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Reportage
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Volkswagen-Data-Lab: Wie Maschinen in Zukunft lernen werden

Volkswagen betreibt in München mit dem Data-Lab eine Forschungseinrichtung für künstliche Intelligenz, die zeigt, dass man unter Machine Learning mehr versteht als autonomes Fahren.

7 Min. Lesezeit
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(Bild: Kai-Uwe Knoth / Volkswagen)

Das Bürogebäude erinnert eher an Wolfsburg als ans Valley, es liegt unspektakulär an einer Ausfallstraße im Norden von München. Immerhin: In Laufweite liegen die deutschen Zentralen von Microsoft und Amazon, daneben sitzen MAN und Osram. Und in der Tat trifft auch in dem eher unscheinbaren Bürogebäude mit dem Volkswagen-Data-Lab die alte Industrie auf die neue Digitalwirtschaft.

Künstliche Intelligenz und selbstlernende Maschinen

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Wer bei KI und Volkswagen zuerst einmal an selbstfahrende Autos denkt, wird im Data-Lab enttäuscht. „Es geht im Data-Lab vornehmlich um künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen im Zusammenhang mit Unternehmensprozessen und Produktionsverfahren“, erklärt Barbara Sichler, Head of Project Development. So werde im Data-Lab unter anderem Grundlagenforschung in Bezug auf Machine Learning betrieben und auch das komplexe Feld des Einsatzes von Quantencomputern sei ein wichtiger Forschungsbereich.

Besser erklären, warum künstliche Intelligenz einerseits auf Befürchtungen bei Mitarbeitern und auf große Hoffnungen bei Firmenlenkern trifft, kann Patrick van der Smagt. Der aus den Niederlanden stammende Leiter der KI-Forschung bei Volkswagen war Professor für biometrische Robotik und maschinelles Lernen an der TU München, bevor er 2016 als Direktor für KI-Forschung zum Volkswagen-Konzern kam und sich gegen die Hochschulkarriere entschied. „Das Problem an künstlicher Intelligenz ist, dass jeder darunter etwas anderes versteht“, fasst van der Smagt zusammen. Ziel sei es, bei Unternehmensentscheidungen auf der Basis datengetriebener Verfahren und mithilfe der Stochastik die optimale Entscheidung zu treffen. Die Gebiete, auf denen das Data-Lab forsche, reichen von Advanced-Language-Analysis, also dem Erkennen von Stimmungen in gesprochenen Dialogen, über Deep Learning bis hin zu Advanced Analytics.

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Patrick van der Smagt forscht für Volkswagen an KI-Anwendungen. Dem Konzern könnte er damit heute schon Millionen einsparen. (Bild: Kai-Uwe Knoth / Volkswagen)

Mitarbeiter sollen dadurch nicht überflüssig werden, sich dafür aber auf Themen und Aufgaben konzentrieren können, die geistig herausfordernder sind als viele Standardaufgaben, für die heute viel Zeit aufgewendet wird. Ein erstes Projekt, das dem Volkswagen-Konzern in Zukunft viele Millionen Euro einsparen könnte, betrifft beispielsweise die Preisfindung bei Ersatzteilen. „Es gibt im Konzern rund eine halbe Million Bauteile, für die in jedem der über 150 Märkte ein geeigneter Preis gefunden werden muss“, erklärt van der Smagt. „In der Vergangenheit eine Sisyphusarbeit, die von vielen Mitarbeitern mit unendlich langen Excel-Listen und einer Vielzahl von Tools gemacht werden musste.“ In Zukunft könne die Arbeit der Computer erledigen.

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Kollege oder Jobkiller? Der Betriebsrat darf und soll bei KI mitreden

Dass angesichts solcher Veränderungen der Betriebsrat, der bekanntermaßen gerade in Großunternehmen der Automobilwirtschaft über reichlich Einfluss verfügt, von Anfang an mit ins Boot muss, ist klar. „Wir haben der Arbeitnehmermitbestimmung bereits sehr früh Einblicke in das neue Labor und die Projekte hier gewährt, weil wir zeigen wollen, dass die Lösungen, die hier gefunden werden, dem Menschen dienen und ihn eben gerade nicht überflüssig machen“, berichtet Martin Hofmann, IT-Chef des Volkswagen-Konzerns. Doch gerade Projekte wie die bereits genannte Pricing-Automation zeigen, wohin die Reise geht: weg von lästiger, wenig kreativer Arbeit hin zu den Aufgaben, die aufgrund ihrer Beschaffenheit und Komplexität eben dann doch nur vom Menschen erledigt werden können.

