Anzeige
Anzeige
Interview
Artikel merken

Mathias Döpfner über soziale Medien: „Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung“

Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner im Interview: Über Social-Media-Enthaltsamkeit und warum er die Fälschungsaffäre im Spiegel schlimmer findet, als die gefälschten „Hitler-Tagebücher“ im Stern.

8 Min. Lesezeit
Anzeige
Anzeige

Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner über Soziale Medien für Journalisten: „Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit.“ (Foto: DPA)

Mit der „Affäre Relotius“ hat nach Ansicht von Mathias Döpfner nicht nur der Spiegel ein Problem – der Fall gehe die ganze Medienbranche an. Döpfner fordert im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur eine schonungslose Aufarbeitung des Skandals und warnt vor falscher Branchensolidarität. Sonst, so der Vorstandsvorsitzende des Medienhauses Axel Springer (Bild, Die Welt), drohe das Grundvertrauen in die Medien weiter zu erodieren.

Anzeige
Anzeige

Harald Schmidt hat in einem FAZ-Interview gesagt, dass die Affäre um die Fälschungen von Claas Relotius im Spiegel die deutsche Bevölkerung null interessiere. Sehen Sie das auch so?

Mathias Döpfner über Spiegel-Fälschungen: „Konsequenzen jenseits der Bauernopfer“

Mathias Döpfner: Harald Schmidt ist Satiriker. Das kann er nur ironisch gemeint haben. Der Versuch, das zum Fälscherfall Relotius runterzuspielen, scheitert. Das Problem dieser Spiegel-Affäre liegt tiefer. Man sitzt auf dem hohen Ross und beschreibt in schöner, fast literarischer Sprache die Welt, wie sie sein soll. Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung. In einem solchen Klima gedeiht Erfindung. Relotius hatte ja Vorboten. Wir erinnern uns an den Reporter, der Seehofers Modelleisenbahn anschaulich beschrieb, ohne in dem Keller gewesen zu sein, in dem Seehofer sie aufgebaut haben soll. Relotius verstand immer besser, welchen Sound man liefern musste, um Ressortleiter und Jurys von Journalistenpreisen zu bedienen. Erfindung war da am Ende effizienter als Recherche. Und das interessiert die Bürger im höchsten Maße. Weil es Grundvertrauen erschüttert. Und zum Teil berechtigte Kritik an unserer Branche bestätigt. Aber: Wenn das jetzt ordentlich aufgeklärt wird, Konsequenzen jenseits der Bauernopfer gezogen werden und die Menschen nicht das Gefühl haben, dass es hier falsche Branchensolidarität gibt, dann birgt das Ganze auch eine große Chance zur Katharsis. Der Fall geht die gesamte Medienbranche an, nicht nur eine Zeitschrift.

Anzeige
Anzeige

Wie finden Sie den bisherigen Stil der Aufklärung?

Anzeige
Anzeige

Mathias Döpfner: Erstaunlich zurückhaltend. Offenbar wirkte das Argument, dass Relotius ja auch in anderen Publikationen von „Zeit Online“ und „Welt“ bis zum Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ veröffentlicht hat, wie eine Beißhemmung. Als wenn das die Sache weniger schlimm macht. Der Skandal wurde im Wesentlichen auf den Medienseiten und in den Feuilletons abgehandelt. Erstaunlich, wenn man das mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern des Stern in den 80er Jahren vergleicht. Dieser Fall ist ja wesentlich schlimmer als die Hitler-Tagebücher. Der Name war zwar damals spektakulärer, aber der Vorgang beim Spiegel ist natürlich ein viel tiefer gehender. Hier ist ein Klima geschaffen worden, in dem Relotius über einen langen Zeitraum mehr als fünfzig Texte im Heft und auf Spiegel-Online, darunter zum Teil fast komplett erfundene Geschichten, veröffentlichen konnte. Kontrollmechanismen haben wiederholt versagt. Inklusive der legendären Dokumentation, mit der Spiegel immer wieder geworben hat.

Ist das eine Zäsur für die deutschen Medien?

Anzeige
Anzeige

Mathias Döpfner: Das Problem, dass einstweilen aus dem „Sturmgeschütz der Demokratie“ ein „Luftgewehr der Fantasie“ geworden ist, das muss der Spiegel lösen. Die Chance besteht, weil er das große Glück hat, dass seit Januar ein Chefredakteur amtiert, der mit dieser Sache nichts zu tun hat, also völlig unbelastet agieren kann. Wenn er das konsequent macht, kann auch der Spiegel sich davon erholen. Wenn nicht, und vor allem wenn die Medienbranche insgesamt zu schnell wegguckt und hier mit zweierlei Maß misst, dann kann das tatsächlich zu einer Zäsur werden. Denn es würde unser höchstes Gut, die Glaubwürdigkeit untergraben.

