Gaia X: Ein informationstechnischer Cargo-Kult
Während des zweiten Weltkrieges beobachteten die Bewohner von Jayapura jahrelang, wie ein Flugzeug nach dem anderen auf den Flugplätzen landete und Ladung aller Art brachte. Nach dem Abzug der Amerikaner blieben die Flugzeuge samt Lieferungen aus. Also taten die Inselbewohner das Naheliegende: Sie schnitzten sich Kopfhörer und stiegen auf die Tower der verwaisten Flughäfen, wo sie zu ihren Ahnen beteten – ganz wie sie es von den Amerikanern gelernt hatten. Gerüchten zufolge soll sich der Erfolg dieser Maßnahmen in Grenzen gehalten haben.
Nun wäre es rassistisch, anzunehmen, dass solch ein Cargo-Kult nur unterentwickelten Naturvölkern passiert. Tatsächlich konnten Cargo-Kulte auf der ganzen Welt und zu allen Zeiten nachgewiesen werden und auch in die Informatik ist der Begriff eingegangen für ein Stück Software, das zwar formal korrekt aufgebaut, ansonsten aber völlig sinnlos ist.
Der langen Liste der Cargo-Kulte fügte jüngst das Bundeswirtschaftsministerium ein weiteres Beispiel hinzu: Gaia X, gelegentlich auch „Airbus der künstlichen Intelligenz“ genannt. Nun klingt es zunächst mal unfair, so über die deutsch-europäische Cloud-Initiative zu spotten. Immerhin haben von SAP bis Fraunhofer zahlreiche Experten an Gaia X gestrickt, die ganz sicher ihr Handwerk beherrschen.
Das ist nicht der Punkt. Tatsächlich ist Gaia X – abgesehen davon, dass viele Details noch nicht bekannt sind – ein interessantes Konzept vor allem für die Industrie. Die bekommt eine Infrastruktur, auf der sie Cloud- und Edge-Computing betreiben kann. Die Einhaltung offener Standards und Interoperabilität sollen dafür sorgen, dass die Unternehmen bei der Nutzung von Gaia X auch mal den Anbieter wechseln können, ohne alles neu stricken zu müssen, oder ihre Daten für Big-Data-Anwendungen zusammenführen können.
„Airbus der künstlichen Intelligenz“
All das ist sehr lobenswert, sicherlich industriepolitisch interessant und eine spannende Vision für – noch ein Buzzword – die Industrie 4.0. Das Problem sind die Versprechen und Hoffnungen, die an Gaia X geknüpft werden. Ganz oben auf der Liste steht „Datensouveränität“, und hier ist nicht ganz klar, wer da souverän sein soll – Unternehmen oder Staaten?
Als Beispiel für die staatliche Souveränität wird angeführt, dass die Adobe von US-Behörden dazu gezwungen wurde, den Zugang zur Creative Cloud für Menschen in Venezuela zu sperren. Die waren plötzlich nicht nur von ihren Daten in der Cloud abgeschnitten, sondern von der Benutzung von Photoshop und Premiere an sich. So etwas darf natürlich nicht sein, und deshalb müssen nationale (oder europäische) Lösungen her.
Der Haken dabei: Selbstverständlich gibt es frei verfügbare Grafiksoftware und deutsche/europäische Cloud-Lösungen. Es ist völlig unklar, wie Gaia X dieses Problem lösen soll, denn es ändert sich ja nichts daran, dass Adobe Standard in der Branche ist und deren Software in ungefähr jeder Stellenausschreibung für Grafiker und Designer genannt wird.
Ein weiteres Argument für Gaia X ist die Wertschöpfung, die im Land bleiben solle. Genannt wird da etwa die ausländische Internet-Plattform für Reisevermittlungen, die die Provision abschöpft, die früher das brave deutsche Reisebüro erhielt. Selbstverständlich ist es deutschen Anbietern möglich, solche Plattformen zu schaffen, und selbstverständlich müssen sie dafür auch nicht auf Azure oder AWS zurückgreifen – auch wenn sie es meistens tun.
Cloud und Platform verwechselt
Dass sich solche Plattformen hier nicht durchsetzen, hängt mit Netzwerkeffekten zusammen. Es hängt damit zusammen, welche Konditionen die Plattform bei Hotels und Fluglinien rausverhandeln kann und es hängt damit zusammen, wie viel Kapital die Plattform einsammeln konnte, um aggressiv in einen Markt eindringen zu können. Es hängt nicht damit zusammen, ob es eine deutsche Cloud gibt oder nicht. Anders gesagt: Die Gaia-X-Fans verwechseln Cloud und Plattform.
Ein weiteres Versprechen, das mit Gaia X einhergeht, ist der „sichere Datenraum“, die Datensouveränität für die Unternehmen selbst. Da ausländischen Cloud-Diensten nicht über den Weg zu trauen sei, müssen halt inländische Dienste geschaffen werden. Schließlich besagt der US Cloud Act, dass amerikanische Firmen amerikanischen Behörden Zugriff zu allen Kundendaten geben müssen, selbst wenn diese im Ausland gespeichert werden.
Wer so argumentiert, übersieht leider, dass auch der deutsche Staat immer mal wieder Begehrlichkeiten entwickelt, in digitalen Infrastrukturen mitlesen zu können. So verlangte Horst Seehofer vor wenigen Monaten, dass Messenger wie Whatsapp für den deutschen Staat entschlüsseln sollen, wenn der Zugriff will. Ob man seine Daten im Fall eines Zugriffs durch deutsche Behörden in einer deutschen oder in einer ausländischen Cloud liegen haben will, muss jeder selbst entscheiden.
Eine Arbeitsgruppe ist gar der Meinung, Gaia X sichere „demokratische Werte und politische Stabilität“ und man fragt sich, ob damit gemeint ist, dass alles wieder gut wird, wenn ein vollkommen fake-news-freies europäisches Facebook-Derivat auf Gaia X läuft, das selbstverständlich alle anstelle des amerikanischen Vorbildes benutzen.
Ein paar Cloudserver hinstellen und ein Framework für Edge-Computing könnten sich dann auch als eine neue Version des holzgeschnitzten Kopfhörers erweisen.
Schön geschrieben, aber: Jayapura ist eine indonesische Stadt auf Neuguinea.
Ich konnte jedenfalls keine Insel mit dem Namen finden.
Neuguinea ist eine Insel. ;)
Eine Abwandlung von „Holland ist die geilste Stadt der Welt“?
Wir haben uns für den Ellyserver entschieden und keiner außer uns kann mitlesen ;)