Wenn es um das Gehalt geht: Was ist da eigentlich fair? Wenn alle das gleiche Geld verdienen? Wenn nach Betriebszugehörigkeit oder Berufserfahrung gezahlt wird? Nach Abschluss oder Position? Rein nach Leistung? Oder wenn ein Teammitglied besser verhandelt als andere Kolleginnen und Kollegen? Ist alles gleich wichtig? Wer entscheidet am Ende darüber, was wichtig ist?
Über Geld spricht man in Deutschland bekanntlich nicht – das macht Themen rundum das Gehalt für die meisten Menschen undurchsichtig. Das Startup Celebrate Company möchte nicht nur mehr Licht ins Dunkel bringen, sondern auch die Belegschaft stärker in die Pflicht nehmen, wenn es darum geht, die Leistung der Kolleginnen und Kollegen zu bewerten und damit den Grundstein für das Gehalt zu legen.
Wir haben den Co-CEO des Unternehmens, Steffen Behn, gefragt, wie so ein System aussehen kann, das Teammitglieder mitentscheiden lässt, was andere im Unternehmen verdienen. Ein Problem darin sieht er nicht. Im t3n-Interview erklärt der Co-Gründer, warum die Herangehensweise am Ende viel fairer sei.
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New Pay im Startup: „Wir haben uns genau überlegt, ob wir eine Gehaltstransparenz einführen“
t3n: Ihr habt ein Gehaltssystem entwickelt, das Verhandlungen ausschließt. Das klingt nach Besoldungssystem im öffentlichen Dienst – kann man das damit vergleichen?
Steffen Behn: Nein, ganz und gar nicht. Denn bei uns ist es zum Beispiel so, dass der Faktor Berufserfahrung per se keine Rolle spielt, sondern einzig und allein die Kompetenz. Natürlich hat in der Regel eine Person mit zehn Jahren Berufserfahrung mehr Kompetenz als jemand mit einem Jahr. Falls wir aber feststellen würden, dass dem nicht so ist, würden sie dasselbe verdienen. Vor dem Hintergrund kann es schon mal sein, dass eine Person, die deutlich jünger ist, ähnlich viel oder sogar mehr verdient als eine Person mit 20 Jahren Berufserfahrung. Und das finde ich auch gerecht, weil Leistung bezahlt werden soll. Gleichzeitig möchte ich betonen: Nur weil etwas in Summe nicht gut ist, kann es trotzdem gute Bestandteile haben. Das Besoldungssystem im öffentlichen Dienst bietet beispielsweise Klarheit und Verfahrenstransparenz, das sind meiner Meinung zwei sehr gute Elemente, die auch in unserem Gehaltsmodell vorkommen.
t3n: Wie genau sieht dieses Gehaltsmodell aus?
Grundlage unseres Gehaltsmodells sind neun Kompetenzlevel, die jede Mitarbeiterin beziehungsweise jeder Mitarbeiter erreichen kann. Diese Kompetenzlevel sind wiederum mit einer Gehaltskurve verknüpft, die anhand von Marktdaten entwickelt wurde, damit wir kompetitive Gehälter zahlen können. Daraus ergibt sich eine exponentielle Kurve. Diese eindeutige Gehaltskurve ist auf der x-Achse mit den Kompetenzleveln und auf der y-Achse mit einem spezifischen Gehalt verbunden. Grundlage der Kompetenzlevel ist das Peer-Feedback. Wir haben in der Vergangenheit bereits sehr gute Erfahrung mit 360-Grad-Growth-Feedback gesammelt, weshalb wir diese Form des Feedbacks auch für den Gehaltsprozess nutzen wollten.
t3n: Was heißt das konkret?
Kolleginnen und Kollegen ordnen die zu bewertende Person anhand von insgesamt drei Fragen einem Kompetenzlevel zu. Das machen in Summe acht Kolleginnen und Kollegen für das jeweilige Teammitglied. Wir errechnen daraufhin das neue Kompetenzlevel, diskutieren in einem Gehaltscouncil über das mathematische Ergebnis, vergleichen das mit der Selbsteinschätzung der Person und teilen der Person dann ihr neues Gehalt mit.
t3n: Wie fair bewerten Kollegen ihre Kollegen dann tatsächlich? Öffnet dieses Bewertungssystem nicht Tür und Tor für Zwist im Team?
