Handyverbot an Schulen: Sinnvoller Schutz oder überholte Bevormundung? Ein Pro und Contra

Hessens Kultusminister Armin Schwarz (CDU) machte sich vor Weihnachten für ein flächendeckendes Verbot von Smartphones an Schulen stark und sein Kollege aus Thüringen, der CDU-Bildungsminister Christian Tischner, plant immerhin ein Handyverbot an Grundschulen. In Kanada und Australien gelten vergleichbare Verbote bereits – ebenso in Frankreich und England, wo die Nutzung von Mobilgeräten in modifizierter und abgeschwächter Form eingeführt wurde.
Bekanntermaßen liegt die Hoheit über die Schulen bei den Ländern, doch in Punkten wie diesen würde ein einheitliches Vorgehen – ähnlich wie bei vielen IT-Themen rund um die Schulfamilie – durchaus Sinn ergeben. Dennoch gelang es Schwarz nicht, im Rahmen der Kultusministerkonferenz einen gemeinsamen Weg zu finden. Bislang entscheiden Schulen in den meisten Bundesländern sogar noch weitgehend eigenständig darüber, welche Rolle Smartphones im Schulalltag spielen, wann Schüler:innen sie nutzen dürfen und vor allem, welche Anwendungen nicht willkommen sind.
Doch ist das überhaupt sinnvoll, Kinder und Jugendliche in dieser Form von der Smartphonenutzung auszuschließen? Wo liegen die Grenzen und welche Ziele wird ein solches Gesetz nicht erfüllen können? – Auch in der t3n-Redaktion wurde dies kontrovers diskutiert. Die Argumente pro und contra Handyverbot haben unsere Kollegen Gregor Honsel und Tobias Weidemann ausgetauscht:
Pro: Ein Smartphoneverbot sorgt für mehr Konzentration und Höflichkeit
… sagt Gregor Honsel, Redakteur Energie und Mobilität bei MIT Technology Review
Wenn ihr glaubt, Ihr könnt Multitasking – vergesst es. Niemand kann es. Kinder schon gleich gar nicht. Wer will sich schon auf den Unterricht konzentrieren, wenn Tiktok ständig griffbereit ist? Eine OECD-Studie stellte 2024 fest: „Die exzessive Nutzung digitaler Geräte zum Vergnügen im Klassenzimmer kann sich negativ auf die schulischen Leistungen auswirken.“ Schon das alleine wäre Grund genug, Smartphones aus Schulen zu verbannen.
Natürlich sind auch viele Erwachsene damit überfordert, einfach mal für eine Stunde die Finger vom Smartphone zu lassen (ich selbst eingeschlossen). Aber das macht die Sache nicht besser. Ein Argument mehr, den zeitweiligen Entzug frühzeitig zu trainieren.
Das zweite große Problem ist das Cybermobbing. Zwei Erziehungswissenschaftler der Uni Augsburg haben fünf Studien zu den Folgen eines Smartphoneverbots in anderen Ländern ausgewertet. „Die zentrale Beobachtung ist, dass sich die Pausen dadurch komplett verändert haben“, sagte Co-Autor Klaus Zierer gegenüber 3Sat nano. „Die Schülerinnen und Schüler haben wieder mehr miteinander gespielt und gesprochen. Außerdem konnte das Cybermobbing zurückgedrängt werden.“ Selbst viele Kinder waren im Nachhinein froh über ein Handyverbot. Die Erfahrungen nach einem Jahr Handyverbot in den Niederlanden sind etwas widersprüchlicher: Bei Eltern und Lehrer:innen hat die Zustimmung zugenommen, bei Schüler:innen hat sie abgenommen.
Schuleigenes Tablet statt BYOD-Smartphone
Ein Handy-Verbot an Schulen steht nicht im Widerspruch dazu, Kinder an digitale Medien heranzuführen. Die OECD-Studie stellt fest: „Der Zugang zu digitaler Technologie ist für die Bildung unerlässlich; es sollten Anstrengungen unternommen werden, dass alle Schüler Zugang zu den notwendigen Werkzeugen und Ressourcen haben – mit altersgerechter Unterstützung und unter Aufsicht von Erwachsenen.“ Dafür sind schuleigene Tablets aber besser geeignet als private Smartphones – schon deshalb, weil auf ihnen keine persönlichen Messenger-Apps installiert sind.
