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MIT Technology Review Interview

Meeresbiologin Antje Boetius: Mikroorganismen – die oft vergessenen Helfer der Biodiversität

Die Meeresbiologin Antje Boetius ist als Direktorin das Aushängeschild des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Im nächsten Jahr wird sie an das Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) in Kalifornien wechseln. Unser Interview mit Boetius aus dem Jahr 2022 verdeutlicht, dass für sie die kleinsten Organismen die größte Rolle spielen.

Von Jo. Schilling
6 Min.
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Antje Boetius fordert mehr Aufmerksamkeit für das Netzwerk des Lebens und seine kleinsten Protagonisten. (Foto: Andreas Pein/laif)

Als Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven und Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie war Antje Boetius stets eine kräftige Stimme, wenn es um die Belange der Kleinsten geht. Wer das Artensterben und den Klimawandel bremsen wolle, müsse in seinen Kalkulationen auch die Mikroorganismen berücksichtigen – denn sie reagieren erheblich auf Temperaturänderungen, Dürre und Überflutungen. Gemeinsam mit 31 anderen Mikrobiologinnen und -biologen aus aller Welt hat sie bereits 2019 in der Fachzeitschrift Nature appelliert, die zentrale Rolle und globale Bedeutung der Mikroorganismen in der Biologie des Klimawandels nicht zu unterschätzen – und ihre Diversität im Blick zu behalten. Im Interview mit MIT Technology Review spricht sie darüber, was das heißt.

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Dieses Interview ist zuerst in der Ausgabe 5/2022 von MIT Technology Review erschienen. Der Fokus lag auf dem Thema Biodiversität. Hier könnt ihr die TR als Print- oder pdf-Variante bestellen.

MIT Technology Review (TR): Wenn wir heute von Biodiversität sprechen, ist die stille Übereinkunft, dass es um Insekten, Vögel, Pflanzen oder Wisente geht. Kaum jemand hat die Mikroorganismen im Blick. Geht deren Vielfalt ebenfalls zurück?

Boetius: Wir können das nicht für das gesamte Mikrobiom sagen. Wir wissen nicht zuletzt seit der Pandemie, dass uns nicht nur eine Bestandsaufnahme von Pflanzen und Tieren fehlt, sondern vor allen Dingen von Mikroorganismen, den Einzellern und ihren mobilen genetischen Elementen. Was wir aber beobachten, ist, dass sich menschengemachtes Verhalten negativ auf die Wildtypen-Vielfalt auswirkt. Der Mechanismus ist ganz einfach: Jede Pflanze und jedes Tier hat ein eigenes Mikrobiom. Und durch das größte Artensterben der Erdgeschichte verlieren wir mit einzigartigen Pflanzen und Tieren auch einzigartige Mikroben.

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„Mikroben spielen eine große Rolle“

TR: Sind die Mikroorganismen auf den Tieren und Pflanzen denn bedeutsam, wenn man sich den großen Zusammenhang Biodiversität und Klima ansieht?

Boetius: Auf jeden Fall. Wir müssen uns das Leben nicht nur als eine Ansammlung einzelner Arten vorstellen. Was die Natur eigentlich vorhält, sind Netzwerke. Und da spielen die Mikroben natürlich eine große Rolle. Manche Arten haben direkte Abhängigkeiten entwickelt, dann ist es gar nicht möglich, dass eine Art ohne die andere vorkommt. Jetzt im Anthropozän bekommen diese Netzwerke Löcher.

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TR: Das klingt nach James Lovelock und seiner Gaia-These von der Erde als Gesamtorganismus …

Boetius: Ich denk mir die Erde nicht als Gesamtorganismus, sondern als einen Gesamtlebensraum. Mir gefällt die Analogie zu einem Raumschiff. Wir sind im Universum auf unserem blauen Raumschiff unterwegs und alles Leben gehört zur Besatzung des Raumschiffs.

