Julia Klöckner und Nestlé: War das Video Schleichwerbung?

Hätte Julia Klöckner ihr Nestlé-Video als Werbung kennzeichnen müssen? (Foto: Christoph Soeder/dpa)
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Es ist eine dieser Geschichten, die in den sozialen Medien schnell für ein hohes Maß an Aufregung sorgt: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner veröffentlicht ein kurzes Video bei Twitter, in dem es um ein Treffen mit Nestlé geht – um niedrigere Zucker-, Salz- und Fettgehalte in den Produkten des Unternehmens und den Austausch darüber, den die Ministerin mit dem Unternehmen geführt habe. Doch die 59 Sekunden – länger ist das Video nicht – sorgen für eine Empörungswelle.
Weniger #Zucker, Fette und #Salz in Fertigprodukten – dafür setzt sich BMin @JuliaKloeckner mit der #Reduktion|s- und #Innovationsstrategie ein.
— BMEL (@bmel) June 3, 2019
Dass dies geht, zeigt @NestleGermany, die die Strategie unterstützen. Sie haben 10% der Inhalte reduziert; weitere 5% sollen folgen. pic.twitter.com/jLpVSHRoyJ
Ein politisch mehr als ungeschickter Schachzug der Ministerin ist das Video in jedem Fall: Die Ministerin erklärt, sie habe „viel Neues erfahren“, indem sie sich mit Nestlé-Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch unterhalten habe und man werde in Zukunft gemeinsam für diese erklärten Ziele arbeiten.
Fun Fact: Hätte ich exakt diesen Tweet mit genau so einem Video gepostet, hätte ich es als #Werbung kennzeichnen müssen.
— Rezo (@rezomusik) June 5, 2019
Rezo und andere Influencer wenden ein, man hätte dieses Video als Influencer mit „Werbung“ kennzeichnen müssen, Christopher Lauer und andere ziehen gar Parallelen zum Fall Möllemann, der 1993 über eine unglückliche Empfehlung für das Unternehmen eines Verwandten auf ministeriellem Briefpapier stolperte. Politisch klug war es also sicher nicht von der Ministerin, sich so exponiert mit dem Chef eines Unternehmens – noch dazu von Nestlé – zu zeigen.
In diesem Zusammenhang erinnere ich gerne daran, dass der Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) damals zurücktreten musste, weil er auf dem Briefpapier des BMWi Einkaufswagenchips (!) eines Bekannten/Verwandten bewarb. Kinderkirmes, im Vergleich zum Video. https://t.co/KMUspYk9Ce
— Christopher Lauer (@Schmidtlepp) June 5, 2019
Mindestens so interessant wie die politische Dimension des Vorfalls ist aber auch die Frage, ob es im Sinne der Influencer-Richtlinien und –urteile der letzten Monate illegal war, ein solches Posting bei Twitter nicht als Werbung zu kennzeichnen. Wir haben dazu den auf Medien- und Internetrecht spezialisierten Rechtsanwalt Christian Solmecke gefragt. Der holt erst einmal etwas weiter aus und macht damit deutlich, warum eine schlüssige Beurteilung des Falls so schwierig ist. „Das Verbot von Schleichwerbung und das Gebot der Trennung von inhaltlichen Beiträgen und Werbung ist in verschiedenen Gesetzen, etwa dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, dem Rundfunkstaatsvertrag und dem Telemediengesetz geregelt. Nach allen drei Gesetzen gilt: Wenn Frau Klöckner eine Gegenleistung dafür erhalten hat, dass der Unternehmenschef in dem Video auftaucht und sein Unternehmen positiv darstellen darf, so gilt dies als Schleichwerbung.“
Dabei müsse es sich gar nicht um Geld handeln, auch Einladungen oder Vergünstigungen oder ein Produkt reichen hier aus. Wenn sie keine Gegenleistung erhalten hat, käme es dagegen auf den Gesamteindruck des Videos an: Wird hier Werbung gemacht? Können Verbraucher beeinflusst werden?
Doch es gibt unterschiedliche Ansichten der Gerichte und Landesmedienanstalten, ob etwa nur die Erwähnung eines Unternehmens Schleichwerbung sein kann, wenn man keine Gegenleistung erhalten hat. „Die Landesmedienanstalten sind hier weniger streng, sie sehen das meist nicht als Schleichwerbung, sondern als freie Meinungsäußerung an. Im Wettbewerbsrecht aber haben die Gerichte unterschiedlich entschieden. Vor allem, wenn – wie hier – per @-Erwähnung auf ein Unternehmen verlinkt wurde, wurde teils von Schleichwerbung ausgegangen.“ Dabei spielten sich die Fälle allerdings immer im Kontext von Instagram ab. Eine Besonderheit war, dass es sich stets um Influencerinnen wie Cathy Hummels, Vreni Frost oder Aenna Xoxo und Pamela Reif handelte, bei denen manche Gerichte per se von einer kommerziellen Absicht ausgingen.