Sind nationale Leitmedien für solche Fehler besonders anfällig? Wäre das in den Redaktionen einer Lokalzeitung oder Regionalzeitung vielleicht nicht passiert?

Mathias Döpfner: Vorneweg: Niemand sollte sagen „bei uns hätte das nie passieren können.“ Wer das glaubt, ist schon an sich gefährdet. Demut ist bei uns allen geboten. Aber es mag schon sein, dass die Bodenständigkeit einer Lokalzeitung für solche Auswüchse der Hybris weniger anfällig ist. Und ganz praktisch: Vielleicht wäre in einer Lokalzeitung ein Ressortleiter näher am Reporter dran gewesen, hätte zum Beispiel seine Reise- oder Spesenabrechnungen im Detail angesehen und gemerkt, dass der Reporter gar nicht in dem Café Kaffee getrunken hat, das er in seiner Geschichte beschreibt.

Anzeige
Anzeige

Wie stehen Sie zu Aktionen wie den Twitter-Hashtag #Nazisraus? Nach dem Angriff auf den AfD-Abgeordneten in Bremen war eine ZDF-Reporterin, die den Hashtag getwittert hatte, heftig angefeindet worden. Unter Journalisten löste der Fall eine Welle der Solidarität für die Kollegin aus …

„Wörtlich genommen ist der Gedanke des Satzes ‚Nazis raus‘ natürlich richtig.“

Mathias Döpfner: Wörtlich genommen ist der Gedanke des Satzes „Nazis raus“ natürlich richtig. Aber das, was jetzt viele im Netz damit meinen, und die Haltung, die dem zugrunde liegt, finde ich höchst problematisch. Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ist immer falsch. Wer das verharmlost oder dafür Verständnis weckt, verlässt den rechtsstaatlichen Raum. Das ist in jedem Fall vollkommen inakzeptabel und ein Zeichen für die zunehmende Unfähigkeit, durch gute Argumente eine Partei zu entzaubern, die außer Zorn und Ressentiment nicht viel zu bieten hat.

Sind Sie in den sozialen Medien unterwegs?

Anzeige
Anzeige

Mathias Döpfner: Nein, das kostet zu viel Zeit, produziert zu viel negative Energie und zu wenig Erkenntnis.

Da widersprechen Sie vielen Journalismus-Strategen, die sagen, dass man als Medienmanager drin sein müsse.

Soziale Medien? Döpfner: „Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung …“

Mathias Döpfner: Journalisten müssen natürlich soziale Medien als Informationsquelle und Rechercheinstrument benutzen. Aber die eigene Präsenz von Journalisten in sozialen Medien erscheint mir zunehmend problematisch. Die Idee, dass der Vertreter einer Medienmarke rein privat twittert oder auf Facebook posten kann, ist absurd. Kein Mensch kann das unterscheiden. Ein Chefredakteur oder Redakteur ist dort keine private Person. Deshalb wird viel zu schnell geschrieben, was am Ende der Marke abträglich ist. Am Ende dienen diese Aktivitäten allenfalls der Person, sehr selten dem von ihr vertretenen Medium. Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung, wenn nicht gar vollkommene Enthaltsamkeit.

Anzeige
Anzeige

Die Leidenschaftlichkeit verführt manchmal zu diesem schnellen Schreiben …

Mathias Döpfner: Verkürzung, Emotionalisierung kann dann, hektisch zwischendurch geschrieben und gesendet, komplexe Sachverhalte verzerren.

Da müssen wir Sie dann als Springer-Chef fragen: Gerade die Bild-Zeitung hat die Verkürzung zu ihrem Markenzeichen erhoben. „Wir sind Papst“ oder „Der Mond ist jetzt ein Ami“ …

Anzeige
Anzeige

Mathias Döpfner: Solche Überschriften sind eine Kunstform. Daran wird oft Stunden hart gearbeitet. Wer etwas zu sagen hat, braucht keine langen Sätze. Das ist das Stilmittel des von mir so bewunderten Boulevard-Journalismus. Ich finde es geschickter, wenn Journalisten ihre Kreativität für die kürzeste, originellste und treffendste Schlagzeile für ihre eigenen Plattformen nutzen und nicht mit ihren Tweets als Gratis-Dienstleister die Reichweite der sozialen Medien steigern.

