Neuartige Prothese wird durch Magneten gesteuert
Moderne Prothesen funktionieren meist myoelektrisch: Elektroden erfassen die Muskelaktivität am Stumpf der amputierten Gliedmaßen und wandeln die Impulse in elektrische Signale um. Diese wiederum aktivieren die Motoren der Prothese, um dadurch unter anderem Greifbewegungen durchführen zu können. Forscherinnen und Forscher der Scuola Superiore Sant’Anna in Pisa haben jetzt eine alternative Technologie entwickelt: eine myokinetische Prothese, die mithilfe von Magneten gesteuert wird.
Die neuartige Prothese wurde sechs Wochen lang an einem 34-jährigen Patienten erfolgreich getestet, der vor zwei Jahren seine linke Hand verloren hatte. Sie sei das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung, sagt Christian Cipriani. Leiter des BioRobotics Institute in Pisa. Es handele sich um eine völlig neue Art der Steuerung der Bewegungen einer Roboterhand, und man sei „bereit, diese Ergebnisse auf ein breiteres Spektrum von Amputationen auszuweiten.“ Die von unabhängigen Expertinnen und Experten geprüfte Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science Robotics erschienen.
Die myokinetische Prothese ist besonders, da sie keine Drähte und keine direkte elektrische Verbindung zwischen den Muskeln und der Prothese benötigt, wodurch es weniger aufwendiger Operationen bedarf. Sie funktioniert stattdessen durch Magneten, die direkt in die Muskeln implantiert werden. Aktiviert der Patient die Muskeln am Stumpf seiner amputierten Hand, bewegen sich die Magneten und verändern dadurch das Magnetfeld. Die Prothese interpretiert diese Veränderungen und wandelt sie anschließend in Bewegungen um – im besten Fall in jene, die der Patient auch beabsichtigt.
Steuerung durch die Interpretation von Magnetfeldern
Insgesamt sechs Magneten in der Größe von jeweils zwei Millimetern wurden für die Studie im Arm des Patienten angebracht. Das Team musste dafür exakt die Muskeln im Stumpf lokalisieren und isolieren, die für die späteren Bewegungen der Finger in der Prothese verantwortlich waren. Dazu nutzten die Forscher eine Mischung aus MRT-Aufnahmen und Elektromyographie, mit der sich die elektrische Aktivität in ausgewählten Muskeln messen lässt.
Anschließend mussten die Magnetfelder für verschiedene Bewegungen analysiert und interpretiert werden. Das geschah durch insgesamt 140 Sensoren, die mit dem Rest der benötigten Elektronik im Schaft der Prothese stecken, der den Stumpf mit der Prothese verbindet. Nach einer Lernphase war der Algorithmus in der Lage, Muster in den Magnetfeldern zu erkennen und diese mit gezielten Bewegungen, etwa einer Greifbewegung der gesamten Hand oder dem Zusammendrücken von Daumen und Zeigefinger, zu korrelieren.
„In nur sechs Wochen absolvierte der Teilnehmer erfolgreich eine Reihe von Funktionstests und erzielte dabei ähnliche Ergebnisse wie bei der Verwendung von myoelektrischen Steuerungen, bei vergleichbarer körperlicher und geistiger Belastung“, heißt es in der Studie.
Schraubgläser, Reißverschlüsse – mit der Prothese kein Problem
Konkret konnte der Patient mit der Prothese, die vom mit dem Forscherteam eng verbundenen Spinoff Prensilia entwickelt wurde, Gegenstände unterschiedlicher Form aufheben und bewegen, Schraubgläser öffnen, Reißverschlüsse öffnen und schließen und sogar einen Schraubenzieher benutzen – „es fühlt sich an, als würde ich meine eigene Hand bewegen“, wird der Patient zitiert.
Obwohl nicht alles perfekt lief – die Forschenden weisen etwa auf die nicht ganz optimale Platzierung der Magnete im Muskel sowie einige unerwünschte Interaktionen bei der Bewegung des Ellenbogens hin – ist das Team um Christian Cipriani mit der Technologie zufrieden. Die myokinetische Schnittstelle habe nicht nur das Potenzial, eine weniger invasive Alternative zu bisherigen Prothesen zu sein. Sie könne auch neue Erkenntnisse in der Forschung von Phantomschmerzen in amputierten Gliedmaßen liefern.