Im konkreten Fall ist sich Christian Solmecke unschlüssig, wie die Ministerin in puncto Influencer-Status zu bewerten ist. „Es könnte sich durchaus um Schleichwerbung handeln. Nestlé wird von Anfang an erwähnt, sie leitet ein, dass man sich über die Philosophie des Unternehmens Nestlé unterhalten habe, sie erzählt nichts Inhaltliches zu der Strategie des Ministeriums und warum dafür die Unterstützung der Unternehmen wichtig ist.“ Im Folgenden redet ihr Gesprächspartner mehr als sie – und in der Tat ist er es, der die Vorzüge des Unternehmens referiert und die Ministerin erwähnt dass Nestlé die Innovationsstrategie unterstützt. „Das ist pseudo-sachlich und wenig redaktionell, ich finde, es ist schon beeinflussend.“ Dagegen könnte allerdings sprechen, dass Frau Klöckner keine werbende Sprache verwendet, sondern Inhaltliches referiert. „Es geht schon um Inhalte und tatsächlich ist bei der Strategie des Ministeriums die Unterstützung der Unternehmen wichtig, weil das Unternehmen auf Freiwilligkeit und nicht auf Zwang setzt“, stellt Solmecke fest.
Ist die Ministerin nun so etwas wie eine Influencerin? Christian Solmecke kennt Fälle, in denen Personen bereits bei rund 10.000 Followern abgemahnt wurden – und rät daher allen, die in irgendeiner Form in den Verdacht geraten könnten, schon bei deutlich weniger Followern, zu kennzeichnen. Ob die Ministerin schon oder erst recht aufgrund ihrer beruflich herausgehobenen Stellung als so etwas wie ein Influencer gilt, bleibt unklar. Die gute Nachricht: Normale Bürger jedenfalls müssen nicht kennzeichnen, wenn sie nicht für einen Post bezahlt wurden. Wohl aber, wenn sie damit geschäftliche Absichten verfolgen und sich ein Influencer-Unternehmen aufbauen wollen.
Wie sie (oder ihr Büro) das als Influencerin hätte kennzeichnen müssen, weiß Christian Solmecke auch: „Postings müssen deutlich lesbar mit ‚Werbung‘ oder ‚Anzeige‘ gekennzeichnet werden, englische Begriffe reichen hingegen nicht aus. Man kann dazu auch ein Hashtag nutzen“, so Solmecke. Die Landesmedienanstalten haben darüber hinaus eine Unterscheidung darin gesehen, ob das Produkt die Hauptrolle spielt. Ist das der Fall, muss deutlich lesbar „Werbevideo“, „Werbung“ oder „Dauerwerbesendung“ zu Beginn oder gar dauerhaft eingeblendet sein. Steht das Produkt nicht im Vordergrund, reicht „Produktplatzierung“ oder „Unterstützt durch…“. Ob das im konkreten Fall gelten würde, müssten aber Gerichte entscheiden.
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Dein t3n-Team
Wollte kein seriöser Jurist mit euch sprechen, oder warum Solmecke?
Ich glaub dass darüber berichtet wird ist die beste Werbung.
Ich verstehe nicht, wie ein solcher Konzern immer weiter wachsen kann. Praktisch jeder mit dem ich mich über diesen unterhalte sagt mir, dass er vermeidet bei Nestle oder einem seiner zahllosen Tochterfirmen kauft und doch wächst das Unternehmen immer weiter, wie ein Krebsgeschwür. Die im Interview angesprochenen Dinge haben in meinen Augen nur Alibifunktion und sollen uns weißmachen, wir hätten es mit einer Firm zu tun, der es um die Menschen geht. Aber Nestle hat nur ein Ziel – stetiges Wachstum, egal zu welchem Preis für die Menschen.
Die Diskussion, ob es sich hier um bezahlte Werbung handelt kratzt nur an der Oberfläche. Allein die Tatsache, dass sich diese Politikerin auf so ein Video mit der verbundenen Botschaft einlässt, zeigt in wessen Sinne hier Politik gemacht wird.