Egal, ob Startup oder Konzern: Deshalb funktionieren kleine Teams besser
Ich habe in zwei großen Konzernen gearbeitet. In beiden schaffte ich es nach ungefähr einem Jahr noch immer, an meinen Arbeitsplatz zu gehen, ohne einen Menschen getroffen zu haben, den ich gut kannte. Vertraute Gesichter – klar. Aber: „Ach, wir zwei trinken nachher einen Kaffee zusammen“ – da bin ich an vielen Tagen drum herumgekommen.
Eines der Häuser war so groß und verwinkelt, dass ich es bis zu meinem Ausscheiden nicht geschafft habe, mich zu orientieren. Das andere war so hoch, das wir nach dem Lunch keinen Spaziergang brauchten: Wir nahmen einfach die Treppen. Und in beiden arbeiteten viele Hundert Menschen.
So viele Leute kennt niemand. Ich hätte vielleicht eine:n von zehn begrüßen können, alle anderen waren Teil einer Masse. Auf der Straße hätte ich sie nicht erkannt, und stellte man uns auf Partys einander vor, dann sagten wir: „Ach wirklich? Wo genau?“
Dunbar’s Zahl, benannt nach dem Evolutionspsychologen Robin Dunbar, benennt das Phänomen: Den Kontakt zu ungefähr 150 Personen können wir innerlich verwalten. Danach wird’s schwierig. Lange Zeit wurde diese Zahl herangezogen, um unser Social-Media-Verhalten zu entlarven: 698 Kontakte bei Facebook? Wer sind all die Leute?
Mehr ist nicht mehr – mehr ist nur Chaos
Doch auch auf die Arbeit wirkt sich diese Zahl aus. Große Konzernzentralen sind zwar repräsentativ (und können großartige Kantinen beherbergen), aber für die Menschen darin kann ein Effekt der Entfremdung entstehen.
Das US-amerikanische Medienunternehmen Quartz berichtet Ähnliches:
- Mitarbeitende wünschten sich mehr Feedback, als das Management in flachen Strukturen geben konnte.
- Entscheidungsstrukturen waren immer öfter unklar.
- Strategien, Normen und Werte wurden schwerer zu kommunizieren.
„All das spitzte sich zu, als das Unternehmen 150 Mitarbeitende erreichte“, schreibt Quartz-Mitgründer Kevin Delaney. „Ein wahrscheinlicher Grund dafür ist, dass sich die Dynamik verändert.“ Das Unternehmen wächst, aber die Kultur kommt nicht mit.
Teile (auf), statt zu herrschen
Die Firma Gore (bekannte vom Goretex an deiner Übergangsjacke) hat eine sehr drastische Lösung für dieses Problem gefunden: Arbeiten in einer Unternehmenseinheit mehr als 200 Personen, dann wird diese Einheit aufgeteilt. Diese Einheiten bündelt das Unternehmen in Clustern. So seien weiterhin Synergieeffekte möglich; gleichzeitig würden Menschen den Bezug zu ihren Teams aber behalten. Es bleibe eine Form der Intimität, sagte die frühere Gore-CEO Terri Kelly einst dem Guardian.
Die Idee geht zurück auf Gründer Bill Gore, der mit kleineren Firmengebäuden Entfremdung vermeiden wollte. Anders gesagt: In kleineren Einheiten bleibt das Wir-Gefühl erhalten, im Unterschied zu einer Kultur, in der oben entschieden und unten ausgeführt wird.
Große Firmen können sich zu einem Verwaltungsstaat entwickeln: Menschen arbeiten nach Regeln, Abweichungen muss man sich trauen. Und was einst wuchs, um die Effizienz zu sichern, wird langfristig ineffizient. Menschen werden zu menschlichen Ressourcen, organisiert von zentralisierten Abteilungen, deren Einblick in die Anforderungen eines Jobs bestenfalls grob sein kann. Und wirklich gute Leute bewerben sich gar nicht erst, weil sie sich schon von der Stellenanzeige missverstanden fühlen.
Erfolg führt zu Misserfolg
Darüber schrieb MIT-Dozent Donald Sull im HBR: „Müssen sich erfolgreiche Unternehmen großen Veränderungen stellen, schaffen sie es oft nicht, wirkungsvoll zu reagieren.“ Er schiebt dies auf ein Phänomen, das er als aktive Trägheit bezeichnet. Das Unternehmen handelt zwar, die Menschen darin auch. Sie sind aber gleichzeitig in ihrer Kultur gefangen. Ist ein Unternehmen groß genug und alt genug, dann tun die Menschen, was sie immer getan haben. Und mit dieser Einstellung kommen sie nirgendwohin, wo sie noch nicht längst gewesen sind.
In einem sich verändernden Marktumfeld – aka die Welt da draußen – reicht das nicht mehr. Nokia und Blackberry wollten keine Smartphones, Videotheken glaubten nicht an die Gefahr des Streamings, Kodak konnte den Farbfilm irgendwann vergessen (Kids & GenZ: Müsst ihr nicht kennen, solltet ihr aber googeln. Ist lehrreich).
Vielleicht hätten sie jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt: die Mitarbeitenden. Die Kinder der Mitarbeitenden. Vielleicht hätten sie miteinander reden müssen, um die Welt außerhalb ihrer Konzernkosmen nicht aus dem Blick zu verlieren. „It takes a village“, sagt man über die Kindererziehung und vielleicht gilt das auch, wenn Firmen wachsen: „Es braucht ein Dorf.“ Von Großstadt hat keiner was gesagt.