Startup will Depressionen mit Ketamin-Trips heilen – ist das eine gute Idee?
„Willst du mit mir Drogen nehmen?“, geht eine Line des Alligatoah-Songs „Willst du“. Genau diese Frage stellt auch das kanadische Startup Field Trip der Bevölkerung in Kanada, Amerika und den Niederlanden. Seit 2019 bietet das inzwischen börsennotierte Unternehmen Field Trip angeleitetete Ketamin-Trips in modernen, pastellfarbenen Studios an, die man wohl am besten als „instagrammable“ beschreiben kann.
Neben den inzwischen zwölf Filialen in großen Städten wie Toronto, New York, Seattle, Houston oder Chicago hat im September 2021 der erste Store in Amsterdam eröffnet – während sich die Standorte in den USA und Kanada auf Ketamin spezialisieren, liegt der Fokus in Amsterdam auf Psilocybin, dem Wirkstoff von Magic Mushrooms. Auf insgesamt 75 Kliniken wolle Field Trip in den nächsten Jahren anwachsen, sagt Co-Founder Ronan Levy gegenüber Forbes. Als Zielgruppe nennt das im Jahr 2019 gegründete Unternehmen Menschen, die unter anhaltenden psychischen Erkrankungen leiden, einschließlich Depressionen, Angststörungen und Traumata wie PTSD.
Partydroge und Therapeutikum
Ketamin ist im Volksmund als „Pferdebetäubungsmittel“ bekannt und gilt als beliebte Partydroge. Doch auch als Mittel gegen psychische Erkrankungen wie Depressionen ist das Anästhetikum vielversprechend. Darauf setzt Field Trip – und ist damit nicht allein.
LSD, MDMA, Ketamin und Psilocybin – das Geschäft mit Psychedelika boomt. Die bewusstseinserweiternden Substanzen haben in den letzten Jahren und Monaten zunehmend an medizinischer Relevanz gewonnen: In der richtigen Dosierung, mit der richtigen Intention und dem richtigen Setting können sie auch als Produktivitätsbooster (Stichwort: Microdosing) oder zur Unterstützung von Psychotherapie eingesetzt werden.
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Eine kurze Geschichte der Psychedelika
Dabei sind Psychedelika nichts Neues. Seit Hunderten, vielleicht sogar Tausenden von Jahren werden pflanzliche Psychedelika in verschiedenen Kulturen für Heilung und Bewusstseinserweiterung verwendet. Die wissenschaftliche Erforschung von Psychedelika begann mit der zufälligen Synthese von LSD durch Albert Hofmann im Jahr 1938. 1949 kam ein erstes LSD-Derivat für den Einsatz in der Psychotherapie auf den Markt. Bereits damals wurde LSD zur Behandlung von Alkoholsucht, Traumata oder depressiven Episoden eingesetzt. Zunehmend wurde LSD auch als Partydroge entdeckt und von der Flower-Power-Bewegung in den 60er Jahren gefeiert.
Doch LSD zeigte auch bald seine hässliche Fratze: Mit zunehmendem Konsum häuften sich Geschichten über falsche Dosierungen und Horrortrips. Teilweise wurden Morde und andere schwere Verbrechen unter dem Einfluss von LSD begangen. Die Behörden waren geschockt und verboten LSD zunächst 1966 in den USA, dann 1967 in Deutschland und 1971 in Österreich. Mit den Verboten wurde auch die medizinische Psychedelika-Forschung weitestgehend gestoppt – bis jetzt.
Wie läuft eine Ketamin-Therapie ab?
Ketamin-Therapiesitzungen bei Field Trip bestehen immer aus drei Teilen: der Vorbereitung, dem eigentlichen Ketamin-Trip und der Nachbereitung, die als Integration bezeichnet wird. Für den Trip erhalten die Patient:innen das Ketamin entweder als Tablette unter die Zunge (in Kanada) oder als Spritze in die Armmuskulatur (in Amerika), wodurch eine 45- bis 60-minütige halluzinogene Reise eingeleitet wird, die den Menschen helfen soll, sich von ihrem normalen Selbst zu lösen. Dabei sind die Patient:innen stets in Betreuung und hören entspannende Musik.
Im Anschluss an den Trip findet dann eine Integrationssession statt, die auch eigenständig gebucht werden kann. „Was auch immer in der Sitzung auftaucht – neue Einsichten oder Perspektiven – das kann flüchtig sein, wenn man nicht daran arbeitet, es in sein Leben zu integrieren“, sagte Emily Hackenburg, die klinische Leiterin von Field Trip gegenüber Recode. Je nachdem, was beim Vorgespräch herauskommt, sollen vier bis sechs Ketamin-Reisen in einem Zeitraum von etwa vier Wochen zielführend sein.
Ein Ketamin-Trip bei Field Trip kann entweder allein oder in einer Gruppe von vier Menschen gemacht werden. Die „introductory experience“, also die erste Field-Trip-Reise, kostet 750 US-Dollar, Folgetrips in der Vierergruppe gibt es für 375 Dollar zusammen mit einer Integrationssession für 125 Dollar.
Crowd-Tripping
Interessanterweise sind es Startups und Privatleute, die die Psychedelika-Forschung in den letzten Jahren groß gemacht haben. Im April 2019 eröffnete das weltweit erste Centre for Psychedelic Research am renommierten Imperial College in London – finanziert durch Gelder privater Investor:innen. Das Londoner Forschungsteam fokussiert sich seitdem insbesondere auf die Einsatzmöglichkeiten von Psychedelika zur Therapie von Depressionen.
Und auch die Eröffnung des Center for Psychedelic and Consciousness Research im Januar 2020 am amerikanischen Johns Hopkins Institut, das man spätestens seit der Corona-Pandemie kennt, wurde erst durch private Geldgeber:innen möglich. 17 Millionen Dollar an Funding kamen hierfür zusammen.
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Letzten Monat konnte das Institut frisches Geld vom National Institutes of Health (NIH) einsammeln, um die potenziellen medizinischen Eigenschaften von Psychedelika insbesondere von Psilocybin auf die Tabakabhängigkeit zu untersuchen. Field Trip scheint mit seinem Angebot an Psychedelika-unterstützter Psychotherapie also auf dem richtigen Trip zu sein, um die zunehmenden psychischen Probleme in den westlichen Industrienationen zu therapieren.
Ob und wann Field Trip nach Deutschland kommt, ist noch nicht bekannt. Rechtlich möglich wäre es, denn Ketamin gilt als verschreibungspflichtiges Medikament und fällt somit nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Der Besitz ist nicht strafbar. Dennoch sollte Ketamin nicht leichtfertig konsumiert werden, denn es kann schnell abhängig machen und bei wiederholtem Konsum Gehirn und Harntrakt schädigen.
Schon jetzt können wir aber bereits per App mit Field Trip auf Reisen gehen. Ähnlich wie eine Meditations-App bietet die kostenlose Applikation virtuelle Reisen, die basierend von den eingegebenen Ausgangsemotionen und dem gewünschten Ziel das Bewusstsein ansprechen sollen. In dem Sinne: happy tripping!