Noch ein dritter Grund spricht gegen Smartphones an Schulen: Höflichkeit. Wer in der Gegenwart anderer ständig auf dem Gerät herumdaddelt, signalisiert: Alles Mögliche ist mir gerade wichtiger als die realen Menschen um mich herum. Ich persönlich finde das extrem nervend. Dass es Erwachsene nicht besser machen – geschenkt. Schulen könnten mit strengeren Smartphone-Regeln aber immerhin ein gewisses Problembewusstsein wecken.
Contra: Ein pauschales Smartphoneverbot ist nicht zeitgemäß
… sagt Tobias Weidemann, freier Redakteur E-Commerce bei t3n.
Wohl kaum ein Thema führt in Familien ab einem bestimmten Alter der Kinder zu so viel Diskussionen wie die vernünftige Nutzung des Smartphones – denn wohl kein Medium hat unseren Alltag in den letzten Jahren so einschneidend verändert. Doch gerade deswegen wäre es falsch, Schulen pauschal zur Smartphone-Verbotszone zu erklären. Das hat selbst die Unesco als UNO-Organisation für Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation eingesehen, die zu Recht argumentiert, dass wir nicht umhinkommen, Schüler:innen auf die Herausforderungen der Onlinewelt vorzubereiten – und dazu gehören nun mal auch emotionale, psychologische und kognitive Aspekte im Umgang mit digitalen Medien.
Natürlich sollen Jugendliche nicht Unterrichtsstunden bei Tiktok streamen oder andere Mitschüler per Cybermobbing oder Hatespeech verfolgen. Dass ein solcher Einsatz nicht rechtens ist, versteht sich von selbst – und wird auch durch das Verbot des Mobilgerätes nicht unterbunden werden. Dagegen wäre es ein guter Ansatz, über angemessene Mediennutzung und die Bewertung von Inhalten zu sprechen, darüber, was soziale Medien mit uns machen und wie wir sie einsetzen.
Pädagogische Konzepte müssen her
Das setzt allerdings voraus, dass der Umgang mit dem Handy pädagogisch begleitet wird und die Lernkonzepte entsprechende Elemente enthalten, die nicht (wie in deutschen Schulen leider die Regel) heillos veraltet sind. Es erfordert aber auch, dass Lehrer:innen über entsprechendes Know-how im Umgang mit Mobilgeräten verfügen und beispielsweise nicht wegschauen, wenn die Schüler:innen hier Dinge tun, die auch ohne das Handy nicht okay wären.
Davon abgesehen hat eine Untersuchung im Rahmen der Pisa-Studie ergeben, dass ein generelles Handyverbot gar nicht sinnvoll durchsetzbar ist – und dass es seinen Zweck nicht erfüllt. Demnach gaben 34 Prozent der 15-Jährigen in Deutschland an, dass sie ihr Smartphone täglich in der Schule nutzen, obwohl es eigentlich ein Handyverbot gibt – in den Schulen ohne ein solches waren es mit 47 Prozent auch nicht deutlich mehr. Gerade einmal jede:r Zehnte lässt das Handy ohne Verbot den ganzen Tag in der Tasche.
Also wozu etwas kriminalisieren, das ohnehin nicht sinnvoll zu unterbinden ist? Dem entgegen stehen nämlich reichlich sinnvolle Anwendungsfälle: Viele Schüler:innen organisieren damit ihren Alltag, sie notieren Dinge, tauschen Informationen aus, kommunizieren selbstverständlich und souverän über Messenger. Soll der Schüler jetzt wirklich erst fragen müssen, ob er dem erkrankten Mitschüler ein Tafelbild oder die Hausaufgaben schicken darf? Hinzu kommt, dass Verbote Dinge bekanntermaßen nur noch reizvoller machen und ihnen einen höheren Stellenwert geben.
Es geht darum, vernünftige Regeln zu finden und durchaus auch nicht das hohe Ablenkungspotential zu verschweigen. Das Smartphone im Flugmodus oder Schulmodus während des Unterrichts und die Beschränkung der Smartphone-Nutzung außerhalb des Unterrichts auf einen bestimmten Bereich (der „Handy-Insel“, wie es an vielen Schulen heißt) kann deshalb sinnvoller sein als sie komplett zu verteufeln und zu verbieten. Denn Smartphones sind fester Bestandteil unseres Lebens und sollten in Maßen auch im Unterricht und in der Pause vorkommen.