Die Medienbranche befindet sich in einer tief greifenden Transformation. Erleichtern der Rückzug des Handwerks und der digitale Wandel den Scharlatanen das Handwerk?

Mathias Döpfner: Der Journalismus hat dank der Digitalisierung alle Möglichkeiten, besser zu werden als er in seiner analogen Form jemals war. Ich bin fest davon überzeugt, dass das – nach ein paar Krisen – in ein paar Jahren auch so sein wird. Und mit einer Lebenslüge müssen wir aufhören: dass die viel beschworene Zeitungskrise durch technologischen Wandel verursacht ist. Das stimmt nicht, das ist ein Alibi. Der Technologiewandel und die Erschließung neuer Vertriebskanäle bieten wesentlich mehr Chancen für den Journalismus als Risiken. Diese Chancen aber müssen richtig gemanagt werden. Und vor allen Dingen müssen sie inhaltlich richtig gestaltet werden.

Anzeige
Anzeige

Wie meinen Sie das?

Mathias Döpfner: Die Krise der Zeitungen und Zeitschriften und die Krise des Journalismus ist im Wesentlichen eine intellektuelle, eine inhaltliche Krise. Journalismus war nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer ganz anderen Relevanz und Brisanz – im Sinne der Wiederherstellung von Demokratie und dem wehrhaften „Nie wieder“-Impuls – mit einer ganz anderen Ernsthaftigkeit grundiert. Die Hoch- und Zeitgeistphase von den 70er bis in die 90er Jahre hat dann zur Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit geführt. Ich will nicht verallgemeinern, das gilt niemals für alle.

Kann da die Digitalisierung Abhilfe schaffen?

Mathias Döpfner: Die Tatsache, dass eine Marke ihre Inhalte digital anbietet, garantiert noch nicht ihren Durchbruch und Erfolg. Denn es entstehen ganz neue Marken, neue Kraftzentren, Digitalverlage, die mit einer anderen Sprache und einem anderen Selbstverständnis einer jüngeren Zielgruppe offenbar mehr zu sagen haben. Deswegen ist eine Selbstbesinnung nötig, wieder kritischer, unabhängiger, gründlicher und stärker am Leser orientiert zu arbeiten.

Wie sieht es mit dem Management aus? Für viele sind Startups attraktiver als die Medienbranche. Gibt es Probleme, innovative Zeitungsmanager zu finden?

Mathias Döpfner: Klar: Die Attraktivität von Medienunternehmen insbesondere von Zeitungsunternehmen ist heute geringer als vor 30 Jahren. Damals gingen die besten Leute in die Redaktionen oder ins Medienmanagement. Heute gehen sie zu Google, Amazon, Facebook oder zu Berliner Startups.

Haben sie Angst um Ihre Daten?

Mathias Döpfner: Mich stört es, wenn zum Beispiel ein Transportdienstleister mir – und damit potenziell vielen anderen – minutiös per Email mitteilen kann, um wie viel Uhr ich von wo nach wo gefahren bin, weil diese Daten von dem Unternehmen gespeichert werden. In einer freien Gesellschaft bestimmt das Individuum – solange es sich im Rahmen der Gesetze bewegt – welche Informationen es, mit wem teilen will. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren eine erdrutschartige Bewegung nicht nur in Europa, sondern gerade auch in Amerika erleben werden.

Nachrichtenportale wie etwa Buzzfeed oder Watson, aber auch Facebook spüren den Gegenwind. Wie nachhaltig sind denn die digitalen Geschäftsmodelle?

Mathias Döpfner: Da muss man unterscheiden. Facebook ist eine andere Baustelle. Es gibt journalistische Marken wie „Politico“, „Business Insider“, „Axios“ und viele andere. Denen geht es hervorragend. Andere wie Buzzfeed oder Huffington Post enttäuschen die Erwartungen. In der digitalen Welt haben sich vielleicht ein paar Gesetze bestätigt, die auch in der analogen Welt immer gegolten haben. Am Ende kommt es auf die Qualität des Inhalts an. Es kommt darauf an, ob man ein wirklich leserorientiertes Angebot liefern oder nur Klicks maximieren will, die Werbekunden glücklich machen.

Stichwort Leistungsschutzrecht. Wie wollen Sie die Inhalte schützen und es schaffen, dass auch die großen Internet-Player für die Nutzung der Zeitungsinhalte zahlen?