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TR: In welchen Bereichen verschwinden besonders viele Arten und welche Auswirkungen hat das?

Boetius: Ein leuchtendes Beispiel, wie es so richtig schiefgehen kann mit dem Verhältnis von Mikroben zu ihren Wirten, sind die tropischen Korallenriffe. Durch die aktuelle Hitzewelle in Australien mit über 50 Grad Celsius wird das Wasser viel zu warm. Deshalb verlassen die Symbionten, das sind Dinoflagellaten, die Korallen. Davon bleichen die Korallen aus und sterben ab.

Das andere Beispiel ist das arktische Meereis. Es schwindet mit 13 Prozent pro Dekade und mit dem Meereis verschwindet noch mehr als nur das Eis. Das mehrjährige Meereis beinhaltet ein einzigartiges Mikrobiom. Zudem nutzen viele Lebewesen das Meereis als Versteck oder zum Ausruhen, vor allem auch arktische Meeressäuger. Dadurch, dass wir dieses alte Meereis in der Arktis fast vollständig verloren haben, müssen wir dort einen enormen Verlust von Vielfalt hinnehmen.

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Schwund der Mikroorganismen ist bisher unklar

TR: Bei den Korallen sind die Folgen offensichtlich, es stirbt eine ganze Lebenszone. Aber hat der Biodiversitätsverlust auch wiederum Folgen für das Meereis oder die Gewässer in der Gegend?

Boetius: Wir können bisher nicht konkret sagen, dass es einen Schwund der Mikroorganismen gibt und er generell einen direkten Effekt auf die globalen Kreisläufe hat. Dazu gibt es zu wenig Wissen. Ich selbst habe aber schon mal beschrieben, dass es in der Arktis lokale Stoffkreisläufe verändert, wenn zumindest eine bestimmte koloniale Diatomeen-Art aus dem Meereis verschwindet. Wenn einzelne Arten, die wichtig für die Produktivität der Meere sind, aufgeben und in die Tiefsee fallen, verändern sich einzelne Stoffkreisläufe. Es gibt viele Einzelbeispiele, aber noch keine globale Erfassung.

TR: Wie viel Auswirkung hat der Verlust an Biodiversität unter den Mikroorganismen im Vergleich zu den Verlusten in der makroskopischen Welt?

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Boetius: Ich glaube, keiner würde sich trauen, das abzuschätzen. Das Netzwerk aus mikro- und makroskopischen Organismen reagiert gemeinschaftlich. Wenn es wärmer wird, scheiden Pilze und Bakterien mehr Enzyme aus. Die Enzyme sind zudem aktiver und damit verliert das Mikrobiom die Möglichkeit, Kohlenstoff im Boden zu halten. Das ist im Meer wie an Land das Gleiche. Damit ist ein positiver Rückkopplungsmechanismus im Gange: Das Mikrobiom hält weniger Kohlenstoff, gibt mehr in die Atmosphäre zurück – und damit verstärken wir eben auch den Klimawandel.

„Wir verwenden Biodiversität meist im Sinne der Anzahl der Arten“

TR: Ist denn jede Form von Diversität hilfreich?

Boetius: Wir müssen beim Thema Biodiversität etwas aufpassen. Wir verwenden Biodiversität meist im Sinne der Anzahl der Arten. Aber wenn es die falschen Arten für die funktionale Gemeinschaft sind, nützt die Diversität wenig oder schadet sogar. Das muss man auseinanderhalten und es ist eine Herausforderung, das für alle Lebensräume zu zeigen. Was viele Menschen gar nicht wissen: Mikrobiome sind sehr alte Netzwerke. Das durchschnittliche Alter eines 20 Zentimeter dicken Erdbodens beträgt ein paar 1000 Jahre. Wenn wir Erdboden verlieren, verlieren wir an der Stelle das Mikrobiom und können es auch nicht wiedergewinnen.

