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Kolumne

Head of Blabla: Braucht es diesen Titelk(r)ampf?

Chief of Blabla, Head of Wichtigkeit – Jobtitel werden immer kurioser. Kaum noch eine Tätigkeit kommt ohne besonders ausgefallene Bezeichnung aus. Wieso eigentlich? Und braucht es das überhaupt noch?

Von Björn Waide
5 Min.
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(Foto: G-Stock Studio / shutterstock)

In den letzten Jahren fand ein regelrechtes Wettrüsten inmitten des War for Talents statt: Fast jede Tätigkeit wird mit einem „Manager*in“ im Titel garniert. Wirkt das nicht ein wenig aus der Zeit gefallen, gerade in der neuen Arbeitswelt, die ohne Hierarchien auskommen mag und auf Wertschätzung basiert?

Selbst Startups mit überschaubarem Personaltableau und begrenzten Mitteln für Gehälter machen jede*n zu einem Head of Irgendwas. Wächst das Team, muss der oder die Chef*in von den ganzen Head of Irgendwas mindestens ein Director of Irgendwas sein. Wer will schon „nur“ noch Marketing Manager*in sein? Die Lage ist kompliziert.

Titel als Ausdruck von Hierarchien

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Titel können intern Barrieren schaffen – gerade da, wo auf Hierarchien verzichtet werden soll, stehen sie oft im Weg. Titel sind oft nur eine Umschreibung für Hackordnungen. Chief XY lässt nunmal auf mehr Erfahrung schließen als Junior XY. Überhaupt: Wer entscheidet über Beförderungen? Und: Wenn jemand zum Senior oder Director ernannt wird, ist er oder sie dem Chief dann am engsten verbunden oder dem Unternehmen am längsten treu? Das System hat seine Tücken.

Bei Smartsteuer haben wir intern alle Titel – und somit auch Hierarchien – abgeschafft. Titel passen nicht zu unserer Idee der kompletten Selbstorganisation. Doch die Frage „Mit wem spreche ich und wie viel Erfahrung hat diese Person in Bereich XY?“ lässt sich einfacher mit Titeln beantworten. Daher müssen die fehlenden Titel intern durch eine andere Möglichkeit ersetzt werden, mit der die Mitarbeitenden genauer eingeschätzt werden können. Unter anderem haben wir hierfür unsere Anzeigenamen in Slack um das ergänzt, was wir inhaltlich und tagtäglich im Kern tun – beispielsweise „Max Müller, Qualitätssicherung und interne Prozesse“.

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Titel sind Türöffner

Titel schaffen Realität. Das wusste schon Mark Zuckerberg zu nutzen, der erst seit der „I’m CEO, bitch“-Ansage auf seiner Visitenkarte von den Investor*innen wirklich ernst genommen wurde. Titel schaffen also Sichtbarkeit. Sie können darüber hinaus aber auch eine gewisse Wichtigkeit suggerieren, wie das Beispiel von Mark Zuckerberg zeigt. Titel sind auch Eintrittskarten, die Türen öffnen können. Oft werden Entscheidungen, welche Person kontaktiert wird, basierend auf ihrem Titel getroffen. Wenn jemand in einem Unternehmen zum Beispiel mit einem oder einer Expert*in oder Entscheider*in aus dem Marketing sprechen möchte, wird die Person nicht die Zeit haben, vorab alle Lebensläufe durchzugehen.

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Stattdessen wird der Job-Titel der (Online-)Visitenkarte herangezogen. Senior Marketing Manager*in? Klingt vielversprechend und weckt das Gefühl, eine*n Experte*in gefunden zu haben. Chief Marketing Officer? Klingt noch besser und übertrifft den Senior Marketing Manager*in in Sachen Wichtigkeit und vielleicht auch Expertise – vermutlich jedenfalls.

