Dieses Familienunternehmen digitalisiert eine jahrhundertealte Technik
Wenn ein Containerschiff den Hamburger Hafen gen China verlässt, muss der Kapitän im Stundentakt zu Stift und Papier greifen. In ein abgewetztes Logbuch trägt er dann chronologisch die wichtigsten Ereignisse während der monatelangen Fahrt ein.
Zum Beispiel den aktuellen Kurs, die Geschwindigkeit, Wetterveränderungen sowie Abdrift und Fahrmanöver. So weiß die restliche Führungsmannschaft bei jedem Schichtwechsel über alle Vorgänge Bescheid. Klingt kompliziert? Ist es auch. Vor allem, wenn man bedenkt, dass pro Schiff oft bis zu zehn Versionen im Umlauf sind. Allein: Das ursprünglich im 17. Jahrhundert von Seefahrern erdachte Verfahren ist heute in der Branche noch immer Alltag. Digitalisierung? Fehlanzeige.
Nautiluslog will die Schifffahrt digitalisieren
Ändern will das jetzt ein junges Familienunternehmen aus Hamburg: Nautiluslog. Es hat eine App entwickelt, die das analoge Logbuch in der Schiffsbranche endlich ablösen soll. Hinter der Neugründung stehen die 35-jährigen Informatiker Sven Hamer und Otto Klemke sowie dessen Vater, der 68-jährige Diplomphysiker Ingo Klemke.
Eine ungewöhnliche Konstellation mit bemerkenswertem Lebenslauf: Die drei Gründer haben zuvor bereits Apps für Unternehmen aus diversen Branchen entwickelt. Unter anderem für das bekannte Startup Sonormed, das eine Behandlung von Tinnitus durch das Hören von Musik ermöglicht. Die Idee, jetzt eine jahrhundertealte Technik aus der Schifffahrt zu digitalisieren, hätte sich womöglich nie ergeben, hätte Otto Klemke nicht einen Tipp bekommen von seinem Bruder Moritz, der ebenfalls Teilhaber der Firma ist.
„Er hat lange als nautischer Sachverständiger für große Schiffsklassen gearbeitet und war viel in Asien unterwegs“, sagt Klemke. „Von ihm erfuhr ich, dass die Branche um Jahre hinterher ist. Das meiste passiert noch auf Papier und oft wird Digitalisierung in Excel gelebt“. Aus eigenen Ersparnissen gründeten die Klemkes daraufhin die Nautiluslog GmbH und begannen vor zwei Jahren mit der Programmierung.
Inzwischen steht die App vor dem Markteintritt. In den Augen von Otto Klemke hat sie das Zeug, die größten Probleme in der Branche zu lösen. Dabei helfen sollen vor allem die in Smartphones verbauten Sensoren: Per GPS werden die Schiffe beispielsweise automatisch getrackt und wichtige Ereignisse im digitalen Logbuch erfasst.
Manche Daten wie ein Kurswechsel oder eine Wetterveränderung fließen direkt in die App ein, in anderen Fällen erinnert eine Push-Benachrichtigung an Vorkommnisse, die dokumentiert gehören. Das kann zum Beispiel der rechtzeitige Wechsel des Treibstoffs vor Erreichen einer Emissionskontrollzone (ECA) sein. Alle Daten werden in einer einzigen Datei abgespeichert und in der Cloud synchronisiert. So haben alle Besatzungsmitglieder auf ihrem Smartphone die aktuellen Logdaten zur Hand. Lästige Mehrfacherfassungen entfallen und zusätzliche Kosten werden gespart.
„Fortschritte erst Monate nach dem Erstgespräch“
Zwar würden laut Otto Klemke bereits diverse Datenerfassungssysteme wie Excel und Desktop-Apps in der Branche verwendet. Ein Ersatz für das Logbuch seien diese jedoch nicht. „Ein Problem bei vorhandenen Lösungen ist, dass Daten erst an Land ausgewertet werden können“, sagt Klemke. „Durch die beschränkte Konnektivität von Schiffen erfolgen Reaktionen auf Events dann deutlich verzögert. Unsere App kann überall auf vorhandenen Infrastrukturen und ohne großen Aufwand genutzt werden.“
Geld verdienen wollen die Klemkes wie viele junge Softwarefirmen mit einem Freemium-Modell. In der Grundausstattung ist die App kostenlos, Schiffsbetreiber können beispielsweise die integrierten Werkzeuge nutzen und Dokumentationen anfertigen. Wer hingegen einen Cloud-Zugang oder Berichte zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften benötigt, zahlt eine monatliche Gebühr.