Und doch kann van der Smagt all jene beruhigen, die die Befürchtung haben, dass in Zukunft nur noch Computer unsere Arbeit verrichten werden.  „Von der Leistungsfähigkeit eines menschlichen Gehirns sind wir noch Lichtjahre entfernt. Was Computer aber leisten können, ist eine Entlastung des Menschen bei stupiden Tätigkeiten, bei denen der Mensch nach stundenlanger gleicher Arbeit mehr Fehler macht als die Technik.“

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Die Grenzen dessen, wofür man den Menschen braucht, sind fließend. Ein anderes Projekt befasst sich beispielsweise mit Sprachbots und der Tonfallanalyse bei sprachlicher Interaktion. So lässt sich etwa erkennen, ob ein Kunde oder Nutzer genervt oder gestresst ist und in welchen Situationen beispielsweise ein guter Moment für einen bestimmten Vorschlag ist. Hilfreich ist das nicht nur für Dialoge mit Telefoncomputern, bei denen ein Bot mit einem Menschen aus Fleisch und Blut verhandelt, sondern auch für die Interaktion beispielsweise mit dem eigenen Fahrzeug – also immerhin doch eine Anwendung, die dann auch im Produkt des Unternehmens vorkommen könnte.

Künstliche Intelligenz kann Fahrleistung verbessern

Gleichzeitig könne man beispielsweise in der Produktion die Arbeitssicherheit in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter verbessern, weil der lernende Roboter besser vorausahnen könne, wann für den Menschen eine Verletzungsgefahr besteht. Auch die Unterstützung des Fahrers am Steuer ist eines der Felder, auf dem KI-Anwendungen hilfreich sein können. Das gelte sowohl im täglichen Straßenverkehr als auch im Racing-Bereich, wo die Technik durch Algorithmen den Fahrer soweit unterstützen kann, dass er noch ein paar Sekundenbruchteile mehr herausholt.

Und mit dem Autoverkehr hat noch eine andere Anwendung zu tun, an der Volkswagen zusammen mit diversen anderen Partnern arbeitet: Das Unternehmen will in Zukunft auf der Basis von Stochastik innerstädtischen Verkehr so gut voraussagen können, dass im Idealfall Staus gar nicht mehr entstehen. Das funktioniert natürlich umso besser, je mehr Fahrzeuge mithilfe eines Navigationsgerätes arbeiten. So könnten Staus selbst im Berufsverkehr in Zukunft der Vergangenheit angehören.

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Alles in allem handele es sich bei künstlicher Intelligenz, das gibt van der Smagt unumwunden zu, immer um das Produkt von Wahrscheinlichkeitsrechnungen. Auch wenn er erklärt, unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten gäbe es zunächst einmal kein Thema, bei der KI grundsätzlich ungeeignet sei, schränkt er das im nächsten Satz doch ein: „Das letzte Wort und die tatsächliche Verantwortung hat stets der Mensch, schon aus versicherungstechnischen Gründen.“

Internationales Team, klarer Spezialistenmarkt

Doch bis man zu funktionierenden Produkten kommt, ist es ein weiter Weg. Und der erfordert das nötige Know-how in Form von KI-Experten. Das Team in Volkswagens Data-Lab ist jung und international, die aktuell rund 50 Mitarbeiter kommen aus immerhin 15 Nationen. Gefragt sind übrigens nicht nur Informatiker und Ingenieure, sondern auch Betriebswirte und Geisteswissenschaftler. Dieser interdisziplinäre Ansatz stelle sicher, dass das Thema von allen Seiten verstanden werde, erklärt van der Smagt.

Dass man sich für München als Standort für ein KI-Labor entschieden habe, käme nicht von ungefähr. „Wir finden beispielsweise in Regionen wie Berlin zwar eine große Zahl an Developern, für den speziellen Bereich der künstlichen Intelligenz ist aber gerade der Raum München mit seinen Hochschulen der am besten geeignete Ort.“ Rund 20 weitere Mitarbeiter wolle man im Laufe des Jahres gewinnen und halte dafür an den geeigneten Hochschulen nach Talenten Ausschau. Größer als 100 oder 120 Mitarbeiter solle das Labor aber auch langfristig ohnehin nicht bekommen – das sei der Richtwert, den man von fünf vergleichbaren anderen Laboren aus dem Konzern habe.