Mathias Döpfner: Die Zukunft des digitalen Journalismus hängt entscheidend von einer Voraussetzung ab: dass es einen sicheren Rechtsrahmen für geistiges Gut gibt. Wenn zum Beispiel große Tech-Plattformen unsere Inhalte kommerziell nutzen, dann müssen diese sich auf eine Lizenzgebühr mit den Rechteinhabern einigen. In der analogen Welt war das für Zeitungen nicht so relevant. Keiner kopiert eine Zeitung x-mal und verkauft sie dann am Kiosk.

In der kommenden Woche will die EU über das neue Urheberrecht entscheiden …

Mathias Döpfner: Ich bin zunehmend optimistisch, dass die Bedeutung dieser Entscheidung auch in der Breite erkannt wird und die mit wahrheitswidrig Argumenten geführte Verhinderungskampagne nicht verfängt. Im Übrigen glaube ich auch, dass die großen Plattformen, namentlich Google, erkennen, dass es eine vergleichsweise leicht hinnehmbare Einschränkung ihres Geschäftsmodells wäre. Die mit Verlagsinhalten erzielten digitalen Werbeerlöse kommen fast ausschließlich bei Google und Facebook an, die vielen Tausenden Verlage auf der Welt bekommen davon fast nichts. Das kann so nicht weitergehen.

Mit wie viel Geld rechnen Sie?

Mathias Döpfner: Es werden am Anfang eher kleine Beträge sein. Wichtig ist vor allem, dass das Prinzip etabliert wird, für Journalismus auch im digitalen Zeitalter einen fairen Preis zu bezahlen.

dpa

Mehr zu diesem Thema
Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter? Jetzt mehr erfahren

Anzeige
Anzeige
8 Kommentare
Bitte beachte unsere Community-Richtlinien

Wir freuen uns über kontroverse Diskussionen, die gerne auch mal hitzig geführt werden dürfen. Beleidigende, grob anstößige, rassistische und strafrechtlich relevante Äußerungen und Beiträge tolerieren wir nicht. Bitte achte darauf, dass du keine Texte veröffentlichst, für die du keine ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers hast. Ebenfalls nicht erlaubt ist der Missbrauch der Webangebote unter t3n.de als Werbeplattform. Die Nennung von Produktnamen, Herstellern, Dienstleistern und Websites ist nur dann zulässig, wenn damit nicht vorrangig der Zweck der Werbung verfolgt wird. Wir behalten uns vor, Beiträge, die diese Regeln verletzen, zu löschen und Accounts zeitweilig oder auf Dauer zu sperren.

Trotz all dieser notwendigen Regeln: Diskutiere kontrovers, sage anderen deine Meinung, trage mit weiterführenden Informationen zum Wissensaustausch bei, aber bleibe dabei fair und respektiere die Meinung anderer. Wir wünschen Dir viel Spaß mit den Webangeboten von t3n und freuen uns auf spannende Beiträge.

Dein t3n-Team

Johannes tom Dieck

Mathias Döpfner meinte ja mal zu Mark Zuckerberg: „You are a wonderful human being.“ Er sagte das bestimmt aus wirtschaftlichen Kalkül, für sehr peinlich und dämlich halte ich es trotzdem.
Tatsächlich stimme ich Döpfners Aussagen in diesem Interview aber überwiegend zu und ich hoffe in den tendenziösen Axel-Springer-Medien wird das rundgemailt und ausgehängt. Ich bin auch immer wieder irritiert über die ganzen Haltungstweets von Journalist*nnen, deren Arbeit ich eigentlich als neutral schätze.
„Demut ist bei uns allen geboten.“, oder als Kritik „Haltung ist oft wichtiger als Handwerk, Weltanschauung wichtiger als Anschauung.“ Vielleicht könnte er das Julian Reichelt und Ulf Poschardt und einen großen Teil von deren Untergebenen mal einbläuen.
Bzgl. der Bild Zeitung hätte es dem Fragesteller viel mehr um geschriebene Un- oder Halbwahrheiten auch in folge von Verkürzungen gehen müssen als um „Wir sind Papst“ oder „Der Mond ist jetzt ein Ami“.

Antworten
Richard Ervins

Erkannt und trotzdem voll dagegen gerannt.

Ausgerechnet der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger demonstriert, wie wenig er sich mit der Bedeutung der sozialen Medien für die Medienbranche auseinandergesetzt hat. Wenn ein Robert Habeck, überwältigt von seinen eigenen Fehlern, seiner Blauäugigkeit und seiner (Twitter-)Sucht, eine Übersprungshandlung fabriziert, ist das noch irgendwie nachvollziehbar. Ein Manager kann sich das nicht leisten.

