Native Advertising: Da läuft was gewaltig schief
Coskun „Josh“ Tuna ist sauer. „Ich habe jahrelang Klinken geputzt bei den Verlagen, um Native Advertising zu promoten. Und so oft bekam ich zu hören, dass man seinen hochwertigen Content doch sauber halten wolle. Sauber von Werbung, die im Gewand von Content daherkommt. Und heute schert es die Publisher überhaupt nicht mehr, was da auf ihren Seiten landet.“
Josh spricht pro domo. Das muss man wissen, wenn man seinen Ausführungen zuhört. Die Seeding Alliance will Native Advertising skalierbarer machen und ist darauf angewiesen, dass die zu besetzenden Werbeplätze in den Seiten der Verlage auch gut funktionieren. Eine Banner-Blindness, die sich auf die Werbeflächen erstreckt, die nahe an den Inhalten oder sogar mittendrin angelegt sind, und die mit „Das könnte Sie interessieren“ oder „Unsere Leseempfehlung“ überschrieben sind, wäre für Tunas Unternehmen und Native Advertising insgesamt eine Katastrophe.
Gleichzeitig aber ist der Kölner damit auch Lobbyist für ein ganzes Format, das er nach wir vor für ein gutes hält. „Native Advertising kann vom Vertrauen in die Medienmarke profitieren, auf der es ausgespielt wird“, sagt Tuna. Das gilt natürlich nur, wenn die Publisher ihren Laden einigermaßen sauber halten.
Tuna macht insgesamt fünf unterschiedliche Spielarten aus, wie Native Advertising missbraucht wird, um die Nutzer und auch die Verlage auszutricksen.
Sales statt Content
„Banale Text-Bild-Anzeigen sind aus den Bannerplätzen in Native reingerutscht. Das hat aber mit Content-Marketing nichts zu tun“, so Coskun Tuna. Die Vermarkter, Agenturen und eventuell auch deren Advertiser betrügen hier natürlich nicht, aber sie verbrennen das Format. Banale Bild-Text-Kombis, am besten noch mit konkretem Kaufaufruf, passen vielleicht ans Ende des Funnels, also zum Beispiel zu Google, aber doch nicht auf Werbeplätze, die versprechen, mit Inhalten Website-Besucher weit vor der eigentlichen Kaufentscheidung zu erreichen. Der User lernt das und lernt, die Werbeflächen zu ignorieren.
Das trojanische Pferd
Die Native-Anzeige sieht auf den ersten Blick spannend aus. Sie geht auf ein inhaltliches Thema ein und verspricht vertiefende Inhalte. Aber es geht nur um den Klick. Und zwar nicht um diesen, sondern um den nächsten. Die Landingpages solcher Anzeigen haben oft gar nichts mit dem angekündigten Inhalt zu tun oder sie verstecken ihn auf einer Seite, die mit Bannern vollgepflastert ist. „Durch versehentliche Klicks der Nutzer auf diese Banner holt sich der Vermarkter das Geld zurück, das er für die Platzierung auf der redaktionellen Seite bezahlt hat“, erläutert Tuna. Er hat bei einem der größten deutschen Wirtschaftsmagazine sogar eine Werbung gefunden, die auf eine Fake-News-Seite verlinkt, die nur zu dem Zweck existiert, weitere Klicks einzusammeln. Die Seite operiert dreisterweise mit den Logos großer Fernsehsender.
Fake Targeting
„Die Anzeige bewirbt einen Kaffee-Testsieger in Köln, dabei ist die Landeseite eine klassische E-Commerce-Landingpage ohne jeden Ortsbezug“, erklärt Tuna. Das Verwenden von Targeting-Parametern in dynamischen Bildunterschriften steigert vordergründig die Relevanz. Das ist im Suchmaschinenmarketing üblich. Mit redaktionellen Inhalten und mithin mit Native Advertising hat das nichts zu tun. Tuna hat nicht nur den Ortsbezug als irrelevanten Targetingparameter gefunden, sondern auch das Alter: „35- bis 45-Jährige sollten das unbedingt ansehen!“.
