Heinz Dürr im Changerider: „Wir haben 1986 das Auto für das Jahr 2025 definiert: Voll elektrisch und autonom.“
Disclaimer: Das Video wurde bereits 2019 und damit vor der Coronakrise aufgezeichnet. Wir haben jetzt mit Heinz Dürr auch noch einmal über die Auswirkungen der aktuellen Krise gesprochen.
Heinz Dürr, 1933 in Stuttgart geboren, führte erst die Firma seines Großvaters, den Anlagenbauer Dürr, an die Weltspitze, um dann Aufgaben in anderen Konzernen zu übernehmen – als Vorstandchef der AEG, als Daimler-Vorstand und Vorstandchef der Deutschen Bahn. Damit hat er zu einem nicht unerheblichen Teil an der deutschen Wirtschaftsgeschichte mitgeschrieben.
„Künstliche Intelligenz ist vor 20, 30 Jahren in Deutschland entwickelt worden, aber es fehlte die Umsetzung“
Mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Deutschland stellt Dürr zunächst mal fest: „Google holen wir nicht mehr ein.“ Es gehe doch darum, die gesamte deutsche Industrie auf die Digitalisierung einzustellen, vor allem die gesamten mittelständischen Familienunternehmen. „Die müssen in das Thema reingeholt werden.“ Wir hätten hier unglaublich gute Leute. „Die künstliche Intelligenz ist vor 20, 30 Jahren in Deutschland entwickelt worden, aber es fehlte dann die Umsetzung.“ Das liege vor allem auch daran, dass wir in Deutschland eine zu große Kluft hätten zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Er verweist auf China. Dort säßen im Zentralkomitee beispielsweise einige Ingenieure. „Der Präsident Xi Jinping ist selbst Ingenieur. Wie viel Ingenieure gibt es in der deutschen Regierung? Keinen. Das sind alles Juristen.“ Es brauche in Deutschland eine echte Verbindung zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. „Die müssen mehr miteinander reden“, lautet auch Dürrs Appell im Changerider.
Während der Coronakrise hat es aus seiner Sicht dagegen gut funktioniert. „Politik und Wissenschaft haben in Deutschland gut zusammengearbeitet. Dass die Virologen hin und wieder ihre Meinung geändert haben, gehört nun mal zur Wissenschaft, die immer wieder neue Erkenntnisse hat. Man sieht aber auch, wie etwa in Frankreich und anderswo unorganisierte Lockerungen zu großen Problemen führen können. Das sollte in Deutschland verhindert werden.“
Dürr ist heute noch mit knapp 30 Prozent an der Dürr AG beteiligt. Das Unternehmen ist einer der weltweit führenden Maschinen- und Anlagenbauer. Ein Schwerpunkt liegt auf Lackier- und Endmontage-Anlagen im Bereich der Fahrzeugproduktion. Auf den Wandel der Automobilindustrie angesprochen regiert Dürr gelassen: „Wir haben sogar Zuwachs, allerdings erstaunlicherweise aus USA und China.“ In China würden aktuell zehn neue Autofabriken für Elektrofahrzeuge gebaut und die müssten ja schließlich auch alle lackiert werden. Aber die Transformation kommt, weiß auch Dürr, allerdings glaube er nicht daran, dass es beispielsweise durch ein Thema wie Sharing Economy weniger Autos geben werde – „das werden eher mehr.“
„Ein Ladepunkt in einer Straßenlaterne kostet etwa 1.000 Euro, eine klassische Ladesäule dagegen 15.000 bis 20.000.“
Das Thema Elektromobilität beschäftigt den 87-jährigen Dürr noch heute stark. Über seine Firma Dürr Invest ist er an einigen Startups aus diesem Bereich beteiligt. Eines dieser Startups ist etwa Ubitricity. Dürr ist begeistert von der Idee, die Wertschöpfung von der Ladestation in das Elektroauto zu verlagern, indem der Verbrauchszähler statt an der Ladesäule im Auto selbst verbaut ist. „Heute haben wir die Lösung, dass der mobile Zähler im Kabel ist. Da haben wir in der Zwischenzeit in London einen großen Erfolg.“ Dort können Elektroautos beispielsweise an den Laternen laden. „Wenn man mit diesem mobilen Zählern arbeitet, ist der Ladepunkt viel einfacher. Ein Ladepunkt in einer Straßenlaterne kostet etwa 1.000 Euro, eine klassische Ladesäule dagegen 15.000 bis 20.000.“ Da drängt sich die Frage auf, warum wir das in Deutschland nicht machen. Der regierende Bürgermeister Berlins habe Dürr dazu einmal gesagt: „Wissen Sie was, das Problem ist? Sie haben da ein Monopol und ein Monopol können wir nicht zulassen.“