Die Branche hat sich extrem schwer getan von Print auf Online einzuschwenken. Das hat gerade noch so geklappt. Jetzt ist eine Weiterentwicklung vonnöten – und schon wieder gehen alle Lichter aus. Das Sterben hat ja bereits begonnen.

Die Plattformanbieter bleiben nicht stehen und die Anwender auch nicht. Wahlen lassen sich über die sozialen Medien beeinflussen. Ein Großteil der Öffentlichkeitsarbeit von Konzernen, Kliniken, politischen Parteien und – ja auch Zeitungsverlagen – wird mittlerweile online gemacht. Soziale Problematiken und destruktive und sogar demokratiegefährdende Strömungen, die bislang nicht so schnell erkennbar waren, treten ungeschminkt und direkt ans Tageslicht. Und da steht der Präsident des Bundesverbandes hin und fordert zur Zurückhaltung auf?

Mathias Döpfner sieht die Problematik von privaten Accounts von Mitarbeitern. Das Problem ist schnell gelöst und bedarf eigentlich keiner Erwähnung. Alleine, dass er nicht weiß wie eine Lösung aussieht, disqualifiziert ihn. Beim Content sieht er die Chancen für „besseren Journalismus“ – was auch immer das sein mag – bei der Nutzung der Online-Welt nicht?

Döpfner sollte noch heute seinen Stuhl räumen und Platz machen für jemanden, der es sehen kann.

Antworten
Frank Martini

Mit ein paar kleinen Abstrichen, die mir eine als nötig empfundene vorsichtige Zurückhaltung nahelegt, bin ich fast bei Ihnen.
Fast, weil: Hat sich die Branche wirklich so schwer getan, „von Print auf online einzuschwenken“? Oder hat sie nicht eher – meine Position – dies nur nicht unglaublich kopflos und strategisch mangelhaft recht schnell getan, und tut sich nun bloß umso schwerer damit, die daraus resultierenden Konsequenzen rsp. das damit für sie verbundene „Schadpotential“ wieder „einzufangen“.
In Haltungen zur seinerzeit massenhaft aufkeimenden Netznutzung wie „die letzten beißen die Hunde“ und „Wir müssen jetzt nur genug Programmierer einstellen, die Inhalte haben wir ja schon“ sowie den Wandel im Sprachgebrauch von „Inhalt“ zu „Content“ – kommt allein darin nicht eine Geringschätzung, zumindest aber Verkennung des Werts von Inhalten zum Ausdruck, mit dem die Geburtsfehler in der Herangehensweise medialer Digitalisierung zumindest teilweise von vornherein angelegt sind?
Weswegen allein die Zurückhaltung, zu der Döpfner in Bezug auf SM auffordert, m. E. der entscheidende Kritikpunkt noch gar nicht berührt ist – Zurückhaltung ist, weswegen ich sie gleich im ersten erwähne, von sich aus erst mal kein Grundmangel – auch und vllt. gerade sogar weil der Zeitgeist hier anderes suggeriert.
Aber mehr zu Döpfner und dem Interview besser in einem eigenen Posting, als der Replik auf ein solches.

Antworten
Rolf

Zu dem was der Springer-Mann da sagt will ich mich gar nicht weiter äußern.
Was mich aber wieder sehr ärgert ist Euer Titel in Springer-Manier: – Mathias Döpfner über soziale Medien: „Ich empfehle allergrößte Zurückhaltung“. –
Das suggeriert etwas ganz anderes als das was der Mann dann wirklich gesagt hat, dass Journalisten sich hier möglichst zurückhalten sollten, seiner Meinung nach. Bei Eurem Titel ist anzunehmen, dass man generell bei den Sozialen Medien zurückhaltent sein sollte.
Wie nennt ihr solche Verdrehungen? Mann bekommt einen anderen Artikel zu lesen als man erwartet.
Ich habe vor einigen Jahren meine Lokale Zeitung abbestellt, weil die Headlines immer mehr der BILD entliehen schienen.

Antworten
Johannes tom Dieck

Ich stimme Dir zu, obwohl es ja in diesem Fall auch kein Clickbait oder so ist. Solche Nachlässigkeiten sind aber ein weit verbreitetes Problem auch in seriösen Nachrichtenmedien.
Korrekter wäre gewesen: „Döpfner empfiehlt Journalisten allergrößte Zurückhaltung in sozialen Medien“
Wäre für mich dann auch die viel interessantere Überschrift gewesen. Man wollte aber wohl die wörtliche Rede in der Überchrift haben, um es damit als Interview zu kennzeichnen.
Was sagt diejenige Person dazu, die diese Titelüberschrift zu verantworten hat?

