Anzeige
Anzeige
MIT Technology Review Interview
Verpasse keine News mehr!

Matheprofessor auf Twitch: „Das ist ein Akt der Wissenschaftskommunikation“

Er ist Matheprofessor und Video Creator: In der Verbindung sieht Christian Spannagel die Chance, das Bild von Mathematik in der Gesellschaft zu verbessern. Dazu setzt er unter anderem auf Twitch.

5 Min.
Artikel merken
Anzeige
Anzeige

Mit dem eingeschränkten Bild von Mathematik möchte der Professor Christian Spannagel von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg aufräumen. (Symbolfoto: fran_kie / Shutterstock)

Christian Spannagel ist Professor für Mathematik und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Informatik und Implementierung neuer Medien an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Regelmäßig streamt er seine Veranstaltungen auf Twitch, wo er eine zweite Öffentlichkeit für sein Fach aufgebaut hat. Was seine Motivation ist, was er von Gaming-Streams abschaute und wie der Spagat zwischen Präsenzveranstaltung und Online-Community gelingt, verrät er im Interview.

Anzeige
Anzeige

MIT Technology Review (TR): Ich bin durch einen Post auf Mastodon auf dich aufmerksam geworden. Das war eine Ankündigung zu einer gleich beginnenden Vorlesung zur Mengenlehre, die du live auf Twitch gestreamt hast. Twitch kenne ich vorrangig fürs Gaming. Eine Mathe-Vorlesung auf Twitch fand ich ungewöhnlich. Wie bist du auf die Idee gekommen, deine Vorlesungen zu streamen?

Matheprofessor Christian Spannagel

Christian Spannagel ist Professor für Mathematik und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Informatik und Implementierung
neuer Medien an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. (Foto: Christian Spannagel)

Christian Spannagel: Ich wollte meine Vorlesungen gern aus verschiedenen Gründen als Livestream anbieten. Zum einen wollte ich den Studierenden die hybride Teilnahme an meinen Lehrveranstaltungen ermöglichen. Und zum anderen habe ich seit Jahren einen relativ gut laufenden YouTube-Kanal für Mathematik, bei dem Menschen sich Youtube-Mathematik-Videos asynchron anschauen können. Aber dieser Youtube-Modus ist mir zu wenig interaktiv. Natürlich können die Leute unter dem Video kommentieren, aber eigentlich möchte ich mit den Leuten zusammen Mathematik entwickeln und deswegen versuche ich auch nicht nur meine eigenen Studierenden anzusprechen, sondern auch Leute von außen, außerhalb der Hochschule, die sich für Mathematik interessieren und gerne mit reinschnuppern und mitmachen würden.

Anzeige
Anzeige

Hochschullehre im Livestream

TR: Warum hast du dich für Twitch entschieden? Auch über Youtube kann man Livestreams einrichten.

Spannagel: Klar, aber ich habe überlegt, welche denn DIE Plattform fürs Streaming ist, der Prototyp sozusagen. Ich habe mich letztlich für Twitch entschieden, da dort aus meiner Sicht die Community-Funktionalitäten besser ausgebaut sind. Außerdem habe ich den Eindruck, dass auf einen Twitch-Stream auch mehr Leute aufmerksam werden, die einem nicht schon folgen. Auf Twitch ist man einfach in dieses Universum eingebunden und kann dort von dem Netzwerk profitieren, das dort bereits im Streaming-Bereich herrscht. Ich bin aber nicht der Erste, der das für die Hochschullehre macht. Es gibt auch Kollegen, wie Mathias Magdowski, der schon vor mir auf Twitch war und dort zum Thema Elektrotechnik streamt.

Anzeige
Anzeige

TR: Hattest du vorher privat Erfahrungen mit Twitch?

Spannagel: Nein. Ich kannte Twitch nur vom Hörensagen und musste mich da echt einarbeiten. Ich habe mir also Gamer auf Twitch angesehen und festgestellt, dass sie oftmals begleitend zu ihren Streams eine Discord-Community haben. Das bietet die Möglichkeit, in der Zeit zwischen den Streams eine Community weiter zu bedienen, am Leben zu erhalten und einen Austausch zu bieten. Da habe ich schon gedacht: Okay, das brauchst du auch. Diese Erkenntnis war total wertvoll. Ich habe also einen Discord-Server für Mathematik und Informatik eingerichtet – und der läuft super. Da sind mittlerweile über 1.400 Personen Mitglied, die sich täglich über Matheaufgaben austauschen, sich gegenseitig helfen, unterstützen.

Anzeige
Anzeige

„Die Streams und die Discord-Community ergänzen sich wunderbar“

TR: Über die Streams und die Discord-Community schaffst du im Prinzip eine zweite Öffentlichkeit.

Spannagel: Genau. Und zwar eine, die mehr oder weniger synchron entsteht. Die Streams und die Discord-Community ergänzen sich da wunderbar. Die Youtube-Videos auf meinem Channel sind dagegen eine Sammlung an Videos, die man sich mal im Nachhinein ansehen kann, wenn man etwas Spezielles sucht.