Ein Stück Zeitgeschichte bei AEG und Bundesbahn
Aber Dürr wirft auch einen spannenden Blick zurück auf seine Zeit bei AEG und Daimler. „Die AEG war ein normaler Sanierungsfall, der dann damit endete, dass AEG von Daimler übernommen wurde und zwar aufgrund der Erkenntnis, dass das Auto elektrischer wird – und der Daimler keine Elektrokenntnisse hatte.“ Das war 1986. Dürr saß mit dem damaligen Daimler-Vorstandsvorsitzenden Edzard Reuter zusammen und sie haben festgestellt: „Die AEG hat alles, Sensoren, Mikroprozessoren, Radar, Elektromotor – die hat alles, was man braucht. Wir hatten sogar eine Arbeitsgruppe, die sollte festlegen, wie das Auto 2025 aussieht. Wissen Sie, wie das ausgesehen hat? Voll elektrisch und autonom fahrend.“
Die Bahn sei auch ein Sanierungsfall gewesen, die besondere Herausforderung war allerdings eine Grundgesetzänderung. „Die Bahn schrieb damals so hohe Verluste, dass Helmut Schmidt sagte, wenn das so weiter geht, können wir uns entweder die Bundeswehr oder die Bundesbahn leisten – beides nicht. Unser Ziel war es dann, eine Struktur zu schaffen vergleichbar mit einer Aktiengesellschaft: Aufsichtsrat, Vorstand, darüber der Eigentümer.“ Damals stand die Bahn allerdings noch mit dem Finanz- und Außenministerium im Grundgesetz. „Die mussten da raus“, so Dürr. In dieser Zeit hat er auch die Bundesbahn mit der Reichsbahn der DDR fusioniert. Den Auftrag hat Dürr am 3. Oktober 1990 von dem damaligen Bundeskanzler Kohl angenommen.
„Wenn über 50 Prozent Ihrer Entscheidungen richtig sind, reicht das aus. Dann sind Sie ein erfolgreicher Unternehmer.“
Im Changerider spricht Dürr außerdem über die mangelnde Fähigkeit von Politikern, Unternehmensbilanzen verstehen zu können („Das habe ich damals bei der Bahnreform festgestellt, dass es da bei den Politikern ein bisschen fehlt.“), die Energiewende: erneuerbare Energie vs. Energieeffizienz („Es sind Gebäude, Verkehr und Produktion – das sind die großen Bausteine, wo Energieeffizienz zum Tragen kommt. Das muss forciert werden. Das muss der Wirtschaftsminister machen.“), seine Erfahrungen mit Startup-Gründern („Die Gründer, die ich kennengelernt habe, denen war nicht klar, dass die Einnahmen größer sein müssen als die Ausgaben.“) oder seine Scheitermomente („Ich habe genügend Fehlentscheidungen getroffen. Aber der Chef von Bosch, Herr Merkle, hat mal zu mir gesagt, Herr Dürr, wenn über 50 Prozent Ihrer Entscheidungen richtig sind, reicht das völlig aus. Dann sind Sie ein erfolgreicher Unternehmer.“).
Dürrs Appell mit Blick auf Deutschlands Wandel lautet: „Deutschlands Zukunft liegt in Innovationen. Der Blick muss nach vorne gerichtet sein. Natürlich muss man die Kosten im Griff halten, aber gleichzeitig die Innovationen vorantreiben. Wir müssen flexibel und agil sein. Mit den teilweise erratischen Veränderungen der Wirtschaftspolitik einzelner Staaten (USA!) müssen wir leben. Corona kann auch Anstoß für bisher undenkbare Neuerungen sein. Mittelständisch orientierte Unternehmen, also vor allem die Familienunternehmen, hatten hier sicher einen Vorteil gegenüber den hierarchisch ausgerichteten Großunternehmen.“
Als weiteren Changerider-Gast nominiert Dürr zum einen Carl Horst Hahn, den früheren Vorstandsvorsitzenden von VW. „Aber der ist 92“, so Dürr, „und vielleicht wollen sie auch mal eine gegenteilige Meinung. Holen Sie doch mal einen Grünen – den Robert Habeck.“
Diese und alle weiteren Folgen sind als Video und ausführliche Gespräche im Podcast bei Apple Podcast, Soundcloud und Spotify verfügbar oder nachzulesen im Changerider-Buch: „Changerider: Pioniergeister statt Bedenkenträger: Wie mutige Macher aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft unsere Zukunft gestalten“ – überall, wo es Bücher gibt und auf changerider.com.
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