Der größte Fehler in der Geschichte der Otto Group?
Otto, das Tochterunternehmen der Otto Group, hat vor kurzem sein neues Händler-Backend Brand Connect angekündigt. Das Backend soll den Partnern von Otto helfen und so den Wandel des Onlinehändlers zur Plattform begünstigen. Selbstbewusst bezeichnet Bereichsvorstand Marketing Marc Oppelt in der Pressemeldung des Onlinehändlers die Weiterentwicklung zur Plattform als „die größte Veränderung in der Geschichte von Otto“. Das ist nicht falsch. Aber das neue Backend könnte auch ein Anzeichen für den größten Fehler in der Geschichte der Otto Group sein: eine fehlende, gemeinsame Basis.
Otto: Von der größten Veränderung zum größten Fehler in der Geschichte des Unternehmens?
Die wichtigsten Unternehmen der Otto Group sind seit einiger Zeit auf dem Weg zur Marktplatz. Die Strategie der gesamte Gruppe zielt darauf ab, mehr Plattform-Geschäft zu etablieren. Am 28. Februar stellte der Onlinehändler Otto, das namensgebende Zugpferd der Gruppe, seine Jahresergebnisse vor. Otto bemüht sich dabei, deutlich hervorzuheben, wie die Umwandlung vom Shop zur Plattform im vergangenen Jahr gelungen ist.
Sowohl Zahlen als auch technologische Weiterentwicklungen des Händlers sollen dabei belegen, dass der Händler mit Elan auf seinem Weg zur Plattform voranschreitet: Mehr als 100 Millionen Euro sollen in den Umbau zur Plattform investiert werden. Dass Händler von heute gleichzeitig Technologie-Unternehmen sein sollten, berücksichtigt Otto dabei: 580 der 1.380 Stellen, die Otto in den nächsten zwölf Monaten besetzen will, sind im IT-Bereich angesiedelt.
Das Highlight des vergangenen Geschäftsjahres dürfte dabei das neue Backend für Händler auf der neuen Otto-Plattform sein: das Portal „Brand Connect“. Dieses Portal dient als Self-Service-Tool für Marken und Händler, die ihre Produkte auf Otto.de verkaufen wollen. Es soll alle Prozesse und Services an einer Stelle bündeln, die Verkäufern auf der Plattform zur Verfügung stehen. Brand Connect bietet Einsicht in Verkaufszahlen, Analytics-Funktionen, Buchungen von Werbung, Warenwirtschaftsfunktionen und einiges mehr. Im Prinzip Ottos Version von Amazons Sellercentral.
Obwohl das Portal an sich ein wichtiger und richtiger Schritt ist, deutet es gleichzeitig auf den potenziell größtmöglichen Fehler in der Geschichte des gesamten Otto Group hin. Die Gruppe baut einzelne Tochtergesellschaften zu Plattformen aus und schafft, wie im Fall des Portals Brand Connect bei Otto, dringend notwendige Backend-Strukturen für Marken und Händler. Bisher ist aber kein Ansatz zu erkennen, dass diese Infrastrukturen übergreifend für die ganze Gruppe errichtet werden. Dabei ist das zwingend notwendig, ein Verzicht auf eine zentrale Infrastruktur wäre ein kapitaler Fehler.
Einfach alles frakturiert: Hürden auf dem Weg der Otto Group zur Plattform
Um vom Händler zur Plattform zu werden, muss ein gewaltiger Wandel in einem Unternehmen vollzogen werden. Geht es um eine Unternehmensgruppe wie die Otto Group, dann ist die Herausforderung um ein vielfaches Größer. Um nur einen Aspekt der IT-Infrastruktur zu betrachten, die frakturierte Systemlandschaft: Viele Tochtergesellschaften nutzen unterschiedliche Shop-, Warenwirtschafts- und Business-Intelligence-Systeme.
Deshalb wäre es naiv, ein zentrales Backend nach Art der Amazon-Sellercentral zu fordern, das alle Tochtergesellschaften unter einen Hut bringt. Leider wäre genau das notwendig, um ein schnelles Wachstum einer Plattform zu fördern. Otto hat vielfältige Potenziale für Synergieeffekte wie Marketing, Logistik, Finanzierung, Sourcing und die verschiedenen „Absatzkanäle“ in Form der Tochtergesellschaften. Wenn die Prozesse für potenzielle Handelspartner auf den verschiedenen Plattformen der Otto Group nicht zentralisiert werden, dann wird das zulasten des Wachstums gehen. Partner brauchen dann mehr Zeit und investieren mehr Aufwand in den Start auf den einzelnen Plattformen. Viele Partner werden auf den Aufwand verzichten oder Hemmungen zeigen. Synergien werden verloren gehen.
Die Lösung: Zentrale Organisation, aber dezentrale Ausführung
Dass jedes Tochterunternehmen der Gruppe eine eigene Infrastruktur braucht, ist nachvollziehbar. Zwar gibt es mit der neuen About-You-Cloud, die auch bei einigen weiteren Tochterunternehmen der Otto Group zum Einsatz kommen soll, einen Ansatz für eine gemeinsame technologische Basis für die Infrastruktur. Diese lässt sich aber nicht von heute auf morgen über die bestehende Infrastruktur „überstülpen“.
Eine mögliche Lösung wäre ein zentrales Backend mit einer zentralen grafischen Oberfläche, das als Connector zu den einzelnen Plattformen und gemeinsame Datenbasis dient, sowie Prozesse, die sicherstellen, dass die neuen Plattform-Backends der Tochterunternehmen strukturell in das übergreifende Plattform-Gefüge passen. Außerdem ein übergreifendes, operatives Plattform-Management, das sich um die aktive Implementierung von Synergieeffekten kümmert. Beispielsweise neue Produkte und Services für Händler zentral entwickelt, die dann in die übergreifende Plattform eingeführt werden können.
So könnte eine Marke oder ein Händler zentral an Bord geholt werden und dann alle Möglichkeiten erkennen, die sich ihm innerhalb der Otto Group bieten. Der Händler könnte den Onboarding-Prozess zentral einmal durchlaufen und dann sukzessive auf verschiedene passende Otto-Onlineshops aufgeschaltet werden.
Die Otto Group nutzt immer mehr interne Ressourcen gemeinsam, damit die Tochterunternehmen auch vom Know-how und von den Möglichkeiten anderer Otto-Unternehmen profitieren. Der nächste zwingende Schritt ist es, diese internen Ressourcen jetzt auch Partnern zentral verfügbar zu machen. Nur auf einzelne Plattform-Backends wie das Brand-Connect-Portal von Otto.de zu setzen, würde sich als ziemlich großer Fehler der Otto Group erweisen. Darüber lässt sich sicherlich streiten, aber angesichts des rasanten Wachstums, das Plattformen wie Amazon hinlegen, könnte eine große Wachstumsbremse wirklich zum größten Fehler in der Konzerngeschichte werden.
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Sehr gut analysiert. Bei Otto haben solche Fehler System und so wie ich das Unternehmen einschätze, wird es an den eigenen Strukturen implodieren. Es gab schon immer bei Otto eine Kernschwäche: „Strategie ohne stringente Umsetzung und klare Linie“
Ein Amazon-Killer sieht anders aus ;)