Anzeige
Anzeige
Kommentar
Artikel merken

„Wir sind wie eine große Familie“ – warum diese Chef-Floskel problematisch ist

„Wir sind wie eine große Familie: Wir helfen uns gegenseitig, geben aufeinander acht und unterstützen uns, wo wir nur können.“ Habt ihr diesen Satz auch schon oft in Stellenausschreibungen gelesen oder vielleicht sogar erst neulich wieder von eurem Chef gehört?

Von Samira Helbig
5 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

(Foto: Rawpixel.com/Shutterstock)

Wertschätzung und Lob, Zufriedenheit und Loyalität sowie eine gute Beziehung zum Chef: Laut einer Studie mit über 50.000 Teilnehmern zählen diese Werte für Arbeitnehmer zu den wichtigsten Kriterien im Job. Da liegt es fast auf der Hand, die eigenen Mitarbeiter und das Kollegium als Familie zu bezeichnen. Gerade in Krisenzeiten, in denen wir uns besonders nach Sicherheit sehnen, scheint der Familienbegriff deshalb ein regelrechtes Comeback zu feiern. Doch dieser Ausdruck weckt bei Arbeitnehmern unrealistische Erwartungen – und bringt weitreichende Probleme mit sich.

„Wir sind wie eine große Familie“: 7 Gründe, warum dieser Satz falsch ist

1. Eine Familie verfolgt keine Ziele

Anzeige
Anzeige

Was zeichnet eine Familie eigentlich aus? Früher dienten Familien vor allem dazu, das Überleben zu sichern und waren rein praktischer Natur, doch heute hat sich die Bedeutung einer Familie grundlegend geändert: Mit unserer Familie sind wir emotional verbunden, wir stärken uns und helfen einander. Die Familie beschränkt sich auch nicht mehr nur auf die biologische Verwandtschaft oder Heirat, sondern findet immer neue Formen. Nicht selten werden deshalb auch gute Freunde immer häufiger Teil unserer Familie. Quartalsziele, Gewinnsteigerung und Akquise stehen beim gemeinsamen Abendessen allerdings nicht auf der Tagesordnung, denn: Eine Familie verfolgt keine Ziele, sondern ist ein konstantes Konstrukt.

2. In einer Familie musst du keine produktive Leistung erbringen

Auf der Arbeit wird von dir Leistungsbereitschaft und Produktivität erwartet, dafür wirst du am Ende des Monats entsprechend entlohnt. Produktive Mitarbeiter sind der Kern eines erfolgreichen Unternehmens. Deshalb funktionieren sie auch – im Gegensatz zu einer Familie – nach dem Quid-pro-Quo-Prinzip: Du gibst etwas und bekommst entsprechend eine Gegenleistung zurück. Klar, ein Tief kannst du dir auch in deinem Job mal erlauben – schließlich können wir nicht immer 100 Prozent Leistung erbringen. Doch am Ende ist das Unternehmen trotzdem auf deine Unterstützung als Mitarbeiter angewiesen – im Gegensatz zu deiner Familie: Die gibt dir Schutz, wenn es auch mal über einen längeren Zeitraum nicht so läuft, wie es soll.

Anzeige
Anzeige

3. Unternehmen können in Krisenzeiten nur bedingt Sicherheit bieten

Gerade in diesen Krisenzeiten merken wir alle, wie wichtig es ist, dass wir einander haben – und dass ein Unternehmen keine Ähnlichkeit mit einer Familie hat: Schließlich haben wir plötzlich 10,7 Millionen Arbeitnehmer, für die ein Antrag auf Kurzarbeit gestellt wurde sowie 2,8 Millionen Menschen, die sich derzeit in Arbeitslosigkeit befinden. Diese Entscheidungen mussten getroffen werden, um das Überleben dieser Firmen zu sichern mit eindeutigen Nachteilen für die Mitarbeiter. Schutz und Rückhalt in dieser Zeit bietet uns dann unsere Familie – und zwar die, die daheim auf uns wartet.

Anzeige
Anzeige

4. Eine Kündigung fühlt sich wie eine Trennung an

Manchmal ist es dann so weit und ein Unternehmen entscheidet: Uns geht es wirtschaftlich schlecht und wir müssen Mitarbeiter entlassen. Oder: Du bringst leider nicht mehr die Leistung, die dein Unternehmen aber braucht, um weiter wirtschaftlich sein zu können. Wer zuvor in diese Familienbande integriert war und sich emotional auf dieses Konstrukt eingelassen hat, fühlt sich nun doppelt vor den Kopf gestoßen: Plötzlich wird nicht nur die berufliche, sondern auch die emotionale Bindung gekappt. Gerade beim „Verlassen“ der Kollegen schwingen hier viele Emotionen mit. Das kann bei Arbeitnehmern schnell zu großem Frust und Unverständnis führen, was das Verhältnis zum Chef und/oder Unternehmen nachhaltig negativ beeinflussen kann.

