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Kommentar

Schluss mit den Vorurteilen: Das Informatik-Studium braucht weniger Nerds

Das Informatik-Studium hat ein Problem: Es kann seinen Vorurteilen nicht entkommen. Die Disziplin muss ihren nerdigen Ruf ablegen und attraktiver für vielfältige Studenten werden, sagt Moritz Stückler.

Von Moritz Stückler
4 Min.
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Ein Hörsaal der HAW Hamburg auf dem Campus Finkenau. (Quelle: searchstudies.org)

Wer heute ein Informatik-Studium beginnt, wird in der Einführungswoche mit ziemlich großer Sicherheit irgendwann in Gespräche über League of Legends, Linux-Distributionen oder Grabenkämpfe zwischen Macbook, Thinkpad und Surface verwickelt werden. Ich spreche aus Erfahrung, denn vor dreieinhalb Jahren ging es mir genau so. Während der ersten Woche zweifelte ich ernsthaft daran, ob ein Informatik-Studium tatsächlich das Richtige für mich ist. Klar war ich computeraffin, aber das war für mich eben nur eines von vielen Hobbys. Ich bin kein Zocker, wähle meine Betriebssysteme eher nach pragmatischen Gründen, und wegen Mathe bin ich in der Schule einmal durchgefallen.

Wegen Mathe bin ich in der Schule durchgefallen – jetzt studiere ich Informatik

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Heute habe ich keine Zweifel mehr daran, dass meine Entscheidung für das Informatik-Studium goldrichtig war. Was ich beim Rückblick auf die vergangenen Semester aber leider resümieren muss: Der Informatik-Disziplin fehlt es an Vielfalt. Und es tut mir fast weh, dass viele Klischees rund um diesen Studiengang, der mir so ans Herz gewachsen ist, immer noch häufig zutreffen. Das bestätigt auch eine neue Studie des Statistischen Bundesamts: Die Zahl der Informatik-Erstsemester ist rückläufig. Etwa 4,1 Prozent weniger Informatik-Studienanfänger haben sich für das aktuelle Wintersemester 2017/2018 in Deutschland eingeschrieben. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass der Rückgang bei den Frauen mit 8,8 Prozent noch deutlicher ausfällt.

Die meisten Kommilitonen sind Informatiker aus voller Überzeugung – Nerds. Spätestens seit der Oberstufe war den meisten klar, was sie werden wollen. Viele sind mit Informatik aufgewachsen und haben schon als Kinder und Teenager programmiert. Die größte verbliebene Unsicherheit im Lebenslauf war nur, welche Teildisziplin der Informatik sie verfolgen möchten (an meiner Hochschule sind das Angewandte Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Technische Informatik).

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Es fehlen Studenten links und rechts des Informatiker-Klischees

Diese Kommilitonen sind extrem intelligente und gute Informatiker. Ich würde die meisten davon ohne zu Zögern einstellen, und niemand sollte sich davon abhalten lassen, sein Informatik-Hobby auch akademisch zu verfolgen. Aber was der akademischen Disziplin definitiv fehlt, sind zusätzliche Studenten links und rechts der Informatiker-Klischees. Menschen, die vielleicht erst später ihr Interesse für die Disziplin entdeckt haben. Menschen, die nicht direkt vom Gymnasium kommen, und deren Lieblingsfächer nicht unbedingt Mathe und Physik waren. Menschen, die Umwege genommen haben oder vorher einen anderen Beruf hatten. Menschen, für die Informatik kein Selbstzweck ist, sondern Mittel zum Zweck.

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Der Informatik mangelt es nicht an Entwicklern, die einen Sortier-Algorithmus korrekt implementieren können. Es mangelt an Leuten, die mit diesem Algorithmus etwas Bedeutendes anstellen. Leute, die mit diesem Wissen Firmen und Initiativen gründen, Produkte bauen und damit andere Industrien und Bereiche verändern und die ihr Wissen auch wieder an andere weitergeben.

Denn wenn Informatiker unter sich bleiben, kommt es zu einem im Internet bekannten Phänomen, dem sogenannten Circle Jerk (in den Medien gerne auch Echo Chamber genannt). Gleichgesinnte unterhalten sich über die neuesten Frameworks und streiten über den besten Window Manager, machen sich aber wenig Gedanken über Themen außerhalb ihres Fachgebiets oder die Rolle der Informatik in unserer Gesellschaft – das sprichwörtliche „Herauszoomen“ aus der Thematik fehlt.

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Denn gerade das Stichwort Digitalisierung fällt momentan im Kontext der Bundestagswahl und der Koalitionsverhandlungen häufiger als sonst. Trotzdem sind Informatiker bei der Gestaltung unserer gesellschaftlichen und politischen Zukunft vollkommen unterrepräsentiert. Im Deutschen Bundestag saßen in den letzten Wahlperioden zwischen zwei und vier Informatiker (im Gegensatz zu etwa 150 Juristen). Das ist beschämend für ein Land, das den Anspruch hat, bei der Digitalisierung global vorne mitspielen zu wollen.

