Künstliche Intelligenz gilt aktuell als eines der Schlüsselthemen unserer Gesellschaft – über Branchen, Sektoren und Technologiekonzepte hinweg. Der KI-Forscher Florian Gallwitz von der Technischen Hochschule Nürnberg ist sich allerdings nicht sicher, ob die Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkannt hat und die richtigen Maßnahmen trifft, um „Deutschland zum führenden Standort für künstliche Intelligenz“ zu machen, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach im vergangenen Jahr ankündigte.
Gallwitz erklärt im Interview gegenüber T-Online, dass die Bundesregierung in ihrem Strategiepapier zum Thema künstliche Intelligenz aber von falschen Inhalten ausgehe. „Der Begriff künstliche Intelligenz hat vor acht bis zehn Jahren einen dramatischen Bedeutungswandel erfahren. Davon scheinen die Leute, die diese Strategie geschrieben haben, aber nichts mitbekommen zu haben.“ Inhaltlich seien viele Dinge, die in der Konzeption der Bundesregierung stehen, längst veraltet und seit teilweise 30 Jahren nicht mehr Gegenstand der Forschung auf dem KI-Sektor.
Aktuelle KI-Themen tauchen im Bericht gar nicht auf
Themen wie Machine Learning, Deep Learning und neuronale Netze sind heute Gegenstand der Forschung auf diesem Gebiet – und die kommen in dem Papier der Bundesregierung gar nicht vor. „Deep Learning taucht auf 47 Seiten überhaupt nicht auf, auch künstliche neuronale Netze werden nur dreimal eher am Rande erwähnt. Wenn das der Kenntnisstand der Bundesregierung ist, haben wir wirklich ein Problem“, beschwert sich Gallwitz.
Der KI-Forscher bedauert, dass offenbar Experten die Deutungshoheit bei der Bundesregierung haben, die aus einer Zeit stammen, als die Forschung zum Themenfeld der künstlichen Intelligenz noch mit ganz anderen Themen beschäftigte. „Letztendlich führt das dazu, dass ein Forschungsbereich verstärkt staatlich gefördert wird, der eigentlich gar nicht gebraucht wird, während die wichtigen Themen auf der Strecke bleiben. Und das nur, weil die Leute, die das Geld verteilen, den Begriff nicht richtig verstanden haben“, erklärt Gallwitz im Interview mit T-Online.
KI-Experten sind absolute Mangelware
In der Tat dürfte sich die Bundesregierung schwer damit tun, die passenden Experten für ihre Forschungsvorhaben zu finden – zumindest wenn es denen vorrangig ums Geld geht. Denn KI-Experten jeglicher Couleur sind aktuell Mangelware. Unternehmensvertreter berichten auch t3n gegenüber, dass der Markt derzeit extrem abgegrast sei und man sich bereits an den Hochschulen um geeignete Talente kümmern müsse. Auch gehen viele Absolventen nach ihrem Studium – in Deutschland gibt es in der Tat einige einschlägige Lehrstühle, die für eine zeitgemäße, international wettbewerbsfähige Forschung bekannt sind – ins Ausland, da insbesondere in den USA KI-Experten deutlich mehr verdienen können als hierzulande.
Dennoch sollte die Bundesregierung, so erklärt Gallwitz, bald die richtigen Weichenstellungen beschließen, um den Vorsprung, den insbesondere die USA und China auf dem Gebiet des Deep Learning haben, nicht noch mehr anwachsen zu lassen: „Wenn man sich die Entwicklung in China oder den USA ansieht, sind wir sowieso schon spät dran. In der KI-Strategie steht zwar drin, dass 100 Professuren geschaffen werden sollen. Das erfordert aber einen gewissen zeitlichen Vorlauf. Man kann sich die Experten für neuronale Netze ja nicht backen.“
Die In halte der Nachricht die Gallwitz an die Bundesregierung richtet, kann sich auch die Redaktion von t3n auf die Fahnen schreiben. Der Nacherzählhournalismus der das Gelaber der Marketingabteilungen wiederholt, bringt nämlich auch niemanden weiter.
Welches sind Ihrer Meinung nach die „einschlägige(n) Lehrstühle, die für eine zeitgemäße, international wettbewerbsfähige Forschung bekannt sind“? Wenn man heute relevante KI in D studieren will? Wäre interessant für den Nachwuchs, wenn er nicht unbedingt ins Ausland gehen will.
Das ist schon erstaunlich, dass die Bundesregierung nicht mal kurz in den Archiven des eigenen für das Thema zuständigen Ministeriums, dem BMBF, nachsieht, welche wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Neuronale Netze (auch mehrlagige, deep learning) erfolgreich an den Universitäten hierzulande durchgeführt wurden-und das seit 30 Jahren! Wenn man den Begriff Künstliche Neuronale Netze googelt, findet man schon eine riesige Menge an Arbeiten.
Leider ändern sich auch in der Wissenschaft die Bedeutung der Begriffe. Der Begriff Künstliche Intelligenz bezeichnete vor 30 Jahren etwas anderes als heute. Das BMBF hatte zum Beispiel bereits 1993 ein Förderprogramm zur Molekularen Bioinformatik aufgesetzt. In den Jahren 1992-1996 gab es schon die ersten erfolgreichen Molekül Design Arbeiten mit künstlichen neuronalen Netzen und evolutionären Algorithmen, dieselben Algorithmen die in einigen Pharmafirmen bereits angewendet werden.