Tausende Koma-Patient:innen könnten bei Bewusstsein sein, aber wir ignorieren sie, sagen Neurowissenschaftler:innen laut einem aktuellen Bericht der BBC. Der Neuro-Spezialist Adrian Owen berichtet von einem Fall einer Wachkoma-Patientin, deren Kortex nach entsprechenden Aufforderungen eindeutige Reaktionen aufwies. Der Arzt diagnostiziert bei ihr ein Bewusstsein, obwohl die Frau fünf Monate lang keine Reaktionen zeigte. Bei einem anderen Fall konnte ein Wachkomapatient, der sich seit zwölf Jahren im vegetativen Zustand befindet, Fragen über Hirnimpulse mit „Ja“ und „Nein“ beantworten. Eine flankierende Untersuchung kommt zu dem Schluss, dass zwischen 20 und 25 Prozent der Patient:innen bei Bewusstsein und klarem Verstand sind. Das Problem: Viele von ihnen wurden bereits abgeschrieben und „eingelagert“. Owen spricht von „Warehousing“.
Der Fall Carol: Tennisspielen im Kortex
Ein unbedachter Moment und die Patientin namens Carol wurde 2005 beim Überqueren einer Straße von zwei Autos angefahren. Sie erlitt eine schwere Hirnverletzung, die sie in einen vegetativen Zustand versetzte. Die Ärzte legten sie in einen fMRT-Scanner. Mit dem funktionellen Magnetresonanztomografen kann man aktive Hirnregionen von inaktiven unterscheiden: Aktive Areale „leuchten.“ Die Patientin erhielt die Anweisung, sich vorzustellen, dass sie wie bei einem Tennis-Match mit den Armen herumfuchtelt. In der Folge leuchtete bei ihr der prämotorische Kortex auf. Dieser Bereich wurde genauso stark aktiviert wie bei gesunden Menschen, die sich diese Bewegung vorstellen sollen. Sie musste die Anweisung also nicht nur verstanden haben, sondern auch zu einer adäquaten Reaktion fähig gewesen sein.
Der Fall Scott: Frage und Antwort über Hirnmuster
Noch weiter ging die Kommunikation mit Scott. Er lag seit zwölf Jahren im Wachkoma und konnte über das fMRT sogar Fragen beantworten. Er aktivierte bestimmte Hirnareale für ein „Ja“ und andere für ein „Nein“. So teilte er den Ärzten mit, dass er wusste, wo er war, wie lange er dort lag und dass er keine Schmerzen hatte. Zudem konnte er kommunizieren, was er gerne im Fernsehen sieht.
Ein Viertel ist bei klarem Verstand und vollem Bewusstsein
Rund 1.000 Patient:innen wurden mit der Hirnbildtechnik gescannt und eine Studie kam zu dem Schluss, dass zwischen 20 und 25 Prozent bei Bewusstsein und klarem Verstand sind. Allerdings sind sie gefangen in unbeweglichen Körpern und können daher auf Ansprache nicht sichtbar reagieren. Sie hören jedoch jedes Gespräch und jede Diagnose-Diskussion mit, die an ihrem Bett geführt werden. Statt neue Technologien entsprechend einzusetzen, schrauben die betreffenden Organisationen die Mittel herunter. So schreiben die britischen Leitlinien für die Behandlung solcher Patient:innen seit letztem Jahr vor, dass Langzeit-Patient:innen mit „Bewusstseinstörungen“ keine weitere bildgebende Diagnostik erhalten. Darunter fällt auch der Einsatz von fMRT. Stattdessen lagere man die Wachkomatösen ein, so Owen.
Ohne Chance zur Kommunikation eingelagert
Ohne den Einsatz der Scans würden hirngeschädigte Patient:innen auf der ganzen Welt der Chance beraubt, sich mit ihrer Außenwelt auszutauschen, so Owen. Möglicherweise könnten sie mit dem klinischen Team und ihren Angehörigen kommunizieren und zu Entscheidungen über lebenserhaltende Behandlung, Rehabilitation und andere Maßnahmen beitragen. Doch man lasse diese Menschen im Stich, obwohl Technologien vorhanden seien, die ihnen eine Stimme geben könnten. Der Autor schreibt: „Es ist höchste Zeit, dass wir ihnen den Zugang zu diesen Technologien ermöglichen, damit sie wieder ihren Platz unter uns im Land der Lebenden einnehmen können.“