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Interview

Welche Chance bietet die Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Wenn es ums Teilen von Gesundheitsdaten geht, schrillen bei vielen die Alarmglocken. Welche Risiken, aber vor allem auch Chancen damit verbunden sind, erklärt die Medizin­ethikerin Christiane Woopen im Interview.

4 Min.
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(Abbildung: Shutterstock / RossHelen)

Christiane Woopen war Vorsitzende des Europäischen Ethikrates und Co-Sprecherin der Datenethik-Kommission der Bundesregierung. Seit Oktober 2021 hat sie die Heinrich-Hertz-Professur der Universität Bonn inne und baut ein „Center for Life Ethics“ auf. Gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung veröffentlicht sie im März die ­Studie „Techgiganten im Gesundheitswesen“.

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t3n: Welche Chance bietet die Digitalisierung im Gesundheitswesen – und zwar nicht nur für kranke Menschen, sondern auch für Menschen, die gesund bleiben wollen?

Die große Chance besteht in der Vermeidung von Krankheiten. Man kann Daten aus verschiedenen Lebensbereichen zusammenführen: aus dem Gesundheitswesen selbst und auch aus dem Alltag, etwa zu Ernährung, Bewegung und Wohnumgebung. Aus ihnen kann man etwas über Möglichkeiten zur Prävention lernen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat bereits in den 1940er- Jahren Gesundheit als einen Zustand körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens definiert, nicht nur als Abwesenheit von Krankheit. Auch wenn das in der Realität ein nicht erreichbarer Idealzustand ist, ist es als Leitidee wichtig. Das Zusammenführen all dieser Daten kommt dem Ideal des bio-psychisch-sozialen Gesundheitsverständnisses entgegen. Doch jetzt, wo es möglich ist, wird der gläserne Mensch befürchtet.

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t3n: Gesundheitsdaten sind nun mal etwas sehr persönliches, da haben viele Menschen auch große Scheu, ihre Daten zu teilen, aus Sorge vor Hacks oder auch der Weitergabe von Risikoprofilen.

Natürlich brauchen wir beim Umgang mit persönlichen Daten Schutz. Es sollte zum Beispiel gesetzlich geregelt sein, dass Gesundheitsprofile nicht von Versicherungen oder Arbeitgebern verwendet werden dürfen. Aus den Vorteilen, die durch die Daten­auswertung für die Gesundheitsversorgung entstehen können, dürfen an anderer Stelle keine Nachteile werden. Die ganz andere Frage ist allerdings, ob Menschen ihr Gesundheitsverhalten tatsächlich ändern.

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(Abbildung: Christiane Woopen / Reiner Zensen)

t3n: Damit wären wir beim Nudging. Viele Tech-Produkte sind letztlich darauf ausgelegt, uns in eine bestimmte Richtung zu schubsen: weniger daddeln, mehr bewegen, anders ­essen.

Nudging kann aber auch problematisch sein. Wir sind uns vermutlich einig, dass Gesundheit ein hohes Gut ist, es ist aber nicht das Wichtigste im Leben. Auf dem Sterbebett wird wohl niemand auf die Frage, was war das Wichtigste in Deinem Leben, antworten, „meine Gesundheit“. Wir denken viel mehr an Beziehungen zu Menschen, an Momente, in denen sich das Leben besonders sinnvoll angefühlt hat, an die guten Dinge, die wir für die Gesellschaft oder für einzelne Menschen tun konnten, an Glück, das uns geschenkt wurde. Nudging, das Gesundheit an oberste Stelle setzt, vergisst all das.

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t3n: Also ist Tracking, das Aufzeichnen von Daten, ethisch in Ordnung, aber es sollten daraus keine Vorschriften ­entstehen?

Ich lehne Empfehlungssysteme, die auch die Tech-Giganten entwickeln, nicht alle ab. Aber man sollte die eigene Lebensführung nicht an sie delegieren. Der Einzelne muss sich selbst entscheiden, was für ein Leben er führen möchte und dabei kann er auch die Gesundheit zurückstellen. Ein privates oder berufliches Ziel kann einem so wichtig sein, dass man sich die Nächte um die Ohren schlägt und auch etwas Raubbau am Körper betreibt. Tech-Giganten haben zudem über ihre massiven finanziellen Ressourcen und Kompetenzen sowie über die große Verbreitung ihrer Produkte und Services eine große Macht. Dabei haben sie sicher nicht als erstes unser aller Gesundheit im Sinn, sondern ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. Die riesigen Datenmengen, die bei den Tech-Giganten liegen, sollten auch anderen zur Ver­fügung stehen, damit Innovationen auch außerhalb dieser Oligopole entstehen können. Sonst wird ihre Gestaltungsmacht zu groß.

t3n: Sie setzen sich für Ethics-by-Design ein, was bedeutet das?

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Bei der Technologie-Entwicklung müssen die ethischen Erfordernisse von vornherein berücksichtigt werden. Die Digitalisierung halte ich zum Beispiel für ein gutes Mittel, um die Selbstbestimmung des Einzelnen zu stärken, indem er Zugang zu den eigenen Gesundheitsdaten und zu qualitätsgestützten Gesundheitsinformationen im Internet hat. Weitere ethische Anforderungen wie der Schutz der Privatheit oder die Vermeidung von Diskriminierung werden bei Ethics-by-Design von der ersten Idee an entlang des ganzen Prozesses der Technologie-Entwicklung einschließlich der Verwendung mitgedacht. Wir sind zum Beispiel dabei, eine wertebasierte Einwilligung zu entwickeln, damit der Nutzer übergreifend bestimmen kann, wer zu welchen Zwecken mit welchen Daten arbeiten darf. So könnte ich beispielsweise festlegen, dass Universitätskliniken zu Forschungszwecken immer mit meinen Daten aus der elektronischen Patientenakte arbeiten können, dass in allen anderen Fällen aber für jedes Projekt meine Ein­willigung eingeholt werden muss.

t3n: Mit Blick auf die Verbindung von Forschung und Gesundheitsversorgung plädieren Sie für ein lernendes Gesundheitssystem sowie den Einsatz von Swarm-Learning. ­Warum?

Es geht darum, in einem Kreislauf die Daten aus der alltäg­lichen Gesundheitsversorgung forschend auszuwerten, um Erkenntnisse zu gewinnen, die dann schnell wieder in der Versorgung berücksichtigt werden können. In klassischen ­Studien können zum Beispiel mögliche Wechselwirkungen zwischen ­vielen Medikamenten bei sehr alten Menschen nicht gut erhoben werden. Beim Swarm-Learning geht es darum, dass das ­algorithmische System zu den einzelnen Datentöpfen geht und nicht umgekehrt, es bedarf also keiner zentralen Datenspeicherung mit all ihren Problemen. In diesem Fall kann Technik einen Beitrag zur Lösung eines ethischen Problems ­leisten

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