Frauen verdienen in Deutschland weniger als Männer. Dieser Fakt ist längst mit einer Zahl versehen: 18 Prozent. Dieser Wert zählt unter den Industriestaaten sogar zu den vergleichsweise höchsten. Deutlich positivere Beurteilungen – etwa von der OECD – erhalten vor allem Schweden und Norwegen, aber auch Italien, Spanien oder Frankreich. Selbst in Staaten wie der Türkei oder Slowenien gibt es geringere Lohnunterschiede als in der Bundesrepublik.
Dass ein großer Teil der Lohnlücke jedoch auch durch Umstände zu erklären ist, die zumindest auf den ersten Blick nichts mit dem Geschlecht zu tun haben, zeigen Studien des Statistischen Bundesamtes: Das sind vor allem Unterschiede in der Branche, der Berufserfahrung, der beruflichen Ausbildung, der Position im Unternehmen sowie in der Frage, ob Teilzeit oder Vollzeit gearbeitet wird. Wer all das herausrechnet, kommt schlussendlich auf sechs Prozent. Das klingt zwar wenig, ist aber trotzdem kein Grund zu feiern – wie dieses Rechenbeispiel zeigt:
Bei einem Bruttomonatslohn von 3.500 Euro beträgt die Lohnlücke der Frauen demnach 210 Euro. Bei einem Jahresgehalt sind das schon 2.520 Euro. Für einen Zeitraum von zehn Jahren sind es 25.200 Euro, und bei einem Zeitraum von 30 Jahren immerhin 75.600 Euro. Über ein gesamtes Arbeitsleben mit 45 Rentenbeitragsjahren verliert eine Frau in diesem Rechenbeispiel satte 113.400 Euro allein durch etwaige Benachteiligungen – was nicht zuletzt auch enorme Auswirkungen auf ihre Rente und somit ihre Absicherung im Alter hat. Das ist allerhand.
Und das ist unfair, denn halten wir fest: Die Rechnung gilt für eine Frau, die in der gleichen Branche, mit gleicher Berufserfahrung, gleicher Ausbildung und gleicher Position sowie im gleichen Arbeitszeitverhältnis wie ein Mann eingestellt ist. Es kommt nicht von ungefähr, dass hierzulande vor allem Frauen von Altersarmut betroffen sind. Im Schnitt fällt deren Rente über 65 heute um 46 Prozent niedriger aus als bei Männern. Dieser Wert wird sich in Zukunft zwar verringern, von gleichauf, sind wir aber noch weit entfernt.
Ungleiche Bezahlung: 6 Prozent sind allerhand!
Das Argument des vergleichsweise geringen Gehaltsverlustes kann eine Beispielrechnung faktisch leicht entkräften. Anstrengender wird es jedoch, wenn jemand behauptet, die Lücke sei auf freie Entscheidungen der jeweiligen Frau zurückzuführen. Sie habe sich ja aus eigenen Stücken die Karriereleiter nicht weiter nach oben gekämpft, sie habe sich ja bewusst für eine Teilzeit- anstatt Vollzeitstelle entschieden. „Was wollen die eigentlich?“, kommentieren meist Männer herablassend. Für manche Frauen mag das sicherlich zutreffen, nicht jede sieht ihr Glück im Chefinnensessel eines Unternehmens.
Es ist auch nichts verwerflich daran, wenn sie Zeit, Kraft und Engagement nicht nur in die Karriere, sondern auch in eine Familie, in Freundschaften oder in sich selbst stecken möchte und dafür Abstriche im Beruf macht. Alles gut. Und trotzdem blenden die Kritisierenden aus, dass eben auch viele Frauen, die gerne in dem besagten Sessel sitzen möchten, es durch konventionelle Ansichten, finanzielle Zwänge und gesellschaftliche Strukturen eben nicht können.
Noch immer ist beispielsweise der Anteil an Frauen in Vorständen hierzulande blamierend gering. Dass eine Frau ein Unternehmen schlechter als ein Mann führen würde und deshalb nicht nach oben kommt, ist reiner Blödsinn. Es gibt weltweit herausragende Frauen an der Spitze von Unternehmen, die tagtäglich das Gegenteil beweisen. Grund ist eine gläserne Decke, die sie nicht durchdringen, weil viele Männer lieber unter Männern bleiben und sie ihre Macht nicht mit dem anderen Geschlecht teilen wollen (konventionelle Ansichten).
Frauen gehen auch wesentlich öfter und länger in Elternzeit, weil das Gehalt des Mannes wie oben beschrieben meist höher ist und das Elterngeld dadurch eben auch höher ausfällt (finanzielle Zwänge). Und die anschließende Teilzeit aufgrund von fehlenden Kindertagesstätten zieht ebenfalls häufig eine berufliche Stagnation nach sich. Die Betreuungsquote liegt in Deutschland gerade einmal bei knapp über 30 Prozent (gesellschaftliche Strukturen).
Das sind alltägliche Widerstände, die Frauen in ihrer Entwicklung ausbremsen.
Für faire Bedingungen beim Einkommen zu sorgen, ist das eine: Der Staat kann seinen Teil durch strukturelle Verbesserungen beitragen, damit Frauen beispielsweise trotz einer Familie weiter wie gewohnt arbeiten können, und auch die Unternehmen können die Situation verbessern, indem sie die Diversität im C-Level fördern und sich so auch das Gehaltsgefüge weiter angleicht.
Die andere Seite ist aber auch, dass vor allem der Teil der Männer, der sich ignorant verhält, endlich akzeptiert, dass weniger Gehalt unter Frauen nicht allein mit einer freien Entscheidung zusammenhängt. Und dass weniger Gehalt, auch wenn es nur sechs Prozent sind, keine Lappalie ist. Ein Wertewandel lässt sich von Staat und Wirtschaft nicht vorschreiben, er muss in den Köpfen der Bürger und Bürgerinnen passieren. Dazu gehört aber auch das Anerkennen der Fakten und Lösungsansätze nicht zu relativieren. Wer das in 2022 immer noch nicht verseht, ist entweder zu ignorant, um die Debatte zu führen. Oder schlimmer: Überhaupt nicht interessiert an Gleichberechtigung.