Titel schaffen nach wie vor nach außen hin eine gewisse Wichtigkeit. Sich diesem Mechanismus allein bewusst zu werden, kann in einigen Situation von Vorteil sein. Ein Kollege aus dem Business-Development bei Smartsteuer hatte bemerkt, dass er bei Anfragen zu Kooperationen oft nicht weiterkam. Die Vermutung: Die Signatur ist Schuld – schließlich gab es unternehmensintern keine Titel mehr. Daraufhin hat der Kollege sich „Chief Commercial Officer“ genannt. Überraschenderweise bekam er gleich mehr Rückmeldungen – obwohl sich an seiner Kompetenz nichts verändert hatte. Menschen achten eben auf die Titel anderer. Jahrzehntelang Gelerntes und auf Papier (der Visitenkarte) Verankertes ist nicht so einfach aus den Köpfen herauszubekommen.

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Titel verlieren ihren Zweck

Titel sollten anderen Menschen anzeigen, in welchem Bereich die eigene Expertise liegt. Sie sollten dem Gegenüber schnell bei der Einordnung helfen. Ähnlich wie Marken: Sie umschreiben mit dem Markenversprechen etwas, das anders schwer auszudrücken wäre. Titel (und Marken) schaffen in unseren Köpfen Konnotationen und damit in gewisser Weise kognitive Abkürzungen. Sie sind Wegweiser, der uns von zeitaufwendigen Überprüfungen, ob jemand oder etwas unser Vertrauen verdient, entlasten sollte.

Diese Funktionen der Titel funktionierten jedoch nur solange, wie Titel untereinander noch vergleichbar bleiben. Attention Manager*in beispielsweise mag einen Impuls zu einem Gespräch liefern und für Aufmerksamkeit sorgen, ist aber für das Gegenüber keine Abkürzung für den schnellen Erkenntnisgewinn.

Mittlerweile sind wir an einem Punkt, an dem der Durchblick und vor allem die Vergleichbarkeit auf der Strecke bleiben. Kompetenz wird durch wohlklingende Titel oft schön geredet oder gemogelt. Von Chief-Irgendwas zu Director of First Impressions zu Happiness Manager*in und Co. – es ist schwer, anhand des Titels auf den ersten Blick zu verstehen, welche Kompetenzen die Person mitbringt. Oder was sie beruflich macht. Es fehlt ein einheitlicher (Kompetenz-)Rahmen, ein Maßstab. Auch die klassischen Titel waren nicht immer auf den Punkt vergleichbar, aber zumindest klangen Bezeichnungen überall ähnlich – und ließen ungefähre Vergleiche zu.

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Nicht von Titeln blenden lassen

Vielleicht braucht die Wirtschaft nach diesem Titel-Chaos ein ganz neues System, an dem Kompetenz gemessen und festgemacht wird. Vielleicht sollten wir uns beispielsweise an der Wissenschaft – in der Veröffentlichungen in namhaften Journals und vor allem auch die Häufigkeit der Zitierung zählen – orientieren? Und uns damit wieder über tatsächlich geleistete Arbeit auszeichnen? So reizend dieser Gedanke zunächst auch klingt: Auch das System der Wissenschaft wird manipuliert. Sobald ein System durchdacht ist, kann es für eigene Zwecke missbraucht werden.

Vielleicht sollte komplett auf Titel verzichtet werden? Wir könnten stattdessen auf gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung setzen. Ganz im Sinne von New Work. Wir sollten uns jedenfalls mehr schätzen lernen – für das, was tatsächlich geleistet wird und für das, was den Mitmenschen ausmacht. Wir sollten uns nicht von Titeln blenden lassen. Dafür müssten wir aber wohl oder übel im Miteinander auf Abkürzungen und Titel verzichten und stattdessen mehr Zeit investieren, um gemeinsames Vertrauen zu schaffen.