Clickbaiting
„Jahrelang haben die großen Verlage behauptet, Buzzfeed oder Heftig konnten nur deshalb groß werden, weil Facebook nicht genau hinschaut, was in deren Werbeflächen stattfindet. Facebook und Google haben reagiert und die Reichweite dieser Formate stark eingeschränkt. Und siehe da: Inzwischen finden sich die Formate auf den Websites der größten Publisher.
Die Rede ist von sinnentleerten Call-to-Actions à la „Wahnsinn …“, „Sie werden es nicht glauben …“ oder „und dann passierte etwas Unglaubliches“. In neun von zehn Fällen hält der Inhalt nicht, was der Titel und das Native-Banner versprechen. Ein Motiv zeigt eine Frau im Rollstuhl, die eine Treppe nicht hochkommt. Oben an der Treppe ist ein roter Knopf, den die Rollstuhlfahrerin offensichtlich nicht erreichen kann. „Warten Sie ab, was passierte, als sie DIESEN Knopf drückte“, lockt das Banner. Tatsächlich drückt sie im Video einen ganz anderen Knopf, nämlich einen Rufknopf und dann erscheint ein Mitarbeiter, der den ominösen roten Knopf drückt.
Dieses Beispiel ist umso trauriger, weil dahinter ein cooles Produkt steckt, nämlich ein in die Stufen integrierter Treppenlift für Behinderte. Welch spannende, emotionale Storys könnte man zu diesem Thema und zur angebotenen Lösung erzählen. Aber das würde ja Arbeit und Fleiß verlangen. Stattdessen landet der User auf einer Seite, die für die Lead-Generierung angelegt ist.
Hier wäre auch der Advertiser gefragt, um nach mehr Qualität in der Ausspielung zu verlangen. Es handelt sich um ein Investitionsgut für Unternehmen, öffentliche Einrichtungen und Behörden. Der Streuverlust durch die Platzierung auf einer News-Seite ist enorm, aber man hört förmlich die Agentur argumentieren, dass die Abrufzahlen des Videos ja fantastisch sind. Na, wenn das der gewinnbringende KPI ist.
Tote Anzeigen
Das ganze Ausmaß der Tragödie wird deutlich, wenn man Text-Bild-Kombinationen begegnet, die inhaltlich komplett daneben liegen. Ob ein Qualitäts-Publisher es aushalten will, wenn das Werbemittel unter dem Artikel erzählt „wie man braune Ablagerungen“ in einer Toilette wirksam bekämpft, ist vielleicht noch Geschmacksache. Die Anzeige, die komplett in arabischer Schrift untertitelt ist, ist dagegen irgendwie in die Rotation gerutscht und keiner hat es gemerkt. Advertiser: Lidl.
Die Anzeigen von Versicherungen zum Tarifwechsel noch vor dem 31.12.2018 sind auch im März 2019 noch bei den großen Verlagen in Umlauf. Eine – ästhetisch ebenfalls grenzwertige – Werbung für Zahnimplantate hat inzwischen längst keine Landeseite mehr, sondern die Domain hinter dem Link steht zum Verkauf.
„Offensichtlich schließen die Publisher Rahmenverträge mit den Vermarktern und müssen dann eben schlucken, was kommt“, spekuliert der Kölner Native-Spezialist. Oder die Publisher schauen sich das, was beim End-User landet, gar nicht mehr an. Es wäre nicht das erste Mal.
„Wenn wir so weitermachen, dauert es höchstens noch zwei Jahre, und die Native-Platzierungen sind tot“, prognostiziert Coskun Tuna. Und dann gehen alle Investitionen der letzten Jahre auf Seiten der Publisher (Technik, Brand-Studios) und der Advertiser (Redaktionen, Content-Marketing-Software), die für dieses Segment getätigt wurden, verloren.
Hm… wie sag ich euch das jetzt am besten…
Bin gespannt. Trau Dich :-)
Und bei soviel Unfug in den Werbeanzeigen, braucht sich niemand zu wundern, dass sich die Leute wehren und Adblocker installieren.
Ich kann diesen Native BS nicht mehr sehen. Jede Platform, die das Anfängt wird damit automatisch unseriös.
Wahnsinn, was einem mit Adblocker alles entgeht.