Toxische Positivität im Job: „Man darf auch mal was scheiße finden!“

Schaue immer auf die sonnigen Seiten des Lebens, heißt es in Monty Python’s „Life of Brian“. Dabei könnte die Situation, ans Kreuz genagelt und in der Wüste zurückgelassen zu werden, eigentlich gar nicht beschissener sein. Der Satz und die Szene gehören unweigerlich zusammen und hätte sie keinen satirischen Hintergrund, würde sie als Paradebeispiel für Toxic Positivity durchgehen.
So wie in dem Film geht es auch in vielen Unternehmen gerade zu – wenn auch komplett ernst gemeint: good vibes only in der Krise! Das fühlen aber nicht alle Beschäftigten. Dennoch bekommen ihre negativen Gefühle häufig keinen Raum.
Stimmung in der Krise: „Na, alles cool?“
Das macht sich an vielen Stellen bemerkbar: Wer im 1-on-1 mit einem saloppen „Alles cool?“ anstatt einem ehrlich gemeinten und offen formuliertem „Wie geht es dir?“ begrüßt wird, bekommt die Antwort ja fast schon untergejubelt: „Alles cool!“ Und wer auf Sorgen nur ein „Bleib locker!“ zu hören bekommt, wird sich schon bald mit dem Kummer allein gelassen fühlen. Dieser Optimismus wird dann zum Problem, wenn er dazu führt, dass Menschen ihre negativen Emotionen hinter vermeintlicher Resilienz verstecken. Dabei hat echte Resilienz überhaupt gar nichts damit zu tun, immer nur alles cool zu finden und locker zu sein.
Ganz im Gegenteil: Man darf auch mal was scheiße finden! In der Psychologie beschreibt Resilienz nämlich die Widerstandsfähigkeit eines Individuums, sich trotz ungünstiger Lebensumstände und kritischer Lebensereignisse positiv zu entwickeln. Die Betonung liegt hier jedoch auf „entwickeln“. Wir können nur an den Umständen wachsen, wenn wir uns bewusst mit den Auslösern und den Folgen der Herausforderungen auseinandersetzen, anstatt alles nur totzuschweigen und wegzulächeln. Ein ehrliches Auskotzen und Hoffnung für die Zukunft schließen sich nicht aus. Vielmehr gehört beides zusammen.
Das heißt natürlich nicht, in einer Negativspirale zu versacken. Toxische Negativität ist genauso hilfreich wie toxische Positivität – nämlich gar nicht. Aber der Weg hin zu einem „Alles cool“ darf neben den Höhen auch Tiefen haben. Wenn wir uns Resilienz als Muskel vorstellen, würde er nur so trainiert werden – durch Anspannung und Loslassen.
Empathische Führungskräfte sind insofern in der Krise auch gefragter denn je. Sorgen und Ängste im Team zu hören, sie anzunehmen und den Menschen im Unternehmen daraufhin Perspektiven aufzuzeigen, aus denen sie wieder Motivation schöpfen – das ist gute Führung.
Natürlich muss am Ende jede und jeder seinen gesunden Optimismus ein Stück weit auch selbst entwickeln. Oder anders gesagt: Niemand durchläuft für einen die Höhen und Tiefen – auch nicht die Chefin oder der Chef. Aber auch das gehört zur Entwicklung einer gesunden Resilienz: zu verstehen, wo der Mensch selbst wirken kann und wo die Verantwortung allein bei den Menschen um einen herum liegt.
Wichtig ist, offen darüber reden zu können, und deshalb ist es in Ordnung, das Good-vibes-only-Mantra hin und wieder auch mal zu überdenken. In der Krise könnte es lauten: „Honest vibes only, good vibes soonly“.