtuellen Lehrveranstaltungen fortbildet. Sie weiß, worauf es bei einer Führungsrolle ankommt und verneint die Frage danach, ob Berufstätige zur Führungskraft geboren sein müssen. „Entscheidend ist allein die Haltung, den Rest kann man lernen“, erklärt Haus. Bei Führung gehe es in der Realität zum größten Teil darum, sich um Menschen und ihre Herausforderungen zu kümmern und weniger darum, Anführerin beziehungsweise Anführer zu sein. „Gute Führung ist selbstlos und unsichtbar, das bedeutet, dass es nicht um mich, sondern um meine Mitarbeitenden geht und wie ich ihnen helfen kann.“
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Die Coachhub-Führungskräftetrainerin gibt im t3n-Gespräch zu verstehen, dass häufig jedoch die Mitarbeitenden zur Führungskraft befördert werden, die besonders gut performen, ohne dass sie die entsprechende Haltung mitbringen. „Die generelle Annahme in unserer Gesellschaft ist immer noch, dass das der einzig wahre Karriereweg ist. Somit kommt es leider sehr häufig vor, dass Menschen eine Führungsrolle verantworten, obwohl sie ihre Stärken als Experte viel wirkungsvoller einsetzen könnten.“ Einem Gallup-Report zufolge sind Chefinnen und Chefs zudem ziemlich häufig der Grund, warum Angestellte kündigen. Jeder Zweite gab zu, einen Job bereits verlassen zu haben, weil man Probleme mit der Managerin beziehungsweise dem Manager hatte. Tatsächlich sollen 70 Prozent der Faktoren, die zu einer beruflichen Unzufriedenheit beitragen, direkt mit den Vorgesetzten zusammenhängen, so ein Fazit des Berichts. Ein gewichtiger Grund liegt darin, dass Mitarbeitende sich von der Führungskraft zu wenig unterstützt und gefördert fühlen.
„Gute Führung ist selbstlos und unsichtbar.“
Dass häufige Jobwechsel einem Unternehmen teuer zu stehen kommen können, zeigt zudem eine Studie des National Business Research Institute in Texas. Laut der Erhebung können Kosten entstehen, die bis zu 150 Prozent des Jahresgehalts eines Mitarbeiters ausmachen. Eingerechnet sind die Ausgaben für Stellenausschreibungen, die Beauftragung eines Headhunters und der Aufwand für Vorstellungsgespräche. Neue Teammitglieder bräuchten zudem Zeit, um sich an Abläufe, Prozesse, Teams und Vorgesetzte zu gewöhnen. Auch wenn die aufgeführten Kosten in der US-Studie sich nicht hundertprozentig auf die deutsche Arbeitswelt übertragen lassen, verdeutlicht die Erhebung das Problem an sich: Hohe Fluktuation ist teuer. Das gilt für jede Firma und in jeder Volkswirtschaft. Fachkräfte nehmen wertvolles Wissen mit, Nachfolgende müssen aufwendig eingearbeitet werden. Bis diese Personen jedoch sicher in ihrer neuen Rolle sind, können Monate vergehen. Monate, die für den Unternehmenserfolg entscheidend sein können.
Führungskraft sein: Was ist deine Ambition?
Eines der Hauptargumente für Berufstätige, eine Beförderung zur Chefin beziehungsweise zum Chef anzutreten, bezieht sich vielerorts noch immer auf das höhere Einkommen. „Gehaltstechnisch hätte ich einen großen Sprung gemacht“, erklärt auch Sara Grasmann. Ihr seien satte 30 Prozent mehr angeboten worden. „Ich habe sehr mit mir gerungen, auf das Geld zu verzichten.“ Dass mit dem zunehmenden Fachkräftemangel in vielen Branchen und Berufen jedoch auch Expertinnen und Experten bald einen äquivalenten, eventuell sogar höheren Stellenwert in unserer Wirtschaft haben könnten als Führungskräfte, gibt Svenja Haus zu verstehen. Im Tech-Sektor wird das besonders deutlich. Eine IT-Studie der Vergütungsanalysten von Compensation Partner zeigt, dass im Jahr 2019 die höchsten Jahreseinkommen IT-Fachkräfte in der Beratung und Analyse mit durchschnittlich 78.710 Euro bezogen haben. Auf Platz zwei waren IT-Sicherheitskräfte mit 73.919 Euro und auf dem dritten Platz Backend-Softwareentwickelnde mit 73.152 Euro jährlich.
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Wer sich für eine Führungsrolle interessiert, sollte insofern gut überlegen, welche Ambition die Person tatsächlich verfolgt: „Fähigkeiten lassen sich schneller verändern als innere Überzeugungen oder Sichtweisen“, erklärt Svenja Haus. Die eigene Selbstreflektionsfähigkeit sei dabei besonders entscheidend: „Wo stehe ich aktuell, wo will ich hin? Was ist mein Ziel und wofür ist das gut? Die Antworten auf die Fragen bilden die Grundlage, sich weiterzuentwickeln und zu wachsen“, fügt sie hinzu. Und: Ein gutes Gehalt kommt meist von ganz alleine, wenn Berufstätige vergleichsweise hohe Beiträge zum Unternehmenserfolg beisteuern – unabhängig davon, ob Führungskraft mit strategischer Personalverantwortung oder Fachkraft mit operativer Expertise. „Meine damalige Entscheidung, den Job nicht anzunehmen, habe ich zum Glück nie bereut“, sagt Sara Grasmann abschließend. Sie habe es schlicht und einfach nicht gefühlt, meint sie. „Ich weiß ja, was ich mir von einer Führungskraft wünsche und ich glaube nicht, dass ich das selbst hätte einbringen können.“
*Name auf Wunsch geändert
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