5. Der Familienbegriff macht es schwierig, am Unternehmen konstruktive Kritik zu üben

Wenn deine Oma Kekse gebacken hat, die ausnahmsweise mal nicht ganz so lecker waren, ist das trotzdem eine schöne Geste von ihr. Wenn sie in zwei Wochen wieder Kekse backt, die dieses Mal aber nicht für alle gereicht haben, beschweren wir uns auch nicht, sondern freuen uns auf die nächste Backrunde. Wenn du jedoch auf der Arbeit von deinem Chef außen vor gelassen wirst, nicht entsprechend gut behandelt oder gar schlecht entlohnt wirst, ist das eine andere Geschichte. Emotionale Distanz ist wichtig, um Situationen und Geschehnisse objektiv bewerten zu können. Wird der Familienbegriff in einem Unternehmen stark etabliert, können Mitarbeiter unter Umständen ihren Arbeitgeber nicht mehr konstruktiv bewerten. Das kann letztlich dazu führen, dass sich viele Störfaktoren anstauen und ungelöst bleiben, da der Mitarbeiter das Gefühl hat, keine Kritik üben zu dürfen.

Anzeige
Anzeige

6. Familien bewerten sich nicht gegenseitig

Das Gleiche gilt auch in Bezug auf die Teamarbeit: Was wäre das bloß für ein Gefühl, wenn ihr am Abend von euren Geschwistern oder Eltern für eure Leistung bewertet werden würdet? Oder wenn die Kekse der Oma Noten bekommen würden? In der Familie wertschätzen und unterstützen wir uns, ohne ein entsprechendes Äquivalent als Gegenleistung zu erwarten. In einem Unternehmen erbringen wir gute Leistungen, um für Wachstum und Fortschritt in der Firma zu sorgen. Gegenseitiges Feedback hilft uns dabei, uns zu verbessern. In diesem Kontext sind Bewertungen also überaus relevant, damit wir dazulernen können.

7. Unternehmenskultur bedeutet nicht gleich Familienleben

Der Gedanke liegt nah. Wir verbringen einen Großteil unserer Woche im Büro mit den Kollegen. Dazu kommt eine zunehmende Abflachung der Hierarchien und Verschwimmen der Grenzen zwischen Büroleben und Homeoffice. Die Zusammenarbeit fühlt sich immer familiärer an, beim Feierabendbier wird über Privates gesprochen und man hilft sich auch mal beim Umzug. Doch auch hier ist eine professionelle Distanz wichtig. Denn gibt man noch ehrliches Feedback, wenn man am Wochenende davor dem Kollegen beim Umzug geholfen oder gemeinsam ein Bier über den Durst getrunken hat? Das bedeutet nicht, dass man das Feierabendbier ausfallen lassen soll. Dennoch gibt es Grenzen zwischen dem, was man mit seiner Familie teilt, und dem, was man mit zur Arbeit bringt. Und dieses Bewusstsein darf auch in einer gut gelebten Unternehmenskultur nicht verloren gehen.

Team-Zusammenhalt fördern: Ja, aber mit dem richtigen Begriff!

Eine Metapher kann durchaus dazu beitragen, den Zusammenhalt im Team zu stärken – wenn es denn die richtige Metapher ist. Dafür gibt es viele verschiedene Möglichkeiten und Synonyme. Manche Firmen wählen den Begriff der Bergsteiger oder Wanderer, die gemeinsam die größten Berge erklimmen wollen. Andere greifen auf eine Sportmannschaft zurück, die als Team den nächsten Sieg davontragen will. Auch eine Raumschiff-Crew kann eine tolle Metapher bieten: Die „Besatzung“ denkt an das große Ziel und ist der Teil „Unternehmens-Rakete“, die gemeinsam abheben will. Evolutionäre Organisationen sprechen bei ihren Teams sogar gern von lebendigen Systemen oder auch Ökosystemen, die sich selbst organisieren dürfen.

Anzeige
Anzeige

Unternehmen stehen also eine ganze Fülle an passenden und inspirierenden Begriffen zur Verfügung, ohne sich an dem ausgezehrten Familienbegriff bedienen zu müssen. Die Folgen einer Metapher für das eigene Team können weitreichend sein und bei der falschen Wahl ernstzunehmende Konsequenzen mit sich bringen. Wer sich jedoch für den richtigen und passenden Terminus entscheidet, kann eine neue Ebene der Zusammengehörigkeit im Unternehmen erreichen.

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Ein Kommentar
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Britta Elling

Ich denke, dass die Familie das beste Vorbild für ein Unternehmen ist und es sich lohnt, in „familiäre“ Strukturen zu investieren. Denn die Familie ist ein Erfolgskonzept, das sich seit Jahrtausenden bewährt hat.

Auf den ersten Blick scheint es so, als ob eine Familie kein Ziel verfolgt, aber wenn wir nur ein paar Generationen zurückblicken oder uns vor Augen führen, warum Menschen auch heute noch ihr Zuhause aufgeben, wird deutlicher, dass es sehr wohl ein Ziel gibt: das Überleben und den möglichst gesicherten Fortbestand.

