Killt KI die Einstiegsjobs? Experten schlagen Alarm

Generative KI hat den Wandel in der Arbeitswelt extrem beschleunigt. Eine Arbeitstrendstudie von Deloitte kommt aktuell zu dem Schluss, dass Junior-Rollen durch Automatisierungen zunehmend obsolet werden, jetzt, wo KI-Agenten niedrigschwellige Aufgaben übernehmen.
Unternehmen sollten demnach aktiv gegensteuern, um die Lernumgebungen zu sichern, in denen wichtige erste Berufserfahrungen gesammelt werden.
Ansonsten würden wichtige Fähigkeiten nicht entwickelt werden, die später Grundvoraussetzung für seniorige Rollen sind. KI übernehme die Aufgaben, an denen Berufstätige bislang wachsen. Sebastian Pfeifle, Human Capital Lead bei Deloitte Deutschland, nennt als Beispiel etwa Recherchetätigkeiten, wie das Erfassen, Sortieren und Verarbeiten von Daten und Informationen.
„Beim Start in das Berufsleben wird theoretisches Wissen in realen Kontexten angewandt. Gleichzeitig werden in der Interaktion mit Kollegen soziale und emotionale Kompetenzen entwickelt sowie Teamarbeit und Kommunikation gestärkt“, so Pfeifle. „All diese Fähigkeiten sind entscheidend, um sich später in komplexen und dynamischen Arbeitsumgebungen zurechtzufinden.“
Zum Senior trotz KI – Unternehmen sollten handeln
Martin Krzywdzinski ist Direktor am Weizenbaum-Institut und Leiter der Forschungsgruppe „Globalisierung, Arbeit und Produktion“ am Wissenschaftszentrum Berlin. Er befasst sich aus soziologischer Perspektive mit dem technologischen Wandel in der Arbeitswelt und insbesondere mit Automatisierungsprozessen und ihrem Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation.
Auch er bestätigt: „In unseren Interviews und Untersuchungen in Bereichen wie Programmierung und Datenanalytik sehen wir Anzeichen für eine solche Entwicklung.“
Interessant in dem Zusammenhang sind auch jüngste Aussagen von Big-Tech-Chefs: So lässt Microsoft-CEO Satya Nadella dieser Tage wissen, dass KI aktuell zwischen 20 und 30 Prozent des Codes in dem Softwarekonzern schreibe. Microsoft-CTO Kevin Scott prognostiziert, dass bis 2030 rund 95 Prozent des Codes weltweit von KI geschrieben werde. Die Programmierer, die die restlichen fünf Prozent ausmachen, werden höherqualifiziert sein.
Doch wie sollen Fachkräfte den Weg zum Senior schaffen, wenn die Junior-Rollen künftig von KI ausgefüllt werden? Martin Krzywdzinski sieht zwei Wege.
„Eine Richtung wäre, die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Bildungseinrichtungen zu stärken, um sicherzustellen, dass zumindest ein Teil, der in Einstiegsjobs vermittelten Kompetenzen schon während der Ausbildungsphase vermittelt wird“, so der Wissenschaftler. Die Zunahme der Studierenden im dualen Studium spiegelt das aus seiner Sicht wider.
Auch die systematische Neugestaltung der Einstiegsphase von Beschäftigten, um sie möglichst schnell zu befähigen, komplexere Aufgaben zu übernehmen, sei von großer Bedeutung. „Die Beschäftigten müssen lernen, mit KI zu arbeiten, um unter Anleitung zügig von einfachen zu komplexeren Aufgaben schreiten zu können.“
Eine Studie von Bitkom Research zeigt, dass Unternehmen in der Realität noch zu zögerlich sind: 61 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland würden sich zwar gerne zu KI fortbilden. Aber nur jedes fünfte Unternehmen schult den Großteil der Beschäftigten. Jedes vierte Unternehmen bildet nur ausgewählte Mitarbeiter aus. Knapp die Hälfte gibt an, gar keine Schulungen zu ermöglichen.
Die KI als Mentor verstehen
Der Tech-Investor und KI-Experte Philipp Klöckner rät dazu, die KI nicht als Gegenspieler, sondern als Partner in diesem Prozess zu verstehen. In seiner Zusammenarbeit mit Startups sieht er bereits viele Ansätze, wie KI in der Karriereentwicklung der Mitarbeiter schon einen Stellenwert einnimmt.
„Junior-Beschäftigte können KI nicht nur als Mentor im ersten Job einsetzen, sondern sie auch von einem einfachen Sparringspartner für Ideen bis zu einer komplexen Wirtschaftssimulation einsetzen, um Learnings zu generieren, die man sonst nur ‚on the Job‘ machen kann. Motivation und Engagement vorausgesetzt, kann das den Prozess der Professionalisierung sogar beschleunigen.“
Klöckner weiß, dass technologiegetriebene Jungunternehmen diesbezüglich eine Vorreiterrolle einnehmen. „Startups können bei der Auslagerung arbeitsintensiver Schritte an KI mutiger sein als große Unternehmen. Mehr Fehlertoleranz und weniger Perfektionismus ermöglichen es jungen Unternehmen, die Potenziale künstlicher Intelligenz von Anfang an auszuloten.“
„Beim Coding, aber auch bei Analyse- und Strategietasks erwarten Startups schon heute, dass ihre Mitarbeiter gängige KI-Tools souverän anwenden“, so Philipp Klöckner.
Umgebungen schaffen, um Kompetenzen zu entwickeln
Um alternative Wege zur praktischen Berufserfahrung zu ermöglichen, können Unternehmen verschiedene Strategien und Maßnahmen verfolgen, so auch Deloitte-Partner Pfeifle: „Sie können Jobrollen so umgestalten, dass sie klare Entwicklungspfade für Berufseinsteiger aufzeigen und es ihnen ermöglichen, in Schlüsselpositionen hineinzuwachsen.“
Sie sollten Situationen oder Projekte initiieren, ob an den Universitäten und Fachhochschulen oder in den Unternehmen selbst, in denen junge Mitarbeitende die Chance bekommen, ihre Entscheidungsfähigkeiten und ihr Urteilsvermögen zu üben und zu verbessern.
„Es geht darum, eine sichere und kontrollierte Umgebung zu schaffen, in der Fehler als Lernmöglichkeiten gesehen und junge Talente ermutigt werden, kreative Lösungen zu finden und Risiken einzugehen.“