Das ist die Frage, die uns immer direkt als erstes gestellt wird. Aus unserer Erfahrung kann ich sagen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Alle Personen sind daran interessiert, eine möglichst faire Bewertung abzugeben. Auch deshalb, weil sie ja wissen, dass sie ebenfalls bewertet werden. Und falls wir merken, dass sich die Kolleginnen beziehungsweise Kollegen nicht einig sind, etwa wenn eine hohe Standardabweichung in den Daten ersichtlich wird, können wir ebenso genauer hinschauen. Das kann dann an ganz unterschiedlichen Dingen liegen, die es aber in jedem Fall wert sind, beobachtet zu werden. Genau aus diesem Grund sollen ja möglichst viele an dem Feedback beteiligt werden – um Ausreißer sowie blinde Flecken zu vermeiden.
t3n: Wie häufig kam es bereits zu Abweichungen?
Zunächst einmal ist die Entscheidung für das Zulassen von Abweichungen etwas Positives, weil wir so bessere Entscheidungen treffen. Insgesamt gibt es bei weniger als 30 Prozent der Fälle Diskussionen und bei weniger als zehn Prozent der Fälle signifikante Abweichungen. Diese Abweichungen entscheiden wir jedoch sehr bewusst und in einer diversen Gruppe.
t3n: Warum habt ihr überhaupt entschieden, so ein System einzufügen?
Wir haben gemerkt, dass mit der crossfunktionalen Arbeitsweise ein gewisser Informationsverlust für die direkten Vorgesetzten einhergeht, weil disziplinarische Vorgesetzte nicht mehr im selben Team sind. Weil ich im Zweifel gar nicht mehr am besten weiß, wie gut Person A oder B ihre beziehungsweise seine Aufgabe erledigt. Das können die Teammitglieder in der Regel viel besser einschätzen. Während der Auseinandersetzung mit dem Thema ist uns dann aufgefallen, dass außerdem im Zweifel die Person mehr Gehalt bekommt, die besser verhandelt oder öfter nachfragt. Und das sind leider eher die Männer als die Frauen. Das Verhandlungsgeschick soll nicht über die Höhe des Gehalts entscheiden, deshalb haben wir dieses System entwickelt. Denn es kann so durchaus passieren, dass Gehälter auch automatisch angepasst werden, weil sich die Gehälter im Markt drastisch erhöht haben. Und das ist auch schon ein paar Mal der Fall gewesen.
t3n: Gab es Vorbilder für das System?
Nein, nicht direkt. Wir haben gleichzeitig viele befreundete Unternehmen befragt, wie sie aktuell mit dem Thema Gehalt umgehen, und aus diesen Antworten unheimlich viel gelernt. Das Modell, das wir letztlich entwickelt haben, ist aber ein sehr individuelles. Und es baut auf unserem unbedingten Willen auf, eine Arbeitswelt zu bauen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Wenn wir über New Work sprechen, muss man zwangsläufig auch über New Pay sprechen.
t3n: In der Debatte um New Pay wird oft gefordert, Gehälter in der Arbeitswelt komplett transparent zu machen.
Wir haben uns genau überlegt, ob wir eine Gehaltstransparenz einführen oder nicht. Und haben uns dann ganz bewusst dagegen entschieden und stattdessen eine Verfahrenstransparenz eingeführt. Jedes Teammitglied weiß, wie sich die Höhe seines Gehalts zusammensetzt, und noch viel wichtiger, warum – also was die konkreten Gründe und Faktoren sind, die zu der Höhe des Gehalts führen.
t3n: Aber was waren die Gründe gegen eine komplette Gehaltstransparenz?
Gegen die komplette Gehaltstransparenz haben wir uns aus mehreren Gründen entschieden. Zum einen, weil wir das Team gefragt haben und es dort sehr viele Ängste und Sorgen in Bezug auf das Thema gab. Zum anderen, weil auch die Forschung zeigt, dass die daraus resultierenden sozialen Vergleiche eher einen negativen Einfluss auf die Mitarbeitenden haben. Was viel wichtiger ist: dass die Mitarbeitenden wissen, wieso sie welches Gehalt bekommen.
t3n: Würde das Team sich die Offenlegung wünschen, würdet ihr es möglich machen?
Das ist eine spannende Frage. Grundsätzlich würde ich auf jeden Fall „ja“ sagen. Es gibt jedoch zwei Gedanken, die ich berücksichtigen würde: Wir müssten uns inhaltlich noch einmal stärker mit dem Thema Verteilungstransparenz und den möglichen – auch negativen – Konsequenzen auseinandersetzen. Für Einzelne mag eine komplette Transