Zeichen von Intelligenz? Holzfressender Pilz soll Informationen verarbeiten können
„Sie haben Erinnerungen, sie lernen, und sie können Entscheidungen treffen. Wie sie Probleme im Vergleich zu Menschen lösen, ist wirklich atemberaubend.“ Es sind große Worte, mit denen Yu Fukasawa von der japanischen Tohoku University ein kleines Lebewesen preist: einen Pilz namens Phanerochaete velutina. Er lebt im Wald, ernährt sich von totem Holz und knüpft dabei ein dichtes Geflecht aus Pilzfäden („Mycelium“). Und jetzt soll er auch noch Informationen verarbeiten können.
Um das nachzuweisen, haben die japanischen Forschenden neun kleine, bereits mit dem Pilz besiedelte Holzklötze auf einem Waldboden ausgelegt – einmal in Kreuzform und einmal in Kreisform. Normalerweise sollte man vermuten, dass die Pilze ihre Fäden gleichmäßig in alle Richtungen ausbreiten. Tatsächlich aber zeigte sich nach 116 Tagen: Sobald sich die Fäden der einzelnen Kolonien miteinander verbunden haben, änderte sich ihr Wachstumsmuster.
- Beim Kreuzmuster waren die äußeren Klötzchen am stärksten vernetzt, die inneren dienten nur noch als „Durchgangstationen“. Sie hatten die Verbindungen zu den benachbarten Klötzchen gestärkt, aber ihre eigenen Tentakel in die Umgebung abgebaut.
- Beim Kreismuster wurden die Verbindungen zwischen den einzelnen Klötzchen ebenfalls gestärkt. Von dort aus wuchsen die Fäden allerdings ausschließlich nach außen. Alle Tentakel ins Innere des Kreises wurden abgebaut.
Wie sich Pilze miteinander vernetzen
Über welche Mechanismen sich einzelne Pilzkolonien miteinander vernetzen, war schon vorher bekannt: Durch ihre Fäden laufen Wellen mit wechselnden Calcium-Ionen-Konzentrationen – ähnlich wie bei Nervenzellen. Treffen zwei Kolonien aufeinander, synchronisieren sie ihre Wellen und verschmelzen dadurch zu einem Organismus.
Doch das erklärt noch nicht das beobachtete Phänomen: Kolonien, die jeweils mit nur zwei Nachbarn verbunden sind, zeigen völlig unterschiedliche Wachstumsmuster – je nachdem, ob sie Teil einer kreuz- oder kreisförmigen Struktur sind. Denn woher genau sollen die Pilze wissen, welche Form die gesamte Kolonie hat?
„Es ist unklar, wie das fusionierte Mycelium sein neues ,Zentrum‘ nach der Fusion identifiziert hat“, schreiben die Forschenden in ihrem Paper. Sie sehen darin Hinweise, dass Mycelien in der Lage sein könnten, „Informationen über räumliche Anordnungen innerhalb ihres Netzwerkes auszutauschen und ihr Verhalten entsprechend anzupassen“.
Profane Erklärung für Mycelien-Wachstum
Allerdings bieten sie selbst noch eine andere, viel profanere Erklärung an: „Möglicherweise hat eine höhere Dichte an Pilzfäden in der Mitte des Kreises ihr Wachstum negativ beeinflusst.“ Die Logik dahinter: Wo sich bereits andere Kolonien befinden – also im Inneren des Kreuzes beziehungsweise des Kreises – lohnt es sich kaum, die Fühler nach weiteren Nahrungsquellen auszustrecken.
Dieser Mechanismus könnte die Unterschiede zwischen den kreuz- und kreisförmigen Kolonien tatsächlich erklären: Im Kreis haben die äußeren Kolonien zwei direkt verbundene Nachbarn und einen indirekten auf der gegenüberliegenden Seite. In der vierten Richtung hingegen haben sie freies Feld, in das sie sich ausbreiten können. Im Kreuz hingegen haben die mittleren Klötzchen zu beiden Seiten indirekte Nachbarn, nämlich auf den anderen Armen des Kreuzes. Diese Erklärung käme ohne die Annahme einer mysteriösen Informationsübertragung quer durch das Mycel aus. Jeder Pilz würde schlicht auf seine individuelle Umgebung reagieren. Es handelt sich also allenfalls um eine Art Schwarmintelligenz, aber immerhin.
„Diese Forschung wird uns helfen, besser zu verstehen, wie biotische Ökosysteme funktionieren und wie sich verschiedene Arten der Kognition evolutionär entwickelt haben“, schreiben die Forschenden. Ähnliche Phänomene hat man schon an Schleimpilzen (Physarum polycephalum) beobachtet: Sie wurden bereits zum Steuern von Robotern, Glücksspielautomaten oder Tamagotchis eingesetzt.