Kündigungsgründe frühzeitig erkennen: So funktioniert ein Stay-Interview
![Mit Stay-Interviews können Unternehmen die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden erheblich steigern. (Foto: Shutterstock) Kündigungsgründe frühzeitig erkennen: So funktioniert ein Stay-Interview](https://images.t3n.de/news/wp-content/uploads/2019/08/salesforce-beitrag-5-agreement.jpg?class=hero)
Mit Stay-Interviews können Unternehmen die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden erheblich steigern. (Foto: Shutterstock)
Es mehren sich die Anzeichen, dass der als „Great Resignation“ bezeichnete Trend, der in USA Millionen von Menschen ihren Job kündigen lässt, auch in Deutschland angekommen ist. Pandemiebedingter Burn-out oder allgemeine Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen – was die Gründe auch sind, im Ergebnis macht es die angespannte Personallage in den Unternehmen nicht einfacher. Wenn es doch eine Möglichkeit gebe, die Unzufriedenheiten aufzufangen, bevor sie zum Kündigungsgrund werden. Gibt es: das Stay-Interview.
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Was ist das Stay-Interview?
Bekannter dürfte das verwandte Austrittsgespräch sein, in dem ausscheidende Kolleg:innen um Feedback zu ihrer Kündigung gebeten werden. Typische Fragen, die in einem Austrittsgespräch gestellt werden, sind etwa: Warum hast du gekündigt? Hätten wir etwas tun können, um dich zu halten? Was würdest du am Unternehmen ändern wollen?
Natürlich ist das Austrittsgespräch grundsätzlich ein gutes Instrument, um Feedback für künftige Verbesserungen einzuholen. Das Problem am Austrittsgespräch ist jedoch: Jede Hilfe kommt zu spät. Die Kündigung ist erfolgt und der neue Vertrag vermutlich schon unterschrieben. Besser ist es, Mitarbeitenden regelmäßig in Stay-Interviews die Frage zu stellen: „Wenn du jetzt kündigst, was wäre der Grund?“ Warum nicht die Chance nutzen und Probleme lösen, bevor Mitarbeitende das Unternehmen verlassen?
Warum sind Stay-Interviews sinnvoll?
Fest steht, dass gefragte Mitarbeitende laufend Angebote erhalten. Unternehmen müssen sich also immer wieder bemühen, ihre Mitarbeitenden durch ein attraktives Umfeld und Angebot an sich zu binden. Doch woher sollen Personalabteilungen wissen, wie sie im konkreten Vergleich zu anderen stehen, ohne einen so engen Austausch wie im Stay-Interview?
Gleichzeitig sind Gehalt und Benefits nur zwei wichtige Stellschrauben für die Mitarbeitendenzufriedenheit. Auch wenn kein Thema im Stay-Interview Tabu sein sollte, liegen die Gründe für eine potenzielle Kündigung manchmal viel näher als man glaubt.
Natürlich sind Stay-Interviews nicht der „Heilige Gral“ für die Employee-Retention, also das Halten von Mitarbeitenden. Doch das Stay-Interview gibt Personaler:innen authentische Einblicke darin, welche Bedürfnisse Mitarbeitende wirklich haben und in welchen Bereichen sie sich Veränderungen wünschen. Durch die spezielle Perspektive fühlen Mitarbeitende sich gehört und ernst genommen.
Wie lassen sich Stay-Interviews durchführen?
Eine gute Dauer für das Gespräch sind 20 bis 30 Minuten. Es sollte Mitarbeitenden die Möglichkeit bieten, zu besprechen, was ihnen auf der Seele liegt. Außerdem sollte es sie darin bestätigen, dass sie essenziell für das Unternehmen sind, ihr Input geschätzt und ihr Verbleib ausdrücklich gewünscht wird.
Grundsätzlich ist es wichtig, dass Stay-Interviews einen eher informellen Charakter behalten, damit Mitarbeitende offen und ehrlich ihr Feedback teilen können. Deshalb sollten auch keine Fragen im Vorfeld zugesandt werden. Gleichzeitig sollte ersichtlich sein, dass es sich um ein Stay-Interview handelt. Nichts wäre schlimmer, wenn Mitarbeitende von der Personalabteilung eine Termineinladung ohne Kontext erhalten.
Idealerweise sollten mit allen Mitarbeitenden Stay-Interviews geführt werden. Doch aufgrund limitierter Ressourcen ist es pragmatischer, sich zunächst auf bestimmte Rollen und Abteilungen zu konzentrieren. Personaler:innen sollten sich Gedanken darüber machen, welche Positionen besonders schwer zu besetzen sind und welche Austritte die negativsten Auswirkungen hätten.
