Warum wir aufhören sollten, KI mit KI zu füttern – und lieber unser Hirn benutzen sollten

Die Digitalisierung hat uns vieles erleichtert – und nicht selten im gleichen Maße viele unnötige Routinen geschaffen. Erinnern wir uns an die frühen Tage der E-Mail: Plötzlich war es möglich, innerhalb von Sekunden eine Nachricht zu verschicken. Doch statt effizienter Kommunikation führte das zu einer Flut von Mails ohne echten Mehrwert. Hand aufs Herz: Wie viele der E-Mails, die täglich in unserem Postfach landen, brauchen wir wirklich?
Die nächste vermeintliche Evolutionsstufe des World Wide Webs: die Suchmaschinen. Was anfänglich wirklich hilfreich schien, führt selbst bei noch so spitz formulierten Fragen zu einer schier endlosen Trefferliste, in der sich Relevantes an völlig Irrelevantes und oft genug auch Falschinformationen reiht. Wer hat sich nicht schon in Trefferlisten und immer wieder neu formulierten Suchanfragen verloren?
Der nächste scheinbare Menschheitsgewinn: Social Media – das Werkzeug, mit dem sich Menschen in aller Welt vernetzen, helfen, unterhalten oder organisieren sollten. Doch wenn wir es nüchtern betrachten, sehen wir Menschen, die ausdruckslos auf ihre Bildschirme starren und sich im Doom-Scrolling durch die Feeds verlieren, ohne auch nur eine sinnvolle Interaktion zu haben.
Heute stehen wir mit generativer KI an einem ähnlichen Punkt. Wir haben eine Technologie in der Hand, die bahnbrechend ist oder zumindest scheint. Doch was machen wir konkret damit? Wir experimentieren mit redundanten Abfragen. Wir kopieren Wahlprogramme in KI-Systeme, lassen uns die Unterschiede auflisten und glauben, damit eine tiefere politische Erkenntnis zu gewinnen. Oder wir stellen ChatGPT, Claude, Gemini und Mistral dieselbe Frage, nur um festzustellen, dass die Antworten sich ähneln – als wäre das eine echte Überraschung.
Intelligente Zeitverschwendung
Wer eine KI mit bereits aggregierten Informationen füttert – Wahlprogramme, Unternehmensstrategien, schon existierende Texte –, um sich dann zusammenfassen zu lassen, was sowieso schon bekannt ist, betreibt nichts anderes als digitale Zeitverschwendung. Erkenntnisgewinn? Null. Es ist wie das Kopieren einer Wikipedia-Seite in ein Textdokument, um dann stolz zu behaupten, man habe das Dokument mit eigenen Recherchen „angereichert“.
Hinzu kommt die immense Verschwendung von Ressourcen: Jeder KI-Request verbraucht Rechenkapazität, Strom und letztlich auch Geld. Statt produktiv zu arbeiten, lassen wir Algorithmen für uns denken – nicht in einem kreativen oder forschenden Sinne, sondern schlicht in einer Art automatisiertem Selbstgespräch.
Lernen statt Abkürzen
Ein weiteres Beispiel: Früher mussten wir uns mit Argumenten auseinandersetzen, wenn wir uns über eine politische Entscheidung informieren wollten. Heute hoffen viele, dass uns eine KI einfach „die richtige Wahl“ vorschlägt. Dafür werden unterschiedliche generative KI-Systeme nicht nur mit Wahlprogrammen gefüttert, sondern auch mit den Thesen des Wahl-O-Mats, um am Ende zu wissen, welche Wahl die beste ist. Das ist absurd – weil es bedeutet, dass man sich nicht mehr selbst mit den eigenen Werten auseinandersetzt, sondern ein Sprachmodell entscheiden lässt, welche Themen wichtig sein sollen.
Das ist nicht nur eine intellektuelle Bankrotterklärung, es führt auch dazu, dass wir verlernen, unsere eigenen Prioritäten zu setzen. Wenn wir KI nur als einen „Zusammenfassungsautomaten“ nutzen, bleibt unser Verständnis auf einem oberflächlichen Level. Wir konsumieren, statt zu hinterfragen. Okay, so wirklich neu ist diese Erkenntnis natürlich nicht.
KI sinnvoll nutzen: Was wirklich hilft
Dabei gibt es so viele sinnvolle Wege, KI zu nutzen: Wenn wir mit ihr echte Denkprozesse anstoßen, statt nur fertige Antworten zu erwarten. Wenn wir sie als Werkzeug für kreative oder analytische Aufgaben einsetzen, statt für Copy-Paste-Routinen. Wer KI nutzt, um Muster in großen Datenmengen zu erkennen oder um neue Perspektiven für ein Problem zu bekommen, hat einen echten Mehrwert. Wenn wir sie nutzen, um Inklusion (von der Transkription in allen Arten über die Untertitelung von Videos) oder Integration (etwa durch KI-gestützte Übersetzungen) voranzutreiben.
Wenn wir sie allerdings nur nutzen, um uns das Denken abzunehmen, stehen wir vor einem Paradoxon: Je mehr wir die Technik in dieser Weise verwenden, desto weniger sind wir in der Lage, sie wirklich sinnvoll einzusetzen. Und das Schlimmste daran: Wir vernichten Zeit, Rechnerkapazitäten und Energie für nichts.
Es ist Zeit, aus den Fehlern der Digitalisierung zu lernen. Wir haben E-Mails nicht effizient genutzt, wir haben Social Media zu oft in bedeutungslose Klickorgien verwandelt – und jetzt stehen wir vor der Frage, ob wir KI genauso verschwenden. Nutzen wir sie richtig und nutzen wir sie nachhaltig. Wir brauchen einen bewussten Umgang mit KI und kein ungezieltes Herumexperimentieren. Schon aus diesem Grund benötigen Unternehmen KI-Officer, die ihre Kolleg:innen befähigen, die richtigen Aufgaben mit den richtigen Tools anzugehen.