Antworten
Frank Martini

Zunächst mal mag ich mir nicht anmaßen, Herrn Döpfner mangelnde Fähigkeiten oder gar Hybris zu unterstellen. Allerdings sehe ich auch ohne dies in seinen Einlassungen auch in diesem Interview eine Menge Hintergrund, die möglicherweise seiner „persönlichen Filterblase“ (auch ganz ohne SM!) geschuldet ist, der es verdient, auf ihn aufmerksam zu machen, wenn nicht ihm zu widersprechen. Ohne strikte Einhaltung einer interviewverlaufsbezogenen Chronologie oder gar einen Anspruch auf Vollständigkeit mal 10 Punkte, die mir bei der Lektüre des Interviews spontan „aufgestoßen“ sind:

1. Döpfner warnt die Medienbranche, mit zweierlei Maß zu messen. Und das er die Idee, Medienvertreter könnten nur rein privat SM nutzen, für absurd hält. Auch die Aufforderung zur Zurückhaltung – ob man sie nun, siehe oben, nur auf Journalisten, Medienmanager oder als allgemeine Empfehlung liest – alles soweit d’accor! Aber – wer was zu sagen habe, brauche keine langen Sätze, weswegen die boulevardeske Verkürzung bewundernswert sei. Keine Frage, dass plakatives Texten eine – ich nenne es lieber Handwerk als Kunstform – gekonnt sein will! Nur: in den Publikums-Medien bewundernswerte Kunstform, in den sozialen dagegen „Verzerrung komplexer Sachverhalte“? Wie war das doch gleich mit den zweierlei Maßen???
2. Von wo an diese Verzerrung zu weit geht, darüber lässt sich oft trefflich diskutieren! Aber: wenn sie im öffentlichen Raum auch von privater Seite (und damit privaten SM-Accounts) tendenziell zu weit geht, in offiziellen Medien aber bewundernswerte Kunstform ist – ausgerechnet vor diesem Hintergrund [„MÜSSEN] Journalisten natürlich soziale Medien als Informationsquelle und (huch! ausgerechnet auch noch – Anm. des Verfassers!) Rechercheinstrument benutzen“??? Obschon das, wenige Sätze zuvor, noch zu viel Zeit koste und zuwenig Erkenntnis produziere???
Wie war das doch gleich mit den zweierlei Maßen und den Filterblasen???
3. hat Döpfner zufolge der digitalisierte Journalismus Chancen besser zu werden, als er analog jemals war? Wieder so ein Mythos! Wer „gschlampert“ oder schlicht unredlich arbeitet oder eben nicht, auf dessen Qualität seiner Arbeit haben die dazu verwendeten Werkzeuge – ob nun digitale oder analoge (die es streng genommen so nirgends mehr gibt, oder wir eine Zeitung noch irgendwo in Blei gesetzt?) – erstmal keinerlei Auswirkungen. Es ist eben nie entweder „die Technik Schuld“ oder allein für sich der „schiere Heilsbringer“!
4. haben sich die nicht nur aus meiner Sicht fundamentalen Missverständnisse Döpfners ja noch an anderer, im Interview berührter Stelle niedergeschlagen – dem angesprochenen LSR. Auch hier beharrt er stumpf auf seiner Auffassung, dass andere mit den von Medienkonzernen erwirtschafteten Werten von Inhalten „räuberische Knete“ machen – dass es auch unter Nutzung der vom LSR in Frage gestellten Snippets gerade Google war, welche den Onlineinhalten der Medienkonzerne und ihren Marken erst just jenen Traffic massiv verschafft haben, auf dem die Generierung von Werbeeinnahmen im Netz wesentlich basiert, scheint dem Manne einfach nicht in den Kopf zu wollen. Oder schlicht nicht in den Kram zu passen! Ob ich meine eingangs bemühte Zurückhaltung aufgeben muss?