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Für Martin Hofmann, IT-Chef bei Volkswagen, ist das in München ansässige Data-Lab eines der wichtigsten Zukunftsprojekte des Konzerns. (Bild: Kai-Uwe Knoth / Volkswagen)

„Geeignete Mitarbeiter fallen nicht vom Himmel, es handelt sich um einen klaren Spezialistenmarkt“, berichtet IT-Chef Hofmann. Allerdings habe sowohl der Name Volkswagen als auch das Labor selbst so viel Strahlkraft unter den Absolventen, dass man aus zahlreichen Bewerbungen die geeigneten Mitarbeiter auswählen könne. Dabei deckt sich das, was der IT-Chef berichtet, mit den Erfahrungen, die auch andere Unternehmen schildern: Der Wettbewerb um die besten Köpfe im Bereich der künstlichen Intelligenz ist hart – und Absolventen mit Kenntnissen auf diesem Gebiet haben gute Chancen auf ein gleichermaßen spannendes wie gut dotiertes Arbeitsverhältnis. Doch nur ums Geld geht’s den Mitarbeitern speziell auf diesem Gebiet schon lange nicht mehr. „Gerade jüngere Mitarbeiter schauen sehr genau auf den Sinn ihrer Arbeit und sind anspruchsvoll“, weiß Hofmann.

Volkswagen setzt bei Data-Lab konsequent auf Open Source

Angesichts solcher Beträge, die an Wissenskapital geschaffen werden, ist eine Strategie des VW-Data-Lab ungewöhnlich: Der Konzern zeigt sich freigiebig in Bezug auf das Know-how, das hier erzielt wird. Möglichst viele der Projekte werden auf Open-Source-Basis betrieben. „Gerade in einer solchen jungen Disziplin kämen wir wohl nicht so schnell weiter, wenn wir das Wissen nicht bündeln würden“, erklärt van der Smagt diese auch für den Volkswagen-Konzern ungewöhnliche Strategie. Das Unternehmen setzt hierbei nicht nur auf Partner aus der Old Economy, sondern tut sich auch mit Google und anderen Unternehmen der Digitalwirtschaft zusammen. Ebenso gibt es zahlreiche gemeinsame Projekte über Hochschulinstitute und Wissenschaftsverbünde wie die Fraunhofer-Gesellschaft. Ein positiver Nebeneffekt: Dass Volkswagen das Know-how teilt, lockt quasi nebenbei auch Absolventen an, die im universitären Umfeld bereits mit den entsprechenden Projekten zu tun hatten.

Zwischen Scrum und Kanban: Volkswagen setzt im Data-Lab auf agile Workflows. (Bild: Kai-Uwe Knoth / Volkswagen)

So fortschrittlich wie diese Denkweise und so neu wie der Forschungsbereich, mit dem sich die Entwickler beschäftigen, sind auch die Verfahren, mit denen sie dies tun: Scrum und Kanban sind gängige Wege der Arbeitsverteilung und auch der Blick aus dem Unternehmen heraus wird gepflegt. Deswegen können ausgewählte Startups für jeweils drei Monate im Data-Lab Schreibtische beziehen, sich mit den Mitarbeitern des Data-Lab austauschen und im Idealfall auch weitere Kontakte innerhalb des Konzerns knüpfen. „Unser Ziel ist es, möglichst viel Know-how und Wissen ins Haus zu holen“, erklärt van der Smagt. Doch die Zusammenarbeit habe auch Grenzen, schon aus Gründen der Compliance und der Furcht vor den Kartellbehörden.

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Data-Lab macht sich für Volkswagen bezahlt

Fragt man Volkswagen nach der finanziellen Seite des Data-Lab, ist das Unternehmen weniger freigiebig. Das Data-Lab, soviel sei bereits heute, drei Jahre nach dem Start, klar, spielt seine Kosten mühelos wieder ein. „Wir werden an dem Einsparpotenzial gemessen, das wir für den Konzern erzielen können“, berichtet Sichler. Wie hoch das genau liege, mag niemand bei VW kommentieren, die Rede ist aber von einem dreistelligen Millionenbetrag. Und der wird, je nachdem, welche Projekte noch hinzukommen, sicherlich nicht kleiner.

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