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TR: Das Leben, wie wir es kennen, basiert auf Mikroorganismen und die haben schon alles erlebt und überlebt – Eiszeiten, Meteoriteneinschläge. Was ist jetzt anders und so bedrohlich für die Biodiversität und uns?

Boetius: Was jetzt anders ist, ist die räumliche Trennung der natürlichen Lebensräume voneinander – wir schlagen Schneisen in das biologische System. Das große Artensterben und die Monopolisierung bestimmter Nahrungsprodukte führen zu einer Verringerung von Vielfalt und Nischen. Und das führt dazu, dass wir als Menschheit am Ende ökonomische und gesundheitliche Verluste erleiden.

TR: Wir Menschen sind also effizienter als ein Meteoriteneinschlag

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Boetius: So muss man das wohl sagen. Wir greifen so in das Netzwerk des Lebens ein, dass das für uns nicht gut ausgehen kann. Auch wenn das Anthropozän das Erdzeitalter ist, in dem der Mensch die stärkste geologische Kraft geworden ist, sind wir trotzdem ein Teil des Netzwerks und als solches auch verwundbar. Da müssen wir schnell zulernen. Ich bin an einem Prozess der Vereinten Nationen beteiligt, bei dem es darum geht, wie wir das Mikrobiom der Erde entdecken und seine Dynamik beschreiben können.

Wie man Mikrobiome schützen kann

TR: Haben wir eine Möglichkeit, das Mikrobiom – seine Diversität – aktiv zu beeinflussen?

Boetius: Ja, natürlich. Durch die Art und Weise, wie wir mit der Umwelt umgehen, was wir als Putzmittel benutzen, wie warm es zu Hause ist, wie trocken der Boden wird, welche Samen wir aussähen. Setzen wir 30 Prozent der Erdoberfläche in naturnahe Zustände zurück, dann tun wir das Richtige. Dann stärken wir weltweit das natürliche Mikrobiom und das stärkt uns.

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TR: Kann und wird Biotechnologie bei dem Schutz des Mikrobioms auch eine Rolle spielen?

Boetius: Die Bereitstellung von Natur, von natürlichen Ernährungsprinzipien und Achtsamkeit in Bezug auf Tiere oder Pflanzen schützt das Mikrobiom am besten. Wir sehen das beispielsweise, wenn nach Ölunfällen Mikroben-Pellets mit sogenannten Erdöl-fressenden Bakterien ins Meer geschüttet werden, um das Mikrobiom im Ozean zu stärken. Die Versuche zeigen immer wieder, dass die natürlichen Mikroben es viel besser können, weil sie an die Umweltbedingungen vor Ort angepasst sind. Es gibt auch große Boden-Sammlungen und Versuche, Meereskulturen einzulagern, um sie dem natürlichen Lebensraum wieder zurückgeben zu können. Aber das würde alles sehr viel Zeit und Geld kosten. Direkt die Natur zu pflegen, scheint mir die günstigere, verfügbarere Technologie. Damit würden wir es schaffen, eine positive Entwicklung herbeizuführen.

TR: Wenn Sie einen wissenschaftspolitischen Joker hätten, wofür würden Sie ihn ziehen?

Boetius: Ich würde mir wünschen, dass dem Monitoring und dem Verständnis von Biodiversität derselbe Wert beigemessen wird wie der Klimaforschung. Die technischen Möglichkeiten, dieses Netzwerk des Lebens in Aktion zu vermessen, zu beschreiben, zu untersuchen und zu verstehen, haben wir. Aber es gibt viel zu wenig Förderprogramme und viel zu wenig Regionen der Erde, wo Biodiversitätsforschung stattfindet. Brasilianischer Regenwald, Great Barrier Reef – die verschwinden so schnell. Wir bräuchten große Programme, Probensammlungen und Biobanken, um zu bewahren, was dort lebt, wenn die Natur gesund ist – solange es noch geht.

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