Kosmischer Streit: Stellt diese Entdeckung unser Verständnis von Dunkler Energie wirklich auf den Kopf?

Knapp zwei Monate, nachdem t3n über die potenziell bahnbrechende Ergebnisse des Dark Energy Spectroscopic Instrument (DESI) zur Dunklen Energie berichtet hatte, meldet sich nun ein hochrangiger Kritiker zu Wort. Bei der Dunklen Energie handelt es sich um jene rätselhafte Kraft, die dafür verantwortlich gemacht wird, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.
Die entscheidende Frage ist, ob diese Kraft konstant ist, wie es das Standardmodell als eine der Säulen von Albert Einsteins Relativitätstheorie annimmt, oder sich über die Zeit verändert, wie es die Desi-Forscher:innen sensationellerweise andeuteten. Der Kosmologe George Efstathiou von der englischen Cambridge-Universität hat eine klare Antwort auf diese Frage. Er sieht das Standardmodell nicht in Gefahr. Entsprechend gäbe es auch keine Sensation.
In einem wissenschaftlichen Paper, das er Mitte Mai auf der Preprint-Plattform Arxiv veröffentlicht hat, legt er dar, dass die neuen Desi-Daten das Standardmodell der Kosmologie nicht widerlegen, sondern bei genauer Betrachtung sogar eindrucksvoll bestätigen würden.
Eine Frage der Perspektive – und der Statistik
Efstathiou wirft den Desi-Forscher:innen nicht vor, falsche Daten erhoben zu haben. Seine Kritik zielt auf die Methodik der Analyse und die statistische Interpretation, die seiner Meinung nach zu voreiligen Schlüssen geführt habe.
Sein Ansatz besteht darin, die Daten aus einem anderen mathematischen Blickwinkel zu betrachten. Dabei isoliert er eine Messgröße, deren Wert vom Standardmodell sehr präzise vorhergesagt wird. Das Ergebnis: Die neuesten Desi-Daten passen besser zu dieser Vorhersage als ältere Messungen. Das ist allerdings das genaue Gegenteil von dem, was man bei einer echten Abweichung erwarten würde.
Der zweite und schärfste Kritikpunkt betrifft die Statistik. Efstathiou argumentiert, die vom Desi-Team angeführte statistische Signifikanz sei das Ergebnis einer Methode, die ein komplexeres Modell zu Unrecht bevorzuge – ein Problem, das in der Datenwissenschaft als „Overfitting“ bekannt ist.
In seinem Paper nennt er die Schlussfolgerung des Desi-Teams, Beweise für eine sich verändernde Dunkle Energie gefunden zu haben, eine „misleading impression“, also einen irreführenden Eindruck. Er kritisiert zudem, dass die stärksten Hinweise erst durch die Kombination mit einem bestimmten Supernova-Datensatz zustande kämen, dessen Zuverlässigkeit er infrage stellt.
Mit dieser Einschätzung steht Efstathiou nicht allein da. Wie der New Scientist berichtet, teilt auch Mathias Zaldarriaga vom Institute for Advanced Study in Princeton im US-Bundesstaat New Jersey diese Einschätzung. „Ich stimme mit seinen Schlussfolgerungen überein“, wird Zaldarriaga zitiert. Er glaube nicht, dass die Desi-Ergebnisse „mit irgendeiner Signifikanz auf eine sich entwickelnde Dunkle Energie hindeuten“ würden.
Zaldarriaga ergänzt, dass ein komplizierteres Modell zwar besser zu den Daten passen könne, aber nicht zwangsläufig physikalisch plausibler sei. Man müsse dem nicht zwangsläufig Glauben schenken, so der Physiker.
Fallstricke der Datenanalyse: Eine Lektion für die Tech-Welt
Die Desi-Kollaboration selbst weist die Kritik von Efstathiou jedoch zurück. Will Percival von der University of Waterloo in Kanada, der im Namen der Kollaboration sprach, erklärte gegenüber dem New Scientist, man habe Efstathious Analyse geprüft und sehe keinen Grund, die eigene zu ändern.
Laut Percival habe Efstathiou eine „starke Interpretation der Daten, aber diese scheint eher subjektiv als quantitativ und auf statistischer Argumentation basierend zu sein.“ Der Vorwurf lautet also, Efstathiou argumentiere aus einer Voreingenommenheit für das Standardmodell heraus. Der Ausgang des Streits ist offen – die Kosmologie bleibt spannend.
Dieser wissenschaftliche Disput ist mehr als nur eine Fachdebatte unter Physiker:innen. Er dient als perfekte Fallstudie für die Herausforderungen der modernen Datenanalyse, die auch für die Tech-Welt von hoher Relevanz sind.
Er zeigt, wie entscheidend die Wahl des Analysemodells ist und wie dieselben statistischen Werte unterschiedlich interpretiert werden können. Gleichzeitig demonstriert der offene Austausch über Plattformen wie Arxiv, wie der wissenschaftliche Prozess der gegenseitigen Überprüfung heute funktioniert: schnell, transparent und für jede:n nachvollziehbar.