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MIT Technology Review Feature

Menschlicher Körper als Stromquelle: Was Forscher mit der überschüssigen Energie vorhaben

Forschende wollen den menschlichen Körper als Kraftwerk nutzen und arbeiten an Implantaten, die die überschüssige Energie in Strom umwandeln. Damit sollen nicht nur Handys oder Smart Watches geladen werden, sondern auch dem Menschen selbst zu Gute kommen.

Von MIT Technology Review Online
7 Min.
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(Grafik: MIT Technology Review)

Der menschliche Körper ist verschwenderisch mit seiner Energie. Ununterbrochen strahlt er Wärme in die Umgebung ab. Mit einer Leistung von einem Watt pumpt das Herz das Blut durch die Adern. Und auch das noch: Bei jedem Schritt lastet das 2,5-Fache unseres Gewichts auf den Hüften – und lässt diese allmählich verschleißen. „Es sind enorme Energien, die unser Körper freisetzt“, sagt Daniel Klüß, Spezialist am Forschungslabor für Biomechanik und Implantattechnologie der Universität Rostock.

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Forschende wie er denken schon lange über Möglichkeiten nach, diese überschüssigen Kräfte in Strom umzuwandeln. „Energy Harvesting“ heißt die Technologie: die Energieerzeugung im menschlichen Körper. In künstlichen Knien und Hüften könnte sie beispielsweise für Elektronik genutzt werden, die detektiert, ob Menschen Treppen steigen, gehen oder laufen, und dem Verschleiß der Ersatzgelenke etwa durch Ansteuerung eingebauter Vibratoren gezielt vorbeugt. Herz- und Hirnschrittmacher bräuchten keine Batteriewechsel mehr. Den Patienten blieben belastende Operationen erspart.

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 1/2024 bestellen.

Kleiner Start: Erbsengroßer Piezowandler in Hüftimplantat

Klüß fing klein an und baute erst einmal einen erbsengroßen Piezowandler in ein Hüftimplantat ein. Sobald piezoelektrische Materialien, beispielsweise Quarz, verformt werden, bauen sie eine elektrische Spannung auf. „Wir mussten Hohlräume in das Hüftimplantat fräsen, damit wir dort die Elektronik für die Energieernte unterbringen konnten“, erklärt der Ingenieur. Die Integration in das Implantat sei anspruchsvoll, denn das Hüftimplantat müsse stabil sein und zehn bis fünfzehn Jahre arbeiten. Etwa so lange wie ein Windrad soll es Strom produzieren – erneuerbar, auf Schritt und Tritt.

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Ob die Hüfte mit dem Kraftwerk tatsächlich so lange hält, prüfte Klüß im Labor nach einer ISO-Norm. Er umgoss die Hüftprothese mit einem Kunststoffharz, als säße sie im Knochen eines Menschen. Das stromliefernde Exemplar überstand die von der Norm geforderten fünf Millionen Zyklen unter einer realitätsnahen Druckbelastung.

„Die Hüfte kann melden, ob man gerade Treppe steigt, einen Marathon läuft oder nur zum Supermarkt geht.“

Bei jeder Belastung erzeugt der Piezogenerator einen Strompuls. „Die Hüfte kann auch melden, ob man gerade Treppe steigt, einen Marathon läuft oder nur zum Supermarkt geht“, ergänzt der Implantatexperte. Jede Aktivität liefere eine spezifische elektrische Spannung. Aktivitätsprofile könnten für weitere Forschungen und die Optimierung der Implantate dienen. Gerade wegen dieses Doppelnutzens arbeitet die Medizintechnikbranche derzeit emsig an der Elektrifizierung ihrer Implantate.

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Überschüssige Energie aus dem Körper in den Akku

Auch der Molekularbiologe Martin Fussenegger von der ETH Zürich will den Körper als Energiequelle nutzen. Denn wenn überschüssige Energie aus dem Körper in einen Akku flösse, hätte der Körper weniger zu leiden: Im Fall mechanischer Kräfte würden Gelenke im besten Fall nicht so leicht verschleißen. Gemäß dem Energieerhaltungssatz lasten Kräfte, die zur Energieerzeugung abgegriffen werden, dann nicht mehr auf dem Gelenk. Außerdem ließen sich „damit das Handy, die Uhr und andere Wearables laden, auch dann, wenn die Sonne gerade nicht scheint“, sagt er.

In Fusseneggers Lieblingsvision wird allerdings nicht Bewegung, sondern Blutzucker verstromt. Wie das gehen könnte, hat er kürzlich in Advanced Materials dargelegt: Sein Team hat eine Brennstoffzelle von der Größe eines Teebeutels entwickelt, die Zucker aus dem Blut und der umliegenden Gewebeflüssigkeit in Strom umwandelt. Zumindest in einer Diabetesmaus funktionierte das – einer gentechnisch veränderten und an eine Leuchtdiode gekoppelten Maus, die als Modell für die Zuckerkrankheit diente. Nachdem das Tier an einer Zuckerlösung genippt hatte, leuchtete die Diode, gespeist vom Strom aus ihrem Körper.

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Mit einem ausgetüftelten Aufbau lassen sich die elektronischen Eigenschaften von 30 Brennstoffzellen gleichzeitig messen., Foto: Kent Dayton
Mit einem ausgetüftelten Aufbau lassen sich die elektronischen Eigenschaften von 30 Brennstoffzellen gleichzeitig messen. (Foto: Kent Dayton)

Die Brennstoffzelle wandelt Glukose aus dem Körper an einer Kupferoxidanode in Glukonsäure um. Bei dieser elektrochemischen Reaktion können Elektronen über Kohlenstoffnanoröhrchen, die in Kunststoff eingebettet sind, als Strom abgezapft werden. Mit der Brennstoffzelle ist zudem ein Strommanagementsystem verbunden. Das ist ein kommerziell erhältlicher Chip, der einerseits die produzierte Energie in einem Kondensator speichern kann. Andererseits steuert er über die gemessenen Spannungen, wann die Brennstoffzelle Zucker verwertet und wann sie ruht.

„Wir können das System so einstellen, dass es erst ab einer bestimmten Menge Zucker im Körper Strom produziert“, erklärt der Physiker Maity Debasis aus Fusseneggers Team. Wenn die Brennstoffzelle beispielsweise erst ab 0,33 Volt anspringe, sorge dies dafür, dass der Körper unterhalb dieser Spannung die vorhandene Glucose selbst verwerte. Eine lebensbedrohliche Unterzuckerung könne so vermieden werden.

Brennstoffzelle für Zuckerkranke

Besonders interessant sei die Erfindung zudem für Zuckerkranke, sagt er. Die Brennstoffzelle würde Blutzuckerspitzen abfangen, die sonst Nerven, Augen und Gefäße schädigen könnten. Mit dem gespeicherten Strom ließe sich zudem ein Implantat speisen, das Insulin ausschüttet. Dabei denkt Fussenegger nicht etwa an eine Insulinpumpe im Körperinneren: Er hat Bauchspeicheldrüsenzellen im Labor gentechnisch so verändert, dass sie mit Strom oder Licht stimuliert werden können und dann Insulin freisetzen. In einer Alginathülle ließen sich diese unter die Haut implantieren. Fussenegger ist optimistisch und geht davon aus, dass ein solches Implantat nicht zu Abstoßungsreaktionen im menschlichen Körper führen würde.

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Ein Team der ETH Zürich hat eine Brennstoffzelle entwickelt, die mit überschüssigem Blutzucker betrieben wird und in Zukunft in den Körper implantiert werden könnte. Im Tierversuch funktionierte der Prototyp bereits., Foto: Fussenegger La  / ETH Zürich

Ein Team der ETH Zürich hat eine Brennstoffzelle entwickelt, die mit überschüssigem Blutzucker betrieben wird und in Zukunft in den Körper implantiert werden könnte. Im Tierversuch funktionierte der Prototyp bereits. (Foto: Fussenegger La / ETH Zürich)

 

 

In der Diabetesmaus funktionierte die Verschaltung von Kraftwerk und insulinproduzierendem Gewebe jedenfalls bereits. Für Experimente am Menschen wären nun ein Investor und die Bewilligung einer Ethikkommission vonnöten, meint Fussenegger. Noch scheue er den bürokratischen Aufwand, der damit verbunden ist. „Die Energiegewinnung im Menschen wird sicher kommen, aber in welchem Land zuerst, ist eine andere Frage.“

Immer, wenn die Knochendichte in einen kritischen Bereich absinkt, würde die künstliche Hüfte vibrieren.

Geht es nach Fussenegger, könnte die Stromerzeugung aus Blutzucker sogar eines der größten Probleme der Menschheit lösen: In vielen Ländern der Welt äßen die Menschen zu viel. Schuld daran sei, dass hochkalorische Nahrung rund um die Uhr verfügbar und der Mensch darauf programmiert sei, für Notzeiten im Voraus zu essen. Das aber begünstigt lebensgefährliche Folgekrankheiten: Diabetes, Herzkreislauferkrankungen, Schlaganfälle und Krebsleiden. Wenn überschüssiger Blutzucker verstromt würde, „hätten wir unseren Energiehaushalt wieder im Griff. Es würde nichts machen, wenn wir schon wieder genascht oder zu viel zu Mittag gegessen hätten“, glaubt er. Ob das tatsächlich so funktioniert, muss die weitere Forschung zeigen. Der Strom aus dem Körperinneren könnte induktiv durch die Haut auf das Handy oder auf ein Wearable übertragen werden, skizziert Fussenegger mögliche Anwendungen.