TR: Bei den gestreamten Vorlesungen: Kannst du da beiden Teilnehmer-Gruppen gerecht werden, den live vor Ort und denen, die virtuell zuschauen?

Anzeige
Anzeige

Spannagel: In der Präsenzveranstaltung liegt der Fokus natürlich auf den Teilnehmern, die vor Ort sind. Ich versuche aber auch, die Online-Teilnehmer mit einzubinden. Ich schaue immer wieder regelmäßig in den Chat hinein, ob es da Fragen gibt. Mitunter beantworten sich Teilnehmer im Chat auch selbst die Fragen. Mitunter greife ich etwas aus dem Chat auf und bringe es in den Hörsaal hinein, so dass auch die Studierenden vor Ort antworten können und dadurch ein Austausch entsteht.

TR: Wie schaffst du den Spagat zwischen Vorlesung halten und den Chat im Blick haben?

Spannagel: Ich kann den Chat nicht permanent im Blick behalten. Es geht nicht in der Situation. Ich habe aber zwei studentische Mitarbeiterinnen, die zugeschaltet sind, eine macht dort Moderation, eine andere betreut aus inhaltlicher Sicht. Sie kennt die Lehrveranstaltungsinhalte, beantwortet Fragen oder sammelt Fragen und fasst sie für mich zusammen und schreibt sie in den Chat.

Anzeige
Anzeige

Eine Veranstaltung, zwei Öffentlichkeiten

TR: Streamst du jede deiner Vorlesungen?

Spannagel: Nein, nicht jede meiner Veranstaltungen, sondern nur solche, bei denen die Streams auch einen Mehrwert für externe Personen bieten, etwa meine Inverted-Classroom-Veranstaltungen. In diesen Veranstaltungen bereiten sich die Studierenden im Vorfeld mit entsprechenden Aufgaben und Materialien auf die Präsenzveranstaltung vor. Im Hörsaal versuchen wir dann gemeinsam, neue Aufgaben zu bearbeiten, und zwar sowohl in Kleingruppen als auch in der Gesamtgruppe. Und gerade dieser Wechsel zwischen Gruppenarbeit und Frontalphase kann gut mithilfe von Discord und Twitch umgesetzt werden: Die Online-Teilnehmer können sich zum Beispiel zur Gruppenarbeit in Discord Channels treffen und sich anschließend an der gemeinsamen Besprechung der Ergebnisse im Twitch-Stream beteiligen.

TR: Was erhoffst du dir davon, deinen Unterricht einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen?

Anzeige
Anzeige

Spannagel: Das ist sozusagen ein Akt der Wissenschaftskommunikation. Durch die vielen Kommentare auf YouTube, die ich über die Jahre hinweg bekommen habe, habe ich mittlerweile ein Gefühl dafür, wer sich da draußen in der Gesellschaft für Mathematik interessiert. Das sind viele Menschen, die oftmals in der Schule schlechte Erfahrung mit Mathematik gemacht haben, die es aber trotzdem spannend finden. Andere haben auch richtig Matheangst, oder sie denken, dass ihr Gehirn nicht für Mathematik gemacht ist. Aber das stimmt natürlich nicht, und das ist total schade!

Darüber hinaus haben Menschen auch ein etwas eingeschränktes Bild von Mathematik, das sie vielleicht aus der Schule mitgenommen haben. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass das Bild von Mathematik in der Gesellschaft besser wird. Das heißt zum einen, dass Menschen ein Verständnis von Mathematik als Wissenschaft von Mustern und Strukturen entwickeln, aber auch ein adäquates Bild von sich selbst gegenüber Mathematik aufbauen, indem sie feststellen: Ich bin doch gar nicht so schlecht in Mathe, ich verstehe es doch.

„Hier herrscht eine positive Haltung zu innovativen didaktischen Konzepten“

TR: Wie reagieren denn deine Kolleg:innen auf deine Stream-Arbeit? Fragen sie dich um Rat, weil sie das für ihre Veranstaltungen auch so aufziehen wollen? Oder gibt es auch kritische Stimmen?

Anzeige
Anzeige

Spannagel: Weder noch. Es gibt ein positives Interesse an dem, was ich so mache. Es kommt aber oftmals nicht dazu, dass sie es auch gerne umsetzen würden, sie haben oft andere Arbeitsschwerpunkte. Aber Kritik im Sinne von „Was machst du da für einen Quatsch?“ gibt es nicht. An der Pädagogischen Hochschule, wo ich bin, ist das vielleicht auch noch ein anderes Setting als an einer Universität. Hier bei uns ist die Mathematikdidaktik, weniger die Mathematik im Fokus. Daher herrscht hier eine grundsätzlich positive Haltung zu innovativen didaktischen und methodischen Konzepten, auch gegenüber Wissenschaftskommunikation-Aktivitäten.

 

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
Kommentare

Community-Richtlinien

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Kommentar abgeben

Melde dich an, um Kommentare schreiben und mit anderen Leser:innen und unseren Autor:innen diskutieren zu können.

Anmelden und kommentieren

Du hast noch keinen t3n-Account? Hier registrieren

Anzeige
Anzeige