Um das Überleben zu gewährleisten, war und ist man auch heute noch auf Produktivität angewiesen. Bringt Papa kein Mammut mit nach Hause, muss die Familie hungern. Gerbt die Familie keine Felle, wird gefroren, sammeln die Kinder keine Früchte oder helfen auf den Feldern, ist das Überleben der Familie gefährdet, wenn Papa mal keinen Erfolg hat.

Zugegeben, das Bild ist angestaubt, aber es lässt sich durchaus auf die heutige Zeit übertragen. Verdienen alle Erwachsenen in einer Familie, steigt der Lebensstandard, die Bildung. Die Investitionen in gesunde Ernährung und Sport verlängert das Leben. Die Älteren tragen dazu bei, in dem sie auch heute noch auf Kinder aufpassen oder mit ihrem Wissen die Familie unterstützen. Je besser dieses Zusammenspiel funktioniert, desto erfolgreicher ist eine Familie. Die Zukunft ist gesichert und sie gewinnt an Einfluss, sozialem Status.

Die Familie steht für größtmöglichen Schutz, aber auch in der Familie steht das Überleben an erster Stelle. Die Gemeinschaft ist seit jeher bereit, einzelne zu opfern, wenn dafür das Wohl, der Fortbestand der Mehrheit gewährleistet wird. Tut sie das nicht, ist der Preis dafür u.U. der Untergang. Wer kann also einem Unternehmen nachtragen, dass es für das Überleben, schlanker werden muss?

Und was das eigene Gefühl betrifft, wenn man diese Familie verlässt? Manchmal entwächst man ihr oder braucht ein anderes Umfeld, um den eigenen Stärken gerecht oder seinen eigenen Schwächen bewusst zu werden. Mit dem Gefühl der Trennung zu gehen, sehe ich durchaus positiv, denn es heißt, dass man etwas aufgibt oder aufgeben muss, dass einem wichtig war.
Wünscht sich ein Arbeitgeber wirklich einen Mitarbeiter, der jederzeit bereit ist, all die Zeit, die er in ihn und die „Familie“ investiert hat, hinter sich zu lassen? Oder wünscht man sich einen Arbeitgeber, der den Namen nur von der Gehaltsliste kennt?

Wer glaubt, dass eine Familie alle Verfehlungen toleriert, hat nie beim Arzt eine der berühmt berüchtigten Klatschzeitungen gelesen. Frust, Wut, Missachtung baut sich auf und entlädt sich auf vielfältige Weise. In der Geschichte gibt es mehr als genug Beispiele, was passiert, wenn Familien ihre Probleme nicht in den Griff bekommen. Sie zerbrechen, sie zerstören sich gegenseitig. Nirgends wird erbitterter gekämpft, um Aufmerksamkeit gebuhlt oder auch mal jemand bewusst ausgegrenzt. Eine Familie ist kein Weichspülprogramm, sie ist ein Überlebenskampf.

Es gewinnt die Familie, der es gelingt, alle Charaktere unter einem Dach zu vereinen und ihnen dabei das Gefühl gibt, am richtigen Platz zu sein. Ob es Verständnis, Schulung, sanfter Druck oder Unterstützung in schwierigen Phasen ist, bis die Familie auch wieder von diesem Mitglied profitiert.

Und wer ist noch nie mit einem anderen Familienmitglied verglichen worden? „Harald hat immer gute Noten geschrieben, Lieselotte backt den besten Kuchen und Gitta hat eine Figur wie ein Topmodel.“
Ich wage zu behaupten, dass Familien das Bewertungssystem erfunden haben, während im Tierreich aussortiert wird, wer sich nicht behaupten kann.

Familie ist von Anfang an ein Wettstreit. Es reicht, zwei Mütter mit etwa gleichaltrigen Kindern an einen Kaffeetisch zu setzen. Wie lange es wohl dauert, bis Vergleiche angestellt werden? Welches Kind konnte zuerst laufen? Welches hat zuerst „Mama“ gesagt? Der Wettkampf liegt uns im Blut. Es gilt ihn bewusst zu nutzen, statt ihn auszunutzen.

Sollten wir uns also alle in die Arme fallen und die zweite Familie auf der Arbeit ausleben wie unsere eigene?

Wer heiratet oder eine dauerhafte Partnerschaft eingeht, erlebt, was es heißt, wenn aus zwei Familien eine wird. Das gelingt nur bedingt.
Es gibt einen Unterschied, ob man mit jemandem aufgewachsen ist oder ihn erst als Erwachsenen kennenlernt. Diese Distanz trägt zum Überleben der eigenen Familie bei, denn wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, gibt es die Möglichkeit, die Entfernung wieder herzustellen.

Ein Unternehmen kann also höchstens als Zweitfamilie auftreten, aber wenn sie das schafft, sorgt sie dafür, dass die Gemeinschaft, das Fortbestehen und den Ausbau dieser familienähnlichen Verbindung vorantreiben wird.

Ein cleverer Familienvorstand weiß, wie er jeden so einbinden kann, dass sich Stärken und Schwächen ergänzen, niemand auf der Strecke bleibt und trotzdem das Familienziel erreicht wird. Überleben. Fortbestand. Und Stolz darauf zu sein, Teil dieser Familie zu sein.

Antworten

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige