Mithilfe von KI: Forscher entwickeln lebensrettende Proteine gegen Schlangengift

Jedes Jahr sterben rund 100.000 Menschen weltweit an den Folgen von Schlangenbissen. Die WHO hat Schlangenbisse neben anderen Krankheiten wie Denguefieber und Tollwut sogar zu einer der wichtigsten vernachlässigten Tropenkrankheiten erklärt. Trotz der vielen Todesfälle haben sich die Behandlungsmethoden bisher kaum weiterentwickelt. Stattdessen basiert Gegengift noch immer auf Antikörpern, die aus dem Blut immunisierter Pferde oder Schafe gewonnen werden – eine Vorgehensweise, die nicht nur äußerst kostspielig ist, sondern auch eine fachgerechte Lagerung und Anwendung erfordert.
Schon bald könnten diese antiquierten Methoden allerdings durch neue ersetzt werden: Wie Nature berichtet, ist es Forscher:innen jetzt mithilfe von KI gelungen, Proteine zu entwickeln, die die tödlichen Auswirkungen von Schlangengift neutralisieren können. Das Verfahren könnte nicht nur für die Behandlung von Schlangenbissen einen wichtigen Meilenstein bedeuten, sondern auch den Weg für weitere neue medizinische Therapien ebnen.
KI reduzierte jahrelange Forschungsarbeit auf wenige Sekunden
Ein Team um die Biochemikerin Susana Vázquez Torres und den Biophysiker David Baker von der University of Washington hat so genannte „Mini-Binder“ entwickelt. Diese kleinen Proteine binden gezielt die giftigen Bestandteile des Schlangengiftes und neutralisieren sie. Möglich wurde dies durch ein KI-System namens RFdiffusion, das ursprünglich für andere medizinische Anwendungen wie Krebsbehandlungen entwickelt wurde. Das Besondere: Statt jahrelanger Forschung benötigte die KI nur wenige Sekunden, um potenzielle Proteinstrukturen zu generieren.
In Experimenten konnte das Team nachweisen, dass die Mini-Binder Mäuse selbst bei einer tödlichen Dosis Schlangengift vollständig schützten – und das sogar, wenn die Proteine erst 15 Minuten nach der Giftverabreichung injiziert wurden. Die KI-entwickelten Proteine bieten dabei zahlreiche Vorteile gegenüber traditionellem Gegengift: Sie sind stabiler, benötigen keine Kühlung und könnten kostengünstig in industriellen Anlagen produziert werden. Damit könnten sie auch in Regionen verfügbar gemacht werden, in denen die medizinische Infrastruktur begrenzt ist.
Trotz beeindruckender Ergebnisse bleiben die Hürden groß
Der Weg zur Marktreife ist dennoch lang: Klinische Studien, regulatorische Hürden und die Finanzierung stellen große Herausforderungen dar. Während KI-gestützte Ansätze für lukrative Krankheitsfelder wie Krebs schnell neue Investor:innen anziehen, fehlt es oft an Mitteln für sogenannte vernachlässigte Krankheiten wie Schlangenbisse.
Und auch darüber hinaus gibt es noch einige Probleme, die vor dem Einsatz gelöst werden müssen: Schlangengift besteht nämlich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Toxine, und die Mini-Binder des Teams decken bisher nur einen Teil davon ab. Für eine vollständige Behandlung wären Kombinationen mehrerer Mini-Binder erforderlich, angepasst an die lokalen Giftschlangenarten.
Die bestehenden Hürden machen die Errungenschaften, die dem Forschungsteam mithilfe von KI gelungen sind, aber nicht weniger beeindruckend – und sie beweisen, wie groß das Potenzial von KI in der Medizin ist. „Es ist beängstigend“, kommentiert Joseph Jardine, der als Immunologe bei Scripps Research im kalifornischen La Jolla tätig ist. Laut ihm hat sich die Forschung von etwas entwickelt, das praktisch nicht möglich war – hin zu einem Proof-of-Concept, mit dem sich tatsächliche Probleme lösen lassen.