Kraftwerke Herz, Lunge und Blutstrom

Nicht nur Blutzucker oder Hüftbewegungen sind potenziell nutzbare Energiequellen im menschlichen Körper. Auch der Herzschlag oder die Bewegungen der Lunge beim Atmen lassen sich theoretisch in Strom übersetzen. Das funktioniert nicht nur elektrochemisch wie in Fusseneggers Ansatz oder piezoelektrisch wie im Fall des Hüftimplantats des Rostocker Teams, sondern auch elektromagnetisch. Schließlich fließt aufgrund der Lorentzkraft Strom, sobald elektrische Leiter, wie die Metalle in den Implantaten, senkrecht zu einem Magnetfeld bewegt werden.
Der Medizintechnikingenieur Adrian Zurbuchen vom Inselspital Bern etwa arbeitet an der elektromagnetischen Stromerzeugung durch den Herzmuskel. Am schlagenden Herzen eines Hausschweins befestigte er einen Magneten, in dessen Magnetfeld er einen elektrischen Leiter platzierte. Das System lieferte verlässlich einige Mikrowatt und trieb einen Schrittmacher an. 2020 stellte er seine Ergebnisse im Journal Plos One vor.

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Die Idee: Turbine im Blutstrom

Zuvor erforschte Zurbuchen ein Pendant zum Wasserrad: eine Turbine im Blutstrom. Pro Minute fließen fünf Liter Blut durch den Körper. Der Herzmuskel pumpt die gewaltige Menge mit einer Leistung von einem Watt. „Ein paar Mikrowatt davon zu ernten, etwa für einen Herzschrittmacher oder ein anderes Medizingerät, erschien mir logisch und möglich“, sagt der Ingenieur. Er experimentierte während seiner Doktorarbeit mit einer solchen Turbine. Das torpedoförmige Implantat hat einen Durchmesser von 6,2 Millimetern. Wird es von Blut umströmt, bringt dies ein Schaufelrad an der Spitze zum Rotieren.
Doch zurzeit ruht die Forschung an der Blutbahnturbine. Die Herausforderungen seien zahlreich, berichtet Zurbuchen. Um die Implantate können sich Blutklumpen bilden. Die Gerinnsel könnten wichtige Areale des Hirns oder Herzens verschließen und einen Infarkt auslösen. Gefäßstützen, wie sie bei Arteriosklerose eingesetzt werden, um die Blutgefäße zu weiten, sind deshalb immer mit blutverdünnendem Heparin beschichtet. Zudem könnte der Fremdkörper im Blutfluss die Druckverhältnisse stören. Mit der Zeit würde der Körper Auswege suchen, indem neue Gefäße sprössen und das Blut um das Hindernis herumflösse, mutmaßt der Wissenschaftler. „Vermutlich würde die Menge an geerntetem Strom im Laufe der Zeit immer kleiner werden.“

Ein Hüftimplantat, das Strom erzeugt, gibt es bisher nur als Prototyp. Künftig könnte es zum Beispiel helfen, im Körper gezielt Vibrationen zu erzeugen, die zum Erhalt von intaktem Knochenmaterial beitragen., Foto: Daniel Klüß Ein Hüftimplantat, das Strom erzeugt, gibt es bisher nur als Prototyp. Künftig könnte es zum Beispiel helfen, im Körper gezielt Vibrationen zu erzeugen, die zum Erhalt von intaktem Knochenmaterial beitragen. (Foto: Daniel Klüß)

Kritik an magnetischen Bauteilen im Körper

Forschende wie der Ingenieur Daniel Klüß halten aber auch Zurbuchens Ansatz mit dem Magneten am Herzen für bedenklich. „Da schlagen viele Mediziner die Hände über dem Kopf zusammen. Mit einem magnetischen Bauteil im Körper können wir die Leute nie mehr ins MRT stecken. Man verbaut sich damit eine fundamental wichtige medizinische Diagnostik“, sagt er. Die piezoelektrischen Stromgeneratoren, mit denen er arbeite, seien dagegen harmlos. Ihr Herzstück bestehe aus Keramik, die kaum mit dem umliegenden Gewebe interagiere. Und auch wenn die geernteten Spannungen kleiner als 20 Volt seien, gebe es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten.

Zum Beispiel möchte der Forscher die Elektrizität aus der Hüfte nutzen, um das Aktivitätsprofil an ein Handy zu funken. Außerdem soll der Strom den verbliebenen natürlichen Hüftknochen in Schwingung versetzen. Denn wer eine künstliche Hüfte trägt, verliert über den Abrieb zwischen Knochen und Gelenkersatz mit der Zeit natürliches Knochenmaterial. Feine Vibrationen, der Wechsel von Be- und Entlastung, stimulieren die Bildung von neuem Knochen. Sogar Defekte regenerierten sich auf diese Weise wieder, berichtet Klüß. Das sei auch der Grund, warum verletzte Knochen heutzutage baldmöglichst wieder beansprucht werden sollen und Brüche eher selten gegipst werden.

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Die Vision des Rostocker Implantatexperten: ein smartes Gelenk, das Strom sammelt und den umgebenden Knochen überwacht. Immer, wenn die Knochendichte in einen kritischen Bereich absinkt, würde die künstliche Hüfte zu vibrieren beginnen. „Das spüren die Menschen. Aber es ist nicht unangenehm“, meint Klüß. „Ein wenig wie auf einem Massagesessel.“

Dieser Artikel stammt von der Journalistin Susanne Donner.
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