Anders als in vielen anderen Branchen stößt Nautiluslog mit seiner Idee aber nicht sofort auf offene Türen. Bei den Reedern ist Interesse an digitalen Lösungen ist durch hohen Wettbewerbsdruck und zunehmende Dokumentationspflichten zwar vorhanden, doch mit dem Wandel tut sich die Branche schwer.
Vor allem die vielen Regulierungen bremsen Innovationen aus. Ohne Zertifikate und Genehmigungen läuft nichts, zudem müssen auch Prüfbehörden und Flaggenstaaten vom Nutzen einer neuen Technologie überzeugt werden. Nicht zuletzt sind Startups für viele Schiffsbetriebe buchstäblich noch Neuland. Das bekommen auch die Klemkes zu spüren. „Nicht selten ergeben sich konkrete nächste Schritte für eine Partnerschaft erst Monate nach einem Erstgespräch“, sagt Otto Klemke.
Neue Verordnung könnte den Durchbruch bringen
Den Durchbruch könnte nun aber ausgerechnet eine neue Verordnung bringen: die sogenannte Inventory of Hazzardous Materials – kurz: IHM. Sie verpflichtet Schiffseigner dazu, die Gefahrstoffe an Bord von neuen und bestehenden Schiffen zu dokumentieren. Spätestens bis 2020 muss das erledigt sein.
Nautiluslog hat seine App bereits mit einer entsprechenden Funktion ausgestattet. Anfang des Jahres wurde an Bord eines Containerschiffs auf der Fahrt von Hamburg nach Rotterdam eine erste Praxisprobe bestanden. „Das hat das Interesse eines großen Reeders und mehrerer internationaler Klassen geweckt“, sagt Klemke. Derzeit führe Nautiluslog konkrete Verhandlungen über Zertifizierungen und Preise. Gut möglich, dass bald weitere Schiffsbetriebe bei den Klemkes anrufen .
Potenzielle Kunden gibt es aus Sicht der Familienunternehmer jedenfalls genug. Weltweit seien mehr als 78.000 Schiffe mit einem Gewicht von 100 Gigatonnen unterwegs, die mit der App von Nautiluslog ausgestattet werden könnten. Bei einem Marktanteil von fünf Prozent und Einnahmen von 1.000 Euro pro Schiff und Jahr ergebe sich ein Marktpotenzial von 3,9 Millionen Euro, rechnet Klemke vor. Nach dem großen Millionengeschäft klingt das auf Anhieb nicht. Das Startup will sich deshalb nicht nur auf die absolute Zahl der Schiffskunden beschränken. „Wir wollen auch an alle Akteure und Dienstleister drumherum verkaufen“, erklärt Klemke. Das multipliziere das Marktpotenzial.
Erste Einnahmen will Nautiluslog noch dieses Jahr realisieren. Um die Zeit bis zur Profitabilität zu überbrücken, will Klemke aber externe Geldgeber an Bord holen. „Wir streben eine Finanzierung zwischen 500.000 Euro und einer Million Euro an“, sagt er. Mit dem Geld sollen weitere Entwickler angestellt und das Produkt ausgebaut werden.
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Seltsam, zumindest einer der drei Firmengründer kennt sich doch angeblich in Fragen der Nautik aus!? Dann sollte diese Person aber auch wissen, dass Redundanz auf Schiffen das oberste Gebot ist. Da gerade die elektronische Technik immer ausfallen kann (z.B durch Blitzschlag) ist es besonders wichtig, dass so viele der Vorgänge an Bord wie nur irgend möglich auch händisch erledigt werden können. Wenn ausgerechnet das besonders wichtige und nicht ganz einfache Feld der Navigation nicht mehr regelmässig geübt wird, kann das sehr schnell zu schwersten Unfällen führen. Man stelle sich nur einen Öltanker vor, der wegen eines Navigationsfehlers erst auf ein Riff auf- und anschliessend ausläuft. Im Übrigen ist es bereits seit geraumer Zeit ganz normal, dass die Navigation auf Schiffen über GPS dokumentiert (geloggt) wird, aber aus Gründen der Sicherheit (!) eben auch noch auf die althergebrachte Weise in die Seekarten eingetragen wird. Soviel zu Digitalisierung: Fehlanzeige. Dem Autor dieses Artikels ist dringend zu empfehlen sich erst einmal gründlich über die Materie zu informieren (als ersten Schritt empfehle ich die Triangulation seines momentanen Standorts) bevor er einfach mal seine Ansichten ‚raushaut‘. Setzen: 6!
Digitalisierung ist in vielen Bereichen sinnvoll, aber eben doch nicht die Lösung für Alles. Und Althergebrachtes ist nicht automatisch schlecht, nur weil es nicht mit dem Smartphone kommuniziert.