Kreative Menschen sind speziell. Das gilt vor allem für jene, die die Designabteilungen anführen, elegante Lösungen für technische Probleme finden oder aufrüttelnde Literatur verfassen. Sie werden bewundert und verehrt und das zu Recht, denn was in ihren Köpfen passiert, bringt uns voran. Die Gesellschaft geht davon aus, dass diese Menschen außergewöhnlich sind und ihr kreatives Genie für uns andere unerreichbar ist – und immer war.
Die Psychologie denkt das nicht. Der renommierte Psychologe Philipp Zimbardo schreibt mit seinem Team in Schlüsselkompetenzen der Psychologie über die Erwartung, dass Kreativität außergewöhnlich sei: „Es gibt überraschend wenige Befunde, die diese Auffassung stützen.“ Und so gibt es auch keinen besonders kreativen Typ Mensch. Es gibt aber Faktoren, die bei der Kreativität helfen. Die gute Nachricht: Genie ist hart erarbeitet. Und das bedeutet: Du kannst das auch.
Der Psychologe Robert Sternberg sagt über ausgelebte Kreativität: „Wie gute Investoren erschaffen kreative Menschen Ideen, die, zu ihrer Zeit, als neu und vielleicht leicht lächerlich angesehen werden.“ Was für diese Kreativität wichtig ist, findet sich in der Geschichte der Psychologie. Dies sind wichtige Faktoren:
Kreativität braucht Unabhängigkeit
Einen wichtigen Kreativitätskiller lernen junge Menschen gleich als erstes kennen, wenn sie einen Vorschlag machen: „Das haben wir hier schon immer so gemacht.“ Subtext: Und noch nie anders. Kreative Menschen machen sich davon frei, was andere denken oder erwarten. Und das ist schwer!
Soziale Einflüsse sind wichtig, weil sie Sicherheit vermitteln. Sternberg schreibt dazu: „Kreative Menschen neigen von Natur aus dazu, sich der Masse zu widersetzen.“ Und diese „Natur“ könnte in Wahrheit eine Kultur sein, denn diese Denkweise lässt sich lernen.
„Soziale Einflüsse können Kreativität vernichten“, schrieb die Sozialpsychologin Teresa Amabile einst pointiert in ihrem Buch Creativity In Context. Insbesondere unsichere Menschen kritisierten neue Ideen vergleichsweise hart, um damit ihren Status zu sichern. Der Stanford-Psychologe Justin Berg nennt das in einer Festschrift zu Ehren der Arbeit Amabiles „Grausamkeitsanreiz“. Dieser Aufstieg durch Grausamkeit steht in Konkurrenz zum Aufstieg durch Kreativität.
Das richtige Umfeld kann Amabile zufolge Kreativität aber auch fördern. Kreative Menschen umgeben sich bewusst mit jenen, die ihre Neigung teilen, sie genießen herausfordernde Gespräche und eine Niederlage in der Debatte ist für sie ein Lernerfolg.
Kreativität braucht Neugierde und Begeisterungsfähigkeit
Es gibt Probleme, die sich nicht wegignorieren lassen. Und es gibt Menschen, die Probleme auch gar nicht wegorganisieren wollen. Neugierige Menschen können ein intensives Interesse an einem Problem entwickeln, wir könnten von Obsession sprechen oder von Begeisterungsfähigkeit für eine Herausforderung.
Und dieser innere Drang, einer Sache auf die Spur zu kommen, ist eine der Grundlagen für Kreativität, schreibt Amabile. Wer sich nicht von einem Problem einsaugen lässt, der wird auch mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine Lösung ausspucken.
Kreative Menschen lassen sich dabei übrigens nicht von Komplexität abschrecken. Im Gegenteil, sie suchen sie, sie erfreuen sich an ihr. Schon mal eine Vierjährige dabei ertappt, wie sie mit ihren Freundinnen den Spielzeug-Reitstall in seine (winzigen!) Einzelteile zerlegt? Kinder lieben Komplexität. Wir müssen sie nur zulassen.
Kreativität verlangt ein Umdenken
Ein Problem ist ein Problem ist ein Problem? Kreative Menschen nehmen ihre Herausforderungen auseinander und setzen sie neu zusammen. Sie betrachten sie aus allen Blickwinkeln. Sie sprechen auch mit anderen über deren Perspektiven.
Schnelle Lösungen entstehen auf diese Art nicht. Aber vielleicht andere, neue. Und das könnte den Unterschied ausmachen zwischen: „Kriegen wir hin“ und „das wird großartig“. Dieser Unterschied ist es, der Lösungen von kreativen Lösungen unterscheidet, Geschichten von großen Erzählungen und leidenschaftslose Kampagnen von jenen, die unsere Kultur aufrütteln.
Ach, da war sie wieder, die Kultur. Ja, wir können etwas erschaffen, jede:r von uns. Wir können uns verändern. Wir können lernen. Dass du in deiner Kindheit den Reiterhof nicht in seine Einzelteile zerlegen durftest, bestimmt nicht dein Schicksal. Unabhängigkeit, Neugierde und die Bereitschaft, umzudenken und komplex zu denken, diese Dinge kannst du beschließen und dann üben. Es lohnt sich.