Kompetenz statt Titel

Hinter einem Senior Vice President Marketing EMEA des kleinen Startups steckt letztlich nur die Sehnsucht nach mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung von den „Großen“, nämlich den Konzernen. Das hat die Startup-Szene nicht nötig – zumal sie doch anders sein möchte. Startups sollten deshalb aufhören, mit Titeln um sich zu werfen als wären diese Konfetti. Auch des Kaisers neue (Titel)Kleider werden schnell enttarnt – und dann wird es unangenehm. Nicht nur die Produkte von Startups müssen inhaltlich überzeugen – ihre Mitarbeitenden sollten und müssen es auch tun.

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Eine klare Antwort auf die Frage, wie es im Titelkampf weiter geht, habe ich an dieser Stelle (noch) nicht. Es wird eine Lernreise für alle sein, sich entweder im Dschungel der Abkürzungen zurechtzufinden – oder eben alternative Wege einzuschlagen. Wer eine zukunftsfähige Lösung gefunden haben sollte, melde sich gern bei mir.

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7 Kommentare
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Alex

Darum habe ich meinen Titel Auf COE geändert – als Inhaber und Scheff vom Dienst bin ich schliesslich ‚Chief Of Everything‘. Das kitzelt manchen Dialog.

Antworten
Dr. Norbert Schweig

Chief bedeutet Häuptling und scheint von daher hinterfragungswürdig zu sein. Wenn sie das jedoch mit dem Chief Happiness Officer abgestimmt haben, dann ist alles gut.

Antworten
Anonym

Sehr schöner Artikel. Nur leider sind die Leute/Kollegen alle Titel-Geil und brauchen das unbedingt. Auch habe ich in den letzten Jahren immer häufiger beobachtet, dass Titel für wechselwillige generiert werden.

Antworten
Daniela Mähler-Schmitt

Ich finde der Artikel trifft es genau auf den Punkt. Aus meiner Erfahrung heraus ist es oft mehr Schein als Sein. Gerade im Deutschsprachigen Raum glingt es sehr aufgebläht wie das beste Beispiel Facility Manager zeigt muss man sich schämen ,wenn man sagt ich bin Hausmeister??
An Stelle von Mama und Papa Bezeichnung ist es international besser klingend und hip vom Titel her
Life companion and legal guardian of my children+family Management zu benennen.
Wann hört dieser Irrsinn von dieser Oberflächlichkeit auf……
Spätestens wenn man als ehemaliger Head of Blabla bei der Agentur für Arbeit landet ist die Postition weg und somit auch der intern vergebene Titel. Denn oftmals stellt es sich dann heraus ist es nur Schall und Rauch.

Antworten
Marius Bolik

„Hinter einem Senior Vice President Marketing EMEA des kleinen Startups steckt letztlich nur die Sehnsucht nach mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung“

Das trifft es auf den Punkt. Ich kann Menschen, welche Ihren Titel stark in den Vordergrund rücken, einfach nicht ernst nehmen
Es kommt mir auch oft so vor, als würde viele Menschen ihre fehlende Kompetenz durch Titel ausgleichen wollen.

Antworten
Stevegee

Finde den Artikel super. Gleichzeitig braucht es wie beschrieben einen Titel, um schnell auszudrücken, mit wem man es zu tun hat. Habe selber das Problem, in meinem Betrieb für alles verantwortlich zu sein, nur der Inhaber bin ich nicht- als was bezeichne ich mich dann? Bitch for everything and everybody?

Antworten
Dieter Wiemkes

Bisher dachte ich immer, es wäre (dem uns Männern nachgesagten) Minderwertigkeitsgefühl geschuldet, sich mit falschen und fragwürdigen Titeln zu schmücken. („Wer hat den Größten?“)

Inzwischen grassiert diese Tituliererei aber sogar bei Frauen. Da meinen einige, weil sie vielleicht ansonsten nichts vorzuweisen haben, sich einen internationalen Touch geben zu müssen. Sie nennen sich großspurig „CEO“.

Offener Kommentar dazu bei LinkedIn:
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