Google und das Projekt Bernanke: Warum ein Vertrauensverlust allen schadet
Es war eine dieser Pannen, wie sie nur ganz selten geschehen: Über versehentlich ungeschwärzte Dokumente, die Google in einer vom US-Bundesstaat Texas angestrengten Wettbewerbsklage gegen das Unternehmen vor Gericht einreichte, kam vor einigen Wochen heraus, dass Google im Rahmen eines als „Projekt Bernanke“ bezeichneten Projekts ein System betrieben hat, das dem Unternehmen bemerkenswerte finanzielle Vorteile im Werbemarkt verschafft hat. 230 Millionen US-Dollar Gewinn soll das dem Konzern allein 2013 gebracht haben – in einer Zeit, die mit dem heutigen Werbevolumen und den damit verbundenen Umsätzen kaum vergleichbar ist.
Google hat die Dokumente umgehend zurückgezogen, doch die Katze war natürlich bereits aus dem Sack, wie das Wall Street Journal korrekt bemerkt. Google hat hier, so der Vorwurf, offenbar seine Marktmacht tatsächlich dazu benutzt, um „Preise für Internetwerbung zu kontrollieren, ein Kartell zu bilden und Auktionen zu manipulieren“, wie es Ken Paxton, Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Texas, formulierte. Dabei werden im Rahmen der Realtime-Auktionen Werbeplätze versteigert, wobei Google dieses Inventar der Publisher selbst vermarktet, gleichzeitig aber auch auf die Flächen mitbietet, die die eigenen Seiten vermarkten sollen. Google verfügt hier über eine immense Datenmenge aus vorhergehenden Auktionen, die das Unternehmen dazu genutzt haben könnte, um passende Gebotspreise für die jeweiligen Werbeflächen abzugeben. So gewinnt das Unternehmen zwar das Rennen um den Werbeplatz, überbietet aber möglichst nur gering.
Google hat hier eine ungute Doppelrolle, wie sie Plattformbetreibern, die gleichzeitig Handelsteilnehmer sind, eigen ist (die Diskussion kennen wir ja regelmäßig, wenn es um Amazon geht). Woher der Begriff Bernanke kommt, dazu lässt sich trefflich mutmaßen: Naheliegend ist die Anspielung auf den US-Zentralbankchef, der in der Zeit, in der das gleichnamige Google-Projekt entstand, noch über die Geschicke des Geldes der USA entschied. Ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein, das der Konzern da vertritt.
Google selbst weist erwartungsgemäß die Vorwürfe von sich – ein Sprecher erklärt gegenüber dem Wall Street Journal, man nutze hier keine exklusiven Informationen, sondern lediglich Daten, die mit anderen Verkäufer-Tools im Online Marketing vergleichbar und ohnehin vorhanden seien. Google fühlt sich hier, so formuliert es das Unternehmen gegenüber der Redaktion, missverstanden.
FLoC als nächster Schauplatz für mögliche Wettbewerbsklagen
Wie lange und mit welchen Auswirkungen es das Projekt Bernanke gab oder gibt, ist unklar. Was aber noch in Sachen Übermacht im Werbemarkt hinzukommt, ist die aktuelle Diskussion um die Werbekohorten (FLoC). Diese werden in den kommenden Monaten möglicherweise perfektioniert werden; das hängt aber auch davon ab, wie sehr die Browserhersteller hier mitziehen. Einer davon ist Google mit Chrome, der mit weltweit rund zwei Dritteln Marktanteil weit vor allen Mitbewerbern liegt. Selbst Firefox und Apple mit Safari kommen auf gerade einmal zehn beziehungsweise sieben Prozent. Vivaldi, Brave, Duckduckgo und ein paar andere kleine Player der Branche haben das FLoC-Konzept bereits kritisiert – wie sich der Rest des Marktes positioniert, bleibt abzuwarten.
Sicher ist aber bereits heute, dass das Ende der Third-Party-Cookies, das ja auch gerade deswegen eingeläutet worden war, um die Übermacht der zwei, drei großen Werbenetzwerke etwas zu reduzieren, nicht bedeutet, dass kleinere Ad-Networks in Zukunft bessere Chancen haben. Und es wird ebenso nicht dazu führen, dass Publisher, die ihre Werbeplätze anbieten, fairer und besser entlohnt werden.
Spricht man mit Mitarbeitern von Media-Agenturen, so wird auch schnell deutlich, dass ein solches Verhalten, wie es Google mit dem Projekt Bernanke gezeigt haben soll, in der Branche nachhaltigen Schaden anrichten könnte. Denn unterm Strich ist in der Komplexität der Werbeausspielungen und Vergabe von Werbeplätzen Vertrauen die oberste Grundlage – und gerade eine Plattform, die einerseits Plattformbetreiber, andererseits aber auch auf Seite der Handelnden aktiv ist, muss hier sensibel agieren.
Das betrifft Google, aber in gleicher Weise auch andere Netzwerke. Weder der Werbetreibende selbst noch seine Agentur kann zweifelsfrei bis ins Detail nachverfolgen, ob die Werbebotschaft genau die gewünschte Zielgruppe erreicht hat, ob Ad-Fraud im Spiel war oder auch ob die Werbung tatsächlich in einem fürs Unternehmen attraktiven Umfeld stattgefunden hat. Für Werbetreibende bleibt hier ein Restrisiko, das die Media-Agenturen und Dienstleister mithilfe zusätzlicher Technologieanbieter zu reduzieren versuchen.
Quo vadis, Onlinewerbung?
Noch können sich Facebook und insbesondere Google angesichts stetig steigender Umsätze und Gewinne speziell im Werbebereich entspannt zurücklehnen. Für die Werbetreibenden ist die Wahl der großen US-Werbenetzwerke mit ihrem weiter steigenden Marktanteil alternativlos. Doch ein fader Beigeschmack bleibt insbesondere, weil die Media-Agenturen immer mehr zusätzliche Kontrollmechanismen einbauen müssen – und wiederum auch selbst eine Art Doppelrolle erfüllen. Schließlich erklärt keine Agentur dem Kunden gerne, dass die von ihm gebuchten und von der Agentur umgesetzten Media-Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben oder gar zu teuer eingekauft waren.