Was können wir gegen die Homogenität der Informatik-Studenten unternehmen? Wie schaffen wir mehr Vielfalt in diesem Beruf?

Das Problem ist natürlich größer, als dass es nur die Universitäten beträfe. Im Gegenteil: Die Universitäten können zur Lösung nur erschreckend wenig beitragen (hauptsächlich Lehrpläne aktuell halten, gutes Personal einstellen und gutes Marketing betreiben). Das Problem beginnt in der Erziehung und dem Bildungssystem im frühesten Stadium. Kinder müssen viel früher mit Informatik in Kontakt gebracht werden, und zwar nicht nur als passive Konsumenten, sondern als aktive Gestalter. Denn allein ein iPad im Klassenzimmer löst noch keine Probleme. Ebenso wenig braucht jedes zehnjährige Kind schon ein Smartphone. Zeigt den Kindern und Jugendlichen nicht, wie sie im Zehn-Fingersystem schreiben oder einen Geschäftsbrief in Word aufsetzen. Zeigt ihnen, wie man LEDs zum Leuchten bringt, wie man Stimmen verzerrt, wie man Roboter fahren lässt und wie man die Gaskonzentration und die Lautstärke eines Furzes messen kann.

Der Calliope Mini ist ein kleiner Computer, mit dem Kinder programmieren lernen können. (Quelle: calliope.cc)

Kein Studiengang wie jeder andere. Informatik ist ein Fundament für viele Bereiche

Das Studiensystem suggeriert, Informatik ist ein Studiengang wie jeder andere. Tatsächlich ist Informatik heutzutage aber auch ein essenzieller Bestandteil vieler anderer akademischer Disziplinen. BWLer schreiben Matlab-Scripte, Lehramts-Studenten müssen ihre Inhalte mit digitalen Werkzeugen vermitteln, Maschinenbauer programmieren CAD-Plugins und Journalisten müssen Webdesign können. Die Informatik ist keine Nische, sondern das neue Fundament unserer Gesellschaft. Das sollte sich auch in der Studierendenschaft widerspiegeln. Ein Informatik-Grundstudium mit einer fachlichen Spezialisierung, zum Beispiel im Master oder durch Qualifikationen außerhalb der Universität ist – zu Recht – eine gefragte Kombination auf dem Arbeitsmarkt.

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Nur wenn wir es schaffen, dieses Thema für junge Leute aller Geschlechter attraktiv zu machen, wird sich langfristig die Vielfalt an den Universitäten und Fachhochschulen verbessern. Informatik muss für coole und erstrebenswerte Karriereaussichten stehen – in jeder denkbaren Branche. Bis dahin wird der Circle Jerk weitergehen.

Am Ende also ein persönlicher Appell an alle Menschen, die zweifeln und die sich unsicher sind, ob sie in diesem Fach glücklich werden können: Tut es! Studiert Informatik! Wir brauchen euch.

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marvin_stk

Sehr guter Artikel, du sprichst mir aus der Seele!

Ich selber habe meinen Bachelor in BWL gemacht.
Und erst danach gemerkt, welches schöpferische Potenzial in der Informatik steckt(Start-up Szene, Digitalisierung, etc.), und wieviel spaß es macht dieses auszuschöpfen. Ich musste aber auch erst von meinem alten Chef in das kalte Wasser geschubst werden da ich einfach immer davon ausgegangen sei, Informatik sei eh zu schwer und zu kompliziert selber zu lernen. Mein damaliger Chef legte mir dann ein C# Buch vor. Damit habe ich angefangen. Und es hat mir spaß gemacht. So viel, dass ich ein paar Monate später den Job hinschmiss und als Quereinsteiger einen Master in Wirtschaftsinformatik anfing.

Was ich mit meiner kleinen persönlichen Geschichte sagen will ist, dass man es irgendwie schaffen muss die Eintrittsbarrieren der Informatik zu verringern. Vielleicht auch nicht unbedingt nur in der Schule sondern auch in der Freizeit. Die Informatik muss einfach ein ganzes stück weiter in den „Mainstream“ unserer Gesellschaft rücken. Den Leuten muss bewusst werden, dass die Informatik so zentral ist, wie die Wirtschaft selbst.

Die Frage ist nur, wie man dies schaffen könnte?

Müssen vielleicht die Informatiker selbst auch einmal hinter ihren Rechnern hervorkommen und in der Öffentlichkeit mehr dafür einstehen, was sie alles leisten? Und was für grandiose mehrwerte sie für die Welt produzieren.

Antworten
Moritz Stückler

Danke für das Feedback. Stimme zu. Es liegt auch an uns (den Informatikern), öfter zu zeigen, wie toll unsere Disziplin ist. Das passiert in meinen Augen leider viel zu selten.

Antworten
Proggerdude

Informatik ist kein guter Studiengang. Keine Arbeit auf dem Markt der vollkommen übersettigt ist. Selbst mit 1er durchschnitt wird man mit einem Studium keine Stelle im IT-Bereich finden, schon gar nicht in der programmierung. Da gibt es Leute wie sand am Meer.