Die richtige Frequenz für Stay-Interviews wird von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich sein. Eine gute Orientierung können beispielsweise halbjährliche Gespräche sein. Davon, Stay-Interviews mit Gesprächen zur Evaluation der Mitarbeitenden zu kombinieren, ist jedoch abzuraten. Das könnte ungewollten Druck erzeugen, der die Ergebnisse der Interviews verzerrt.
Was für Fragen bieten sich für das Stay-Interview an?
Der inhaltliche Fokus des Interviews sollte auf Faktoren liegen, die über Verbleib oder Ausscheiden aus dem Unternehmen entscheiden, wie negative Erfahrungen, dem Zustand der Unternehmenskultur, den Benefits und natürlich dem Gehalt. Im Folgenden eine Auswahl von Fragen zur Orientierung:
Zur Rolle
- Wie fühlst du dich in deiner Position?
- Fühlst du dich ausreichend gefördert/gefordert?
- Welche deiner Talente bleiben aktuell ungenutzt?
- Was sind deine langfristigen Karriereziele?
- Wenn du an deinem Job eine Sache ändern könntest, was wäre das?
Zur Unternehmenskultur und zum Umfeld
- Warum bleibst du bei uns?
- Wie erlebst du unsere Unternehmenskultur?
- Was würdest du an unserer Unternehmenskultur oder der Art und Weise wie das Unternehmen arbeitet ändern?
- Wie bewertest du die Work-Life-Balance im Unternehmen?
- Was könnte dich veranlassen, dich nach einer neuen Aufgabe/Stelle umzusehen?
Was geschieht mit den Ergebnissen der Stay-Interviews?
Die Ergebnisse gilt es zu bewerten, zu strukturieren, zu priorisieren und in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Um einzuschätzen, ob ein angesprochenes Problem auf einen größeren Trend hinweist, müssen die Antworten aus allen Interviews aggregiert und durch Daten aus anderen Formaten wie zum Beispiel Umfragen angereichert werden. Handelt es sich um einen Einzelfall, betrifft es nur ein bestimmtes Team und ihre Manager:in oder das ganze Unternehmen?
Mit den gewonnenen Einsichten aus den Stay-Interviews können Personalabteilungen beginnen, (wiederkehrende) Themen zu priorisieren, wie etwa eine ungleiche Einkommensverteilung, mangelnde Diversität, eine inkonsistente Unternehmenskultur oder fehlende Mitarbeitendenentwicklung.
Auf allen Ebenen können natürlich Lösungen gefunden werden. Ist die Ausstattung im Homeoffice mangelhaft, tut es vielleicht einfach ein frei verfügbares Budget, um hier nachzubessern. Berichtet ein Team konsistent von Überlastung, kann ein Gespräch mit dem Manager Abhilfe schaffen. Stellt sich wiederholt heraus, dass ein bestimmter Benefit auf geringe Akzeptanz stößt, ist es vielleicht Zeit für ein Update.
Konkrete Aktionspläne schaffen Verbindlichkeit und signalisieren den Kolleg:innen, die sich die Mühe gemacht haben, ehrliches Feedback zu geben, dass tatsächlich etwas getan wird. Selbstverständlich kann nicht jedes Einzelproblem gelöst werden, aber manchmal hilft es schon, gehört zu werden.
Für die Umsetzung müssen alle relevanten Stakeholder einbezogen werden, sei es der Manager, um dessen konkrete Mitarbeitenden es geht, oder die Unternehmensführung, die über zusätzliche Budgets entscheiden muss. Die Antworten aus den Interviews sollten selbstverständlich vertraulich und anonym geteilt werden (sofern es sich nicht um ein einfaches und persönliches Problem wie etwa die Ausstattung handelt).
Unternehmen sollten Stay-Interviews nur durchführen, wenn sie es ernst meinen
Wer sich traut, den „Finger in die Wunde zu legen“, sollte das nur in der festen Absicht tun, auch dementsprechend zu handeln. Nichts ist schlimmer, als bei den Mitarbeitenden falsche Hoffnungen zu wecken. Das würde genau das Gegenteil der erwünschten Wirkung der Stay-Interviews erzielen.
Unternehmen, die sich personell nicht in der Lage sehen, Stay-Interviews flächendeckend durchzuführen, sollten klein anfangen und mit den Schlüsselfiguren beginnen.
Und zu guter Letzt noch ein entscheidender Tipp: Die Fragen aus dem Stay-Interview lassen sich auch in andere regelmäßige Austauschformate und Gehalts- oder Vertragsverhandlungen integrieren.