Raus aus der Komfortzone: Deshalb muss Karriere manchmal unbequem sein
Arbeit ist zu bequem geworden. Vor einigen Jahren suchten Menschen noch den Weg aus der Komfortzone heraus. Das Ziel: persönliches Wachstum für den beruflichen Erfolg. Dann folgte – natürlich – der Trend in die Gegenrichtung. Die Komfortzone wurde zum sicheren Raum, in dem Ideen entstehen dürfen und in dem Ungerechtigkeit diskutiert wird. Auch sie soll Wachstum ermöglichen, dies aber in einem Rahmen, der menschlicher ist.
Beide Trends sind zu extrem. Sie wären unproblematisch, wenn wir das Spannungsfeld von Wachstum und Komfort nur mit uns selbst abmachen würden. Aber so ist es ja nicht. Menschen leben und arbeiten im Kontext mit anderen und damit mit Erwartungen. Eigenen Erwartungen, echten Erwartungen anderer und Erwartungen an die Erwartungen anderer, die sie sich selbst ausgedacht haben.
Die Probleme der Extreme
Wer sich gefordert fühlt, immer wieder die Komfortzone zu verlassen, mag daran wachsen. Doch die Kultur des Wachstums hat zwei Stellen mit Materialermüdung:
- Wenn andere Lebensbereiche von der Seite reingrätschen, dann kann aus dem Wachstumsstress schädlicher Stress werden. Menschen müssen sich die Fähigkeit erhalten, darauf zu reagieren. Wer hier nicht durchbrennt, brennt aus.
- Persönliche Weiterentwicklung ist niemals kontinuierlich. Durchhänger und Rückschritte sind normal – fühlen sich aber wie Versagen an.
Das Problem mit der Komfortzone: Wer sich nicht herausbewegt, hält an einem Status quo fest. Anstöße für Veränderung – wenn es sie überhaupt noch gibt – werden dann zu einer Bedrohung. Menschen müssen Uneinigkeit aushalten, um Einigkeit zu schaffen. Gelingt dies nicht, ist jeder Konsens eine Illusion.
Die Idee der Komfortzone wurde übrigens schon im Jahr 1908 wissenschaftlich untersucht – an Mäusen (logisch). Die Wissenschaftler Robert Yerkes und John Dodson beobachteten: Fühlen die kleinen Nager eine gewisse ängstliche Erregung, nicht zu stark, nicht zu lax, schaffen sie mehr.
Die Komfortzone ist mehr Mauer als Schutz
Dass Menschen ein Recht darauf haben, in einer Komfortzone zu arbeiten, kristallisiert sich gerade als Trend heraus. Und die Forderung ist durchaus verständlich, schließlich müssen noch immer viele Menschen in Unternehmen arbeiten, die es ihnen schwer machen, neben der Arbeit ein gutes Leben zu leben.
Doch die sicheren Räume dürfen nicht mehr sein als ein Werkzeug. Wer sich in ihnen einlebt, der hat es sich zu bequem gemacht. Es entsteht eine selbst geschaffene Form der Abhängigkeit: Halte dich an die Regeln der sicheren Zone, dann gehörst du dazu. Der Psychologe Peter Wason nennt es Bestätigungsfehler: Für Menschen gilt es als normal, Dinge für wahr zu halten, die der eigenen Haltung entsprechen. Damit schützen sie ihr Weltbild. Doch dieser Schutz beinhaltet die Ausgrenzung anderer.
Aber die Ideen der anderen brauchen wir. Gleichzeitig ummauern wir unsere eigene Problemlösefähigkeit. Kreativität muss etwas erleben, damit sie ihren Job tun kann. Das Gleiche gilt für Sorgen. Fehlt dem Leben ein gewisses Maß an Anspannung, dann schaffen wir uns neue Probleme. Ally McBeal sagte in der gleichnamigen Serie einst: „Wenn ich meine ganzen Probleme beseitige, dann nur, um mir gleich wieder neue zu suchen. Ich habe meine Probleme gern.“
Und natürlich: Es gibt eine Studie, die genau das bestätigt. Werden Menschen aufgefordert, Gesichter nach Bedrohlichkeit einzuschätzen – sehen aber keine für sie bedrohlichen Gesichter –, dann fangen sie an, ihre Grenze zu senken. Plötzlich kann jede:r eine Bedrohung sein. Fehlen uns die Widerstände, dann deuten wir unseren Alltag als Widerstand. Und fehlen uns die Gegner, dann setzen wir Menschen an ihre Stelle, die nur leicht von unserer eigenen Haltung abweichen. Das ist nicht schön, aber menschlich.
Eine Wahrheit ersetzt eine andere
In Debatten um moderne Arbeit stellen wir uns oft vor, auf der richtigen Seite zu stehen. Aber New Work wird eines Tages ersetzt werden. Durch neue Trends auf Basis neuer Bedürfnisse und neuer gesellschaftlicher Wahrheiten. Wir können sie uns heute nicht vorstellen, aber – surprise – das konnten die Yuppies der Achtziger und Neunziger auch nicht.
Die problembefreite Einigkeit in den sicheren Räumen ist ein Problem, weil die Welt aus Problemen besteht. Menschen treffen auf Widerstände. Und Widerstände beinhalten die Chance auf Fortschritt. Wo stünden wir, wenn niemand die cis-männliche Elite aus ihrer Komfortzone der unangefochtenen Herrschaft herausgeholt hätte?
Ohne ein gewisses Maß an Ungemütlichkeit wird es keinen Wandel mehr geben, sondern eine Revolution. Wir sind zu weit gekommen, um dieses Risiko einzugehen.
Isabell, du schreibst so treffend über die Komfortzone, dass ich beinahe den Soundtrack meiner eigenen Karriere im Hintergrund hören konnte. Manchmal ist es, als hätten wir Hörgeräte im Ohr, die nur das Echo unseres eigenen Raums verstärken. Wir sollten uns trauen, die Frequenz zu wechseln, den uns umgebenden Klang wirklich zu hören und uns nicht nur in der Melodie unserer eigenen Bequemlichkeit zu wiegen. Es ist, als würden wir vergessen, dass es außerhalb dieses ’sicheren Raums‘ eine ganze Symphonie von Erfahrungen und Lektionen gibt. Übrigens, wer sagt, dass Herausforderungen nicht auch ihre eigene Musik haben? Vielleicht ist es an der Zeit, die Lautstärke aufzudrehen und sich dieser Melodie hinzugeben.
Alles richtig. Deshalb haben wir uns auch in der Gesellschaft lauter Feinde ausgedacht, wo keine sind. Das nimmt jetzt ab, je mehr echte Probleme wir bekommen. Hard times make strong men.