Informatik zu studieren lohnt sich nicht, es sei denn man kann mit 980€ Brutto im Monat leben.

Proggerdude

„Eintrittsbarrieren der Informatik zu verringern“ – Hallo gehts noch??? Es gibt so schon keine Arbeit in der Branche. Noch mehr Leute für noch niedrigere Löhne oder was willst du? Bald verdienen Informatiker 5€ die Stunde im Schnitt. Dank Leuten wie dir, die nicht mal merken, wenn sie mit dem Stiefel ins Gesicht getreten werden. „Oh, hat mich da gerade was gejuckt?“

Antworten
Absolvent

„Informatik ist kein guter Studiengang. Keine Arbeit auf dem Markt der vollkommen übersettigt ist. Selbst mit 1er durchschnitt wird man mit einem Studium keine Stelle im IT-Bereich finden, schon gar nicht in der programmierung. Da gibt es Leute wie sand am Meer.

Informatik zu studieren lohnt sich nicht, es sei denn man kann mit 980€ Brutto im Monat leben.“

Mein Gott, habe ich bei deinen Kommentaren gut gelacht. Ich weiß ja nicht, in welchem Loch du lebst, aber ich erlebe genau das Gegenteil von dem, was du hier schreibst. Ich hatte im Studium ja nicht mal einen allzuguten, sondern leider nur einen durchschnittlichen Schnitt (Praxisfächer/Projektfächer waren sehr gut, theorielastiges Zeug leider nur so lala) und habe trotzdem innerhalb von nicht mal einem Monat einen gut bezahlten Job gefunden. Und ich habe bei meinen 10 Bewerbungen KEINE EINZIGE ABSAGE bekommen.

Meine Erfahrung ist, dass die Firmen HÄNDERINGEND Informatiker suchen und Absolventen, die durch ehem. Praktika und Werkstudentenjobs (Noten haben bei mir außer in einem Fall sonst NIE eine Rolle gespielt) ein gewisses Know-How mit sich bringen, wie ein Schwamm aufgesaugt werden.

Also wenn du das, was du kommentiert hast, auch tatsächlich so erlebt hast, dann machst du gewaltig etwas falsch. :D

MMÜ

Das Informatik-Studium an der Universität dient in erster Linie dazu Wissenschaftler zu generieren. Es ist nicht das Ziel und der Zweck des Studiums, grossartige Produkt-Entwickler hervor zu bringen. Es geht darum Menschen zu befähigen wissenschaftlich zu arbeiten.

Ich bin der Meinung dass es noch wesentlich mehr Nerds geben sollte! Die sich für technisches Detailwissen begeistern können bzw. abstrakte Theoretische-Modelle und Algorithmen ergründen können und auch durchdringen. Es fehlt der Gesellschaft an sich einfach an technischem Verständnis bzw. dem Willen abstrakte Sachverhalte zu durchdringen. Dies sollte man schon von der Grundschule an fördern. Weil nur dass was man nicht versteht, als schwierig angesehen wird.

Die Informatiker links und rechts der Mitte gibt es nämlich schon zahlreich. Die sogenannten „Bindestrich“-Informatiker. Medien-Informatik, Wirtschafts-Informatik, Naturwissenschaftliche-Informatik und weitere. Ich kann aber auch nur etwas grossartiges entwickeln wenn ich verstanden habe wie es funktioniert und dafür brauche ich fundiertes Wissen in Mathe und viel technisches Verständnis.

Das Problem ist dass dies für viele eine grosse Hürde ist. Aus meinem Umfeld weiss ich dass viele die z.B. in einer Theorie lastigen Vorlesung durch eine Prüfung fallen in die Wirtschafts-Informatik wechseln, weil dort das Niveau generell etwas niedriger ist bzw. dort die Prüfung nicht zwingend ist (Bei uns an der Uni war dies so, was natürlich keinen generellen Rückschluss zulässt.). Dort wird dann weniger Mathe und weniger technisches Verständnis abverlangt.

Zitat:“Und es tut mir fast weh, dass viele Klischees rund um diesen Studiengang, der mir so ans Herz gewachsen ist, immer noch häufig zutreffen. Das bestätigt auch eine..“

Diese Aussage halte ich für groben Unfug. Die Studie bestätigt nämlich nicht, dass die Klischees zutreffen, sondern lediglich dass die Zahl der Studienanfänger zurückgegangen ist. Bei mir im Studium war es nämlich so dass genau eben die Personen die das Klischee erfüllt haben in den ersten Semestern aus gesiebt wurden.

Antworten
CJP

Klischees hin oder her, ich kann nur jedem Informatik Anfänger empfehlen sich zu Beginn selbst ein Bild zu machen und ernsthaft zu bedenken dass man es dann später im Berufsleben überwiegend mit dem gleichen menschlichen Umfeld zu tun haben wird.
Neben dem Fachlichen sollte man nämlich auch mit dem Menschlichen was anfangen können und sich hier wiederfinden.
Das gilt aber denke ich für alle Studiengänge.

Antworten

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