Geoengineering in der Arktis: Dieser Ansatz ist teuer und umstritten – könnte aber vereinzelt helfen
Wie kann man verhindern, dass das arktische Meereis im Sommer nicht so schnell abtaut? Dafür will ein Team um den britischen Zoologen und Forschungsberater Cian Sherwin eine technische Lösung gefunden haben. Die Idee: Das verbliebene Eis auf dem Nordpolarmeer verdicken, indem man Meerwasser darauf gefrieren lässt. Arktisches Geoengineering könnte man das nennen.
Neues Eis für die Arktis
Das von Sherwin und seinem Co-CEO Andrea Ceccolini gegründete Startup Real Ice hat jetzt bereits testweise angefangen, Löcher ins Eis zu bohren, um das mit etwa -1,5 Grad relativ warme Seewasser unter dem Eis nach oben zu pumpen. Die Lufttemperatur beträgt zwischen -20 und -30 Grad Celsius. Das Meerwasser durchdringt die Lufteinschlüsse im Schnee und gefriert. Damit verschwindet die Isoliereigenschaft des Schnees, sodass die Kälte auch die Unterseite Eises erreicht und dort ebenfalls für Eiszuwachs sorgt.
Neu ist die Idee nicht. Bereits 2016 hatte eine Forschergruppe um Steven Desch von der Arizona State University genau dies vorgeschlagen. Er setzte damals auf zehn Millionen mit Windkraft betriebene Pumpen, um damit mindestens zehn Prozent der arktischen Meereisfläche abzudecken. Das wäre ausreichend, um das Eis nur dort zu verdicken, wo es zu dünn ist, den Sommer zu überleben.
Desch hat damals zwar nicht einmal Tests durchführen können, gehört heute aber zur Beratergruppe von Real Ice.
Tests in der Arktis auf der Größe eines Fußballfeldes
Dass dieses Pumpenprinzip funktioniert, konnte Real Ice zwischen Januar und Mai 2024 nachweisen. Auf der Fläche von der Größe eines Fußballfeldes verdickte sich in der geschützten Cambridge Bay an der kanadischen Victoria Insel in der Tat über und unter der vorhandenen Eisfläche neues Eis.
Aber dass Technik und Natur nicht unbedingt zusammenspielen, mussten die Ingenieure in einem zuvor für November 2023 geplanten Versuch erfahren. Normalerweise ist die Meeresbucht um diese Zeit bereits vereist. Doch im vorigen Jahr waren nicht einmal die Süßwasser-Seen und Flüsse auf der Insel flächendeckend gefroren. Und auch für dieses Jahr scheinen die Aussichten nicht gut, wie Sherwin Ende Oktober 2024 auf Linkedin mitteilte.
Wie Unterwasserdrohnen den Plan ausführen sollen
Um eine nennenswerte Wirkung auf das Klima zu erzielen, müssten Pumpen über riesige Flächen hinweg, Wasser an die Oberfläche bringen, um neues Eis zu erzeugen. Dazu plant Real Ice den Bau von autonomen Unterwasserdrohnen. Die sollen mit passender Ausstattung unterm Eis zu strategischen Punkten mit dünnem Eis schwimmen, dort von unten Löcher bohren und Meerwasser auf das Eis pumpen.
Gegen Ende des Winters brechen sie an den vorher vereisten Stellen erneut durch, sorgen aber dann für Schnee. Der dient im Sommer dann als Isolierschicht, um das Eis vor zu schnellem Schmelzen zu schützen. Ein in Italien gebauter Prototyp soll bereits 2025 fertig sein. Wasserstoff und eine Brennstoffzelle sollen als Antrieb für die Drohne dienen, so der Plan.
Eisschicht der Arktis
Die sommerliche Eisbedeckung des arktischen Meeres schwindet rapide, weil sich die Arktis so schnell und so stark erwärmt, wie keine andere Region der Erde.
Schon in den kommenden Jahren könnte die Arktis mit weniger als einer Million Quadratkilometern nahezu eisfrei sein. Das entspricht weniger als 20 Prozent der geringsten Ausdehnung während der 1980er Jahre. Dann fehlt die weiße Fläche, um die sommerliche Sonneneinstrahlung ins All zu reflektieren. Stattdessen würde das dunkle Meer die Strahlung aufnehmen und wärmer werden.
500.000 Drohnen für das Arktis-Meereis
Eine einzige Drohne könnte pro Saison etwa zwei Quadratkilometer Eisfläche abdecken. Um jeden Winter aber 500 Kubikkilometer zusätzliches Meereis auf einer Gesamtfläche von einer Million Quadratkilometern zu erzeugen, sind rund 500.000 Drohnen erforderlich. Gesamtkosten: Rund sechs Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Ceccolini findet, dass diese Kosten durchaus von den Regierungen über die Vereinten Nationen getragen werden könnten. Als alternative Finanzierung schwebt ihm vor, dass andere Unternehmen sogenannte „Cooling Credits“ kaufen, „Kühlungsgutschriften“ – analog zu den CO₂-Gutschriften für Aufforstungsprojekte oder die CO₂-Abscheidung aus der Luft.
Doch viele Wissenschaftler:innen sind vorsichtig, wenn es darum geht, in die Systemen der Erde einzugreifen. Sie befürchten unbeabsichtigte Folgen und sorgen sich, dass derartige Ingenieurskünste von der Notwendigkeit ablenken, die fossilen Treibhausgasemissionen schnell zu senken.
Helge Gößling und Lorenzo Zampieri vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung AWI in Bremerhaven überprüften die Annahmen der früheren Überlegungen von Desch. Doch ihr Ergebnis dürfte auch auf die Technik von Real Ice anwendbar sein. Zwar liegt ihrem ums Eismanagement erweiterten Klimamodell das „Weiter-so-wie-bisher“-Szenario zugrunde, aber inzwischen erreichen die fossilen CO₂-Emissionen jedes Jahr erneute Höhen, wie auch 2023.
Wo der Einsatz sinnvoll sein könnte
Dennoch: Tatsächlich könnte das Meereis von den Pumpen profitieren, so die AWI-Forscher. Aber nur dann, wenn man die Pumpen nur dort einsetzt, wo das Eis weniger als zwei Meter dick ist. Denn dieses Eis ist besonders anfällig für ein komplettes Abtauen. Würde man die Pumpen über die gesamt Arktis-Eisdecke verteilen, hätte das dagegen zu viele negative Auswirkungen auf die übrige Arktis und auch auf die Nordatlantik-Strömungen.
Immerhin ließe sich mit gezielt eingesetzten Pumpen der Totalverlust des Meereises zumindest bis zum Ende des Jahrhunderts verzögern. Die so erhaltene Albedo, die Rückstrahlung, würde allerdings nicht ausreichen, um den Klimawandel außerhalb der Arktis zu bremsen.
Anders Levermann, Klima- und Komplexitätsforscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, urteilte über die Arktis-Neuvereisung-Techniken im Deutschlandfunk: „Wann immer sie da eingreifen, greifen sie im Allgemeinen ins gesamte Klimasystem ein. Wir verstehen das Klimasystem bis zu einem gewissen Grad. Wir verstehen, warum die Temperatur des Planeten hoch geht, und solche Dinge. Aber die Mikrostruktur, die Strömungen, die Winde, das verstehen wir nicht in dem Detail, dass wir tatsächlich den Gedanken haben können, das Klima kontrollieren zu können. Weil da eben Dinge passieren, die kann man nicht einfach reparieren, wie man einen Toaster repariert.“