Der Traum von der Gesetzlosigkeit: Coworking in internationalen Gewässern

Schwimmende Co-Working-Spaces entstehen. (Grafik: seasteading.org)
Es könnte alles so herrlich sein, draußen vor der Küste: Hand in Hand mit den Besten der Besten zusammenarbeiten, im perfekten Arbeitsumfeld, drumherum das Meer – und vor allem ohne jede Einmischung irgendeiner Staatsmacht. Moderne Outlaws, die bei ihrer Unternehmensführung einfach freie Hand für unkonventionelle Experimente haben. Was diese Vorstellung für die IT-Branche attraktiv macht, ist leicht zu erraten: keine Steuern, keine komplizierte Visumsbeschaffung, keine strengen Vorgaben bezüglich der Datensicherheit. Stattdessen: Reiner Pragmatismus und maximale Freiheit zum Wohle des wirtschaftlichen Erfolges.„Es gibt eine Menge Dinge, die wir gerne machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind“ – Larry Page
Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang Larry Page (Google): „Es gibt eine Menge Dinge, die wir gerne machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind. Weil es Gesetze gibt, die sie verbieten. Wir sollten ein paar Orte haben, wo wir sicher sind. Wo wir neue Dinge ausprobieren und herausfinden können, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben.“ Soweit die utopisch anmutende Wunschvorstellung. Aber dabei soll es nicht bleiben.
Don’t dream it!
An der realen Umsetzung des Unternehmer-Paradieses wird schon getüftelt. Als Inseln im Meer sind dabei zum Beispiel Plattformen denkbar, die wie Bohrinseln befestigt werden. Das Seasteading-Institut hält auch ganze schwimmende Städte für machbar – und das innerhalb weniger Jahre. Schon sehr konkrete Pläne legt das Startup Blueseed vor, dessen Gründer Dario Mutabdzija und Max Marty auch schon Erfahrungen im Seasteading-Institut gesammelt haben. Nun wollen sie ein großes Kreuzfahrtschiff mit innovativen Startups bemannen und mit ihm vor der Küste Kaliforniens vor Anker gehen. Die Schiffbewohner hätten dann die Möglichkeit, ganz einfach mit einem Touristen- oder Business-Visum Investoren und Businesspartner im Silicon Valley zu besuchen.
Die Idee mit dem Boot ist nicht ganz neu: Schon 2005 bewarb das Unternehmen SeaCode die Möglichkeit, Fachkräfte auf einem Kreuzfahrtschiff in direkter Nähe zum Silicon Valley zu positionieren. Der Versuch, auf diese Weise von niedrigeren Löhnen zu profitieren, brachte dem Projekt jedoch schnell den Ruf eines Sklavenschiffs ein.
Kajüte statt Green Card
Vorzeige-Argument für das Projekt Blueseed ist der besondere Reiz für ausländische Talente: Wer in den USA arbeiten will, braucht ein Visum. Und das ist nicht leicht zu kriegen. An Bord des Startup-Schiffs soll es dagegen keine strengen Einwanderungsgesetze geben; qualifizierte Experten aus aller Welt werden dort bequem arbeiten können. Die kreative Schaffenskraft der Immigranten könnte auf diese Weise die Bay-Area bereichern, ohne dass man sich mit lästigen Visumsanträgen rumschlagen müsste. Das ist aber nicht der einzige Vorteil, den der dauerhafte Aufenthalt in internationalen Gewässern verspricht.
Schöne neue Gesellschaftsordnung
Für die Gründer des Seasteading-Instituts spielt nicht nur die unkomplizierte Immigration eine entscheidende Rolle; sie reizt auch der antietatistische Charakter künftiger schwimmender Startup-Inseln. Ziel ist nichts Geringeres als die Schaffung einer neuen Gesellschaft – eine Weiterentwicklung der Demokratie, die man als überholt betrachtet. Abseits von Steuern, sozialem Ausgleich und Mitbestimmung soll so maximale Freiheit gewährleistet und Unternehmern keine Grenzen mehr gesetzt werden.„Eine Kolonie von Gleichgesinnten, die auf eine staatliche Institution nicht mehr angewiesen ist.“
Mal ganz abgesehen davon, dass ein solches Unterfangen recht rücksichtslos daher kommt – trennen wir uns einfach von allem überflüssigen Ballast –, werfen Projekte dieser Art auch die ein oder andere pragmatische Frage auf. Das Seasteading-Institut beispielsweise erwägt, zunächst vor der Küste Honduras vor Anker zu gehen und Honduras als Gastland zu akzeptieren – vollständige Unabhängigkeit von bestehenden Staaten sieht anders aus. Das können Kreuzfahrtschiffe ebenso wenig leisten, müssen sie schließlich immer unter der Flagge einer Nation fahren.
Der ultimative mobile Arbeiter
Die Idee der schwimmenden Startup-Städte treibt das Konzept des Mobile Workers auf die Spitze. Ändert sich die Situation vor einer Küste – ob politisch oder ökologisch – sollen die Inseln einfach an eine andere Stelle gebracht werden. So könnten dann Fachkräfte immer genau dort arbeiten, wo die Standortbedingungen am günstigsten sind – in einer Kolonie von Gleichgesinnten, die auf eine staatliche Institution nicht mehr angewiesen ist.
Wie genau eine derartige Siedlung organisiert sein soll, steht aber noch in den Sternen. Wie stellt man beispielsweise sicher, dass in der rechtsfreien Startup-Gesellschaft keine kriminelle Geschäfte angesiedelt werden? Und was passiert, wenn unter den Gleichgesinnten doch schwerwiegende Konflikte auftreten? Und: Ist es wirklich erstrebenswert, alles dem wirtschaftlichen Erfolg unterzuordnen?
Haltet ihr den Sprung in internationale Gewässer für ein probates Mittel, um mehr unternehmerische Freiheiten zu erlangen oder flößt euch der Wunsch nach Startups im rechtsfreien Raum eher Angst ein?