5. Wenn nach Döpfner Journalismus nach dem Krieg von einer „ganz anderen Ernsthaftigkeit grundiert“ war als er es heute ist – wieviel Gering- (um nicht zu argwöhnen, Fehl-)einschätzung gegenüber unserem Handwerk (ver)steckt (sich) in dieser Auffassung!?! „Nur“, weil es nicht mehr um kriegsverbrannte Erde und damit einhergehende Verbrechen an der Menschlichkeit geht, kann man im „Journalismus x.0“ also vormaligen journalistischen Berufsethos als unzeitgemäß in die Tonne treten???
6. Wenn „Leute“, die früher zu „Zeitungsunternehmen“ gingen, heute lieber zu netzbasierten High-Tech-Firmen gehen, dürfte sich a) die Schnittmenge des Vergleichs dieser „Leute“ sicher in eher engen Grenzen halten und b) sogleich die Frage stellen, ob das nicht auch in erheblichem Maße etwas mit den Veränderungen im Umgang mit ihrem Personal bei den „Zeitungsunternehmen“ im Vergleich zur Techbranche zu tun hat!
7. Wenn es journalistischen Marken wie bspw. dem „Business Insider“ heute „hervorragend“ geht (wirtschaftliche Einordnung eines Massenprodukterfolgs) und daraus zu schließen, dass dies qualitätsbedingt sei, wieviel Missverständnis des im Interview behandelten Problemkreises – zu dem auch und gerade Glaubwürdigkeit gehört – kommt darin eigentlich zum Ausdruck? Fast bloßes „Clickbaiting“ = keine Qualität, ergo wirtschaftliches Scheitern? Und im Umkehrschluss: Fast bloßer Verzicht darauf = Qualität = wirtschaftlicher Erfolg? Werden da etwa Korrelationen mit Kausalitäten durcheinander gehauen? Sorry, aber ist das nur mir deutlich denn doch etwas zu „zweizellig“? Oder haben die Veränderungen zu Lasten der Glaubwürdigkeit vllt. im Kern auch gar nicht so wenig mit jenen in der Branche zu tun, die aus früher dominierenden Verlegern, die sich als Publizisten begriffen heute „Medienmanager“ gemacht haben?
8. muss man kein solcher sein, um schon sehr klar zu haben, dass Angebote publikumsorientiert sein müssen; „Oberlehrerfernsehen“ ist halt schon etwas länger „out“! Nun ist aber die „Fähigkeit zum niederen Instinkt“ jedem Menschen inhärent! Wie weit muss man denn bereit sein zu gehen für wirtschaftlichen Erfolg? Oder, anders gefragt: Macht man es immer hübsch „bildgemäß“ – schwingt darin nicht auch eine gewisse, sehr gefährliche journalistische
Geringschätzung dem Pubiikum gegenüber zum Ausdruck??? Unbestreitbar: Meiner Oma die Welt in 2’30 so zu erklären, dass sie sie versteht ohne wegzuzappen oder -klicken, ist eine Qualität, die man nur als Handwerk oder sogar als Kunstform betrachten darf. Aber vor dem Erklären dessen „was ist“ kommt eben die Recherche desselben – und zu gutem Handwerk, geschweige denn Kunst wird’s halt nur, wenn die Verkürzung dann eben nicht die von Herrn Döpfner bemühte „Verzerrung von Sachverhalten“ gerät.
9. Vollkommen d’accor, wenn Döpfner meint, die Chancen der Digitalisierung für die Medien müssten nicht nur richtig „gemanagt“, sondern inhaltlich richtig „gestaltet“ werden. Weswegen sich das Verhältnis von Berufen und v. a. deren Kernpflichten einer inhatlichen Gestaltung zum „managen“ ja auch dramatisch verschoben hat – wobei diejenigen, die den Fokus auf die Inhalte legen gegenüber denen, die „managen“ zunehmend ins Hintertreffen geraten. Ob das mit den Chancen so im Ansatz was werden kann? Unter Beibehalt des „Kernkapitals“ Glaubwürdigkeit?
10. ist natürlich auch im digitalen Zeitalter das Prinzip wichtig, für eine erbrachte Leistung auch fair zu bezahlen, Komisch nur, dass sich Herr Döpfner damit nur an Google et. al. zu stoßen scheint, nicht aber am Verhältnis zu den Produzenten der Inhalte. Jedenfalls ist mir dazu von ihm noch keine prominente Äußerung bekannt.

