Netzphänomen Ghosting: Das steckt dahinter und so gehst du damit um
Liebevolle Nachrichten, die ersten Dates, zaghafte Berührungen und Gefühle – der Anfang von Beziehungen ist etwas ganz Besonderes. Auch im digitalen Zeitalter hoffen viele Menschen darauf, irgendwann die große Liebe zu finden. Apps wie Tinder, Grindr, OK Cupid und Co sollen dabei die Suche nach dem richtigen Partner oder der richtigen Partnerin erleichtern. Allerdings lässt sich vor allem bei den Nutzern dieser Dating-Apps häufig ein unschönes Phänomen beobachten: sogenanntes Ghosting. So schnell, wie ein Kontakt hergestellt ist, wird er auch wieder abgebrochen – ohne Begründung.
Was ist Ghosting?
Der englische Begriff Ghosting kommt dem deutschen Begriff Funkstille wohl am nächsten. Gemeint ist damit, dass ein Kontakt plötzlich und ohne Begründung endet. Die verschwindende Person ist dann in der Regel gar nicht mehr zu erreichen, reagiert auf keine Nachrichten mehr und erscheint wie in Luft aufgelöst.
Es scheint, als würde Ghosting im digitalen Zeitalter immer häufiger vorkommen, dabei ist die Praxis an sich nicht neu. Schon früher sind Menschen einfach stillschweigend untergetaucht. Und dennoch sind Sätze wie „Der hat mich einfach geghostet“ oder „Sie hat einfach das Match aufgelöst“ unter Tinder-Nutzern mittlerweile Standard. Doch woher kommt das? Und wie geht man am besten mit Ghosting um? Denn egal, ob der plötzliche Kontaktabbruch für viele nichts neues mehr ist, für einige Liebessuchende ist die wortlose Funkstille häufig nur schwer zu ertragen.
„Online-Dating ghostet nicht. Es sind die Menschen, die das tun.“
„Was mit einem Wisch beginnt, wird mit einem Wisch beendet. Das lässt sich durchaus so feststellen“, sagt Eric Hegmann. Hegmann ist Paartherapeut, Single-Coach und seit vielen Jahren Berater der Dating-Plattform Parship. Allerdings habe Ghosting an sich nichts mit der Technik zu tun, sondern mit dem Charakter eines Menschen. „Online-Dating ghostet nicht. Es sind Menschen, die das tun“, sagt Hegmann klar.
Doch warum ghosten Menschen überhaupt?
„Es ist eine Frage von Verbindlichkeit und Charakter, ob jemand ghostet oder nicht“, erklärt der Paar-Therapeut. „Es geht darum, sich mit den Reaktionen des Gegenübers nicht auseinandersetzen zu müssen, die Gründe sind also Bequemlichkeit, Konfliktvermeidung und in extremen Ausprägungen Feigheit.“ Der Ghostende ist also der Fiesling? Das zu behaupten, wäre tatsächlich zu einfach. Denn es komme durchaus auch vor, dass manche Menschen sich von einem Kontakt viel mehr versprechen als der Partner. „Nach dem wievielten Kontakt ist ein Abbruch Ghosting? Nach der ersten Mail, nach dem ersten Date, nach dem ersten Sex?“, stellt Hegmann berechtigte Fragen. Jeder definiere Ghosting da für sich vermutlich anders, je nach eigenem Bindungsverhalten.
Trotzdem kann Ghosting natürlich Folgen haben, egal, an welchem Punkt einer Beziehung ein Kontaktabbruch erfolgt. Vor allem einen grundsätzlichen Vertrauensverlust in neue Kontakte kann das geghostet werden nach sich ziehen. „Ich beobachte bei Betroffenen Frustration, Schädigung des Selbstwertgefühls und bei einigen auch Depressionen“, sagt Hegmann. Meist führe die Enttäuschung auch dazu, dass Betroffene mit noch mehr Skepsis auf Partnersuche gehen und in einen Kreislauf von negativen, sich selbst erfüllenden Prophezeiungen geraten.
Wie geht man am besten mit Ghosting um?
Viele Betroffene von Ghosting kommen zu Single-Coach Hegmann in die Beratung, um Erlebtes zu verarbeiten. „Dabei geht es weniger um den Liebeskummer und das Verlassen werden selbst, sondern um den Verlust des Vertrauens, sich auf einen Menschen überhaupt einlassen zu können“, sagt er. „Ghosting hat Potential, Bindungsängste und Bindungsstörungen zu erzeugen oder zu verstärken, wenn diese bereits vorhanden sind.“ Wenn Betroffene stark unter Ghosting leiden, helfe häufig nur eine therapeutische Begleitung, um wieder eine sichere Bindungshaltung zu entwickeln. Sich von dem Negativkreislauf des Ghosting abgrenzen, kann aber in weniger dramatischen Situationen bereits helfen.
Vor Ghosting schützen kann man sich in jedem Fall leider nicht. Schließlich ist es ja das, was Ghosting ausmacht: dass es einen unvorbereitet trifft und Betroffene keinerlei Einfluss nehmen können. Wer sich schon von vornherein auf Ghosting einstellt, kann sich am Ende auch keiner neuen Verbindung öffnen. „Zur Partnersuche gehören Mut und Vertrauen, sonst bleibt sie erfolglos“, sagt Hegmann. „Ghosting zerstört genau dies und das macht es so schädlich und schändlich.“