Kurz mal die Screens weglegen: Warum auch digitale Menschen echten Kontakt brauchen
Howdy aus Austin!
Stellt euch einmal vor, man sagt 250 hyperdigitalen Menschen, die gerade auf dem Weg zu einer der größten Digital-Konferenzen sind, sie sollen jetzt mal ihr Handy weglegen, den Laptop zuklappen und überhaupt jegliche Bildschirme ausschalten. Was würde wohl passieren? Vermutlich käme ein mildes Lächeln zurück, höchstens. Gestern hat genau das die Lufthansa probiert, Chapeau für so viel Mut. Und: Es hat tatsächlich geklappt!
🙋♀️ Die Crowd: Willkommen in der Reisegruppe!
Gestern ging es los zur South by Southwest, und zwar mit dem Flying Lab der Lufthansa im Direktflug von Frankfurt nach Austin. Von München bis Austin haben wir sukzessive unsere Reisegruppe zusammengesammelt, denn in diesem Jahr sind wir vom Media Lab Bayern mit Startups, Alumni, Partnern und Politik unterwegs. Zum richtigen SXSW-Erlebnis gehören statt Hotelzimmern (die ohnehin niemand bezahlen kann) Airbnb mit Shared (Bath-) Rooms zwingend dazu. Also haben wir mit 15 Leuten in diesem Jahr zwei Häuser gemietet und treffen uns morgens zum gemeinsamen Frühstück in der Media Innovation Mansion, um uns über die spannendsten Sessions auszutauschen.
Darf ich kurz vorstellen? Das Team Media Innovation in Austin:
Pia „Warum melden die Teams sich denn schon wieder nicht?!“ Lexa – Die Startup-Sitterin vom Media Lab Bayern
Tobias „Innovation? Das ist als Buzzword völlig durch!“ Köhler – Der innovativste Mensch der SWMH
Michael „Ich soll im einzigen Einzelzimmer schlafen? So ein Quatsch!“ Strepp – Seit vier Wochen Amtschef im Bayerischen Digitalministerium
Silke „Lasst uns unbedingt zuerst die Badges abholen, bevor es wieder Schlangen gibt“ Schmidt – Innovationsvordenkerin im Digitalministerium und SXSW-Veteranin
Jim „Pickup? Wir nehmen ein praktisches Auto mit mindestens 7 Sitzen!“ Sengl – Vernetzungsprofi beim Mediennetzwerk Bayern
Jacqueline „Jaja, der Flug kommt schon heute irgendwann an!“ Hoffmann – Medienkonferenzexpertin von Mediennetzwerk und Medientagen München
Außerdem im Herzen mit dabei: Stefan „Wir müssen uns um China kümmern – und was ist eigentlich mit Blockchain?“ Sutor – Medientage-Chef, der wegen Krankheit nicht mitfliegen konnte
… und ich natürlich. Lina, Leiterin vom Lab und größte Innovations-Enthusiastin.
Mit dabei sind auch noch sechs supercoole Startups, die gerade noch in Austin eintrudeln und die ich euch morgen vorstelle.
🙌 Das Klassentreffen: Wenn Digitale reisen
Die SXSW war ja schon immer ein Klassentreffen der deutschen Digitalszene. Verstärkt hat sich dieses Gefühl noch, seit das große Hallo nun schon am Gate losgeht, noch vor dem Boarding zum Sonderflug der Lufthansa. Ich mag ja diese Atmosphäre sehr, wenn man alle zwei Minuten jemanden endlich mal wieder in Person umarmen kann, mit dem man sich sonst nur auf allen digitalen Kanälen so durch die Gegend schreibt.
Noch am Gate konnte man sich Innovationen anschauen, zum Beispiel ein VR-Training für Flugbegleiter. Die Umgebung war tatsächlich beeindruckend detailgenau, die Demo-Aktionen dafür aber noch simpel. Ich konnte ein Kissen hochheben und einen Sitz aufklappen. Auch neuen Apps bot das Flying Lab eine Bühne: HRMNZR von Sony (Können wir uns endlich darauf einigen, dass Namen ohne Vokale jetzt durch sind und eh nie funktionieren, weil sich niemand merken kann, welche Buchstaben wann kommen?).
Was die App kann: Aus den Spotify-Konten aller Partygäste deren Top-Lieblingslieder herausfischen und daraus eine Playlist zusammenstellen. Herauskommen soll „der kleinste gemeinsame Nenner“ aller Gäste. Interessanter Gedanke. Aber führt das dann am Ende nur zu Helene Fischer und DJ Bobo?
✈️ Der Flug: Weniger Tech, mehr Gefühl
Für den Flug selbst hat das Flying Lab eine Mini-Konferenz organisiert. Ich würde sehr gern davon berichten, allerdings brach der In-Flight-Stream auf meinem iPad so oft ab, bis mir das Neuladen zu mühevoll war. Beim Kollegen neben mir lief’s dafür tadellos und das zeigt wieder: Bring-your-own-Device ist immer vielleicht die größte Herausforderung auf technischer Seite.
Wie praktisch, dass es für die größte Aktion an Bord so überhaupt gar kein Device brauchte. Angekündigt wurde ein großes Experiment, zwischendurch fiel mal das Stichwort „Empathie“, mehr Informationen gab es aber nicht. Nicht mal, als es dann wirklich startete. Nur Anweisungen. Bildschirme aus, Handys weg, Laptops zu, Fensterblenden runter, Tische hochklappen, Lehnen so weit wie möglich zurück – und vor allem die Armlehnen zwischen den Plätzen hochklappen.
Als nächstes gingen die Lichter aus. Und zwar jedes Licht.
Der erste Moment in so einem dunklen Flugzeug war mulmig, dann wanderte eine gewisse Spannung durchs Flugzeug. Was wohl passieren wird? Erstmal gar nichts. Nach einer sehr gefühlten Ewigkeit (Keine Screens! Keine Uhrzeit!) dann startete etwas sphärische Musik – aber passiert war immer noch nichts. Irgendwann dann tauchte hinter uns eine Frau im leuchtenden Kleid auf und wanderte durch die Reihen. Als sie bei meinem Sitznachbarn und mir ankam, schaute sie uns tief in die Augen, strich über unsere Wangen, unsere Arme entlang und legte unsere Hände ineinander. Laslo, Journalist aus Hamburg, und ich hatten uns vorher zumindest schon einmal namentlich vorgestellt und ein wenig über das Flying Lab geplaudert – aber Händchen halten war dann doch seltsam intim.
Die Aktion kam gespalten an, von fremden Menschen angefasst werden, ist einfach nicht für jeden etwas. Aber was ich spannend fand: Die Aktion hat etwas mit der Stimmung im Flugzeug gemacht. Alle mussten ihre Screens weglegen. Alle saßen gemeinsam im dunklen Flugzeug und haben sich gefragt, was wohl passieren wird. Damit ist aus sehr vielen einzelnen Personen auf einmal eine Gruppe geworden. Ich finde es mutig, dass sich die Kollegen der Lufthansa solch eine Performance getraut haben, zumal es sicherheitstechnisch nicht sonderlich einfach gewesen sein dürfte, dieses Setting in der Luft durchzubekommen. Und es nimmt ein Thema auf, das immer durch den ganzen Tech-Trend-Trubel bricht: Digital löst nicht alles. Über das Digitale haben wir vielleicht sogar ein wenig vergessen, dass wir Menschen sind, die Kontakt brauchen, zueinander, ganz real. Ohne Screens dazwischen.
Ich finde das einen sehr schönen Auftakt zu einer Konferenz, auf der es leicht fällt, den Hypes hinterherzulaufen. Ich werde in jedem Fall über die nächsten Tage sehr versuchen, nicht nur „Hallo! Hey, wie geht’s, sorry, muss weiter“-Gespräche zu führen, sondern solche, die tiefer gehen.
Morgen geht’s jetzt aber endlich los mit den Sessions. Das sind meine Highlights für den Freitag:
How to Launch & Grow a Membership Business
11:00 – 12:00 Uhr
Mit sinkenden Werbeeinnahmen stellt sich für Medienunternehmen zunehmend die Frage, wie man Nutzer in Abo- oder Membershipmodellen davon überzeugen kann, direkt für Inhalte zu bezahlen. Alexis Gay ist ist Partnership Lead bei Patreon und wird berichten, wie Kreative eine nachhaltige Beziehung zu ihren Fans aufbauen können.
Designing a Better Media EcoSystem Without Ads
11:00 – 12:00 Uhr
Vier Speaker, unter anderem von der New York Times und der Universität von Kentucky, schauen sich die Designprinzipien an, nach denen die Verteilung von Medieninhalten bisher funktioniert. Und fragen sich: Wie kann ein Medien-Ökosystem aussehen, dass Engagement und Dialog höher bewertet als Klickzahlen und Tausenderkontaktpreise?
Featured Session: Jonah Peretti
11:00 – 12:00 Uhr
Was muss man zu ihm noch groß sagen? Peretti hat mit der Huffington Post und Buzzfeed gleich zwei große, digitale Medienmarken gegründet. Perettis Sicht auf die Medienwelt ist auch 2019 sicher einige Aufmerksamkeit wert.
The Age of Smart Information
11:00 – 12:00 Uhr
Wie transformieren AI und Spatial Computing die Art, wie wir kommunizieren? Microsofts Envisioneer Mike Pell gibt einen Ausblick in die Zukunft
A Language to Foster Innovation
12:30 – 13:30 Uhr
Wie kann eine Sprache aussehen, die Produktinnovation anschaulich macht und das Risiko von Fehlschüssen verringert?
Preparing for the Next Wave: Video Fake News.
12.30 – 13.30 Uhr
Mit Deepfakes und ähnlichen Tools werden gefälschte Videos in Zukunft immer echter aussehen und immer schneller zu produzieren sein. Wie können Journalisten damit umgehen? Zwei Reuters-Redakteure erzählen.
7 Non-Obvious Trends Changing The Future In 2019
15:30 – 16:30 Uhr
Rohit Bhargavas Lebenslauf als Innovationsexperte kann sich sehen lassen: Er ist Bestsellerautor, Universitätsdozent und hat zahlreiche bekannte Firmen beraten, darunter Disney, Linkedin und die Nasa. In dieser Session wird er seine Trends für 2019 vorstellen.
Media and Entertainment for Autonomous Vehicles
15:30 – 16:30 Uhr
Wenn autonomes Fahren jemals wirklich marktreif wird, würde das sehr, sehr viel Zeit freiräumen, die Menschen mit dem Konsum von Medien verbringen könnten. Doch wie müssten Medieninhalte aussehen, die in einem autonomen Auto funktionieren? Darum geht es in diesem Talk.
The Weekly: The New York Times Expands to TV
17:00 – 18:00 Uhr
Die bekannteste Zeitung der Welt macht jetzt auch Fernsehen: Auf FX und Hulu wird sie künftig wöchentlich eine ihrer Storys als TV-Format aufbereiten. Einige der Verantwortlichen erzählen in dieser Session über das Projekt.