Aber es findet sich im Interview natürlich auch noch irgendwo dieser eine, alles rettende Satz, dass Herr Döpfner natürlich nicht verallgemeinern will! Nö, schon klar – jedenfalls natürlich bloß dort nicht, wo es einem selbst nicht nützlich ist..;-)

Antworten
Julia Nikolaeva

Was Döpfner über Relotius sagt, kann ich unterschreiben. Beim Rest bin ich sehr irritiert.

Zurückhaltung bei sozialen Medien aus Loyalität ggü. der Medienmarke? Die sozialen Medien sind die digitalisierte analoge Welt. Dort passiert dasselbe wie auf der Straße, auf Veranstaltungen, auf der Arbeit: Menschen kommunizieren miteinander. Mit der Argumentation von Döpfner dürfte jemand, der mit einer Medienmarke assoziiert werden kann, sein Haus nicht mehr verlassen und nicht mehr mit anderen Menschen kommunizieren, weil er dann etwas sagen könnte, was der Marke schadet.

Journalisten sollen ihre Kreativität lieber in die Schlagzeilen der Medien investieren als in eigene Tweets? Privat twittern nützt nur den Journalisten, nicht aber der Medienmarke? „Kostenloser Dienstleister“ für die Reichweite der sozialen Medien? Was ist das für ein Menschenbild? Warum soll ein Journalist sein eigenes Leben und seine persönlichen Bedürfnisse nach Kommunikation und Selbstmitteilung für irgendeine Medienmarke, für die er vielleicht nur vorübergehend arbeitet, zurückstellen? Das ist eine Besitzanmaßung über das Leben und die Persönlichkeit anderer Menschen. Der Journalist gehört nicht der Medienmarke, sondern nur sich selbst.

Und dann, am Schluss, erzählt uns der Mann, der gerade von der Seriösität der Medien im Zusammenhang mit dem Fall Relotius geredet hat, die Verhinderungskampagne der Urheberrechtsreform sei mit „wahrheitswidrigen Argumenten geführt“ worden. Ist das die Art Seriösität, die er von den Medien erwartet?

Der Mann hat weder die sozialen Medien noch Google noch das moderne Menschenbild verstanden. Sehr schade, denn er zeigt hier und da durchaus Anzeichen von Intelligenz.

Antworten
Frank Martini

Da bin ich, liebe Frau Nikolaeva, fast bei Ihnen – fast! Ohne jetzt Döpfner stützen zu wollen springt mir Ihre Gleichung von den SM als Digitalisierung der analogen Welt etwas zu kurz. Denn in deren Nutzung passiert eben nicht genau dasselbe, wie auf der Straße, Veranstaltungen, der Arbeit – die Kommunikation im direkten persönlichen Umgang, sogar die bloß telefonische ist nämlich in jeder einzelnen Äußerung weder zeichenlimitiert, noch unidirektional, noch blendet sie nonverbale Anteile wie Stimmlage, Atmung, direkte Rückmeldungssignale während der Äußerung etc. (wie bereits am Telefon) geschweige denn zusätzlich noch Blickkontakt, Körperhaltung etc. (wie im direkten persönlichen Kontakt) nicht aus! Gerade diese „permanente Präsenz humaner Identifikation“ aber ist das, was bspw. unsere Empathiefähigkeit und andere soziale Kompetenzen begünstigt rsp. sogar erfordert. Weil genau das fehlt, hat sich Lanier u. a. ja zu der Zuspitzung, SM mache uns zu „Arschlöchern“ hinreißen lassen – und nicht wegen oder erst seit den Entgleisungen in weiten Teilen der SM nennt mancher sie salopp auch asoziale Medien – in denen Menschen maximal in höchst eingeschränktem Maße kommunizieren – meist ist es doch eher die Befriedigung eines persönlichen Mitteilungsbedürfnisses, das (Zahl der Likes , Hates oder Retweets) ausgerechnet dort erfolgreich ist, wo es am meisten polarisiert. Und das tun wir i. d. R. mit unseren kommunikativen Äußerungen im persönlichen Umgang gerade nicht. Weswegen Ihr Schluss, mit Döpfner dürfe dann auch kein Journalist mehr das Haus verlassen, nicht trifft.
Was indes Ihre übrige Aufregung über Herrn Döpfner anlangt, bin ich schon ziemlich bei Ihnen.

Antworten

Melde dich mit deinem t3n Account an oder fülle die unteren Felder aus.

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus!
Hallo und herzlich willkommen bei t3n!

Bitte schalte deinen Adblocker für t3n.de aus, um diesen Artikel zu lesen.

Wir sind ein unabhängiger Publisher mit einem Team von mehr als 75 fantastischen Menschen, aber ohne riesigen Konzern im Rücken. Banner und ähnliche Werbemittel sind für unsere Finanzierung sehr wichtig.

Schon jetzt und im Namen der gesamten t3n-Crew: vielen Dank für deine Unterstützung! 🙌

Deine t3n-Crew

Anleitung zur Deaktivierung
Artikel merken

Bitte melde dich an, um diesen Artikel in deiner persönlichen Merkliste auf t3n zu speichern.

Jetzt registrieren und merken

Du hast schon einen t3n-Account? Hier anmelden

oder
Auf Mastodon teilen

Gib die URL deiner Mastodon-Instanz ein, um den Artikel zu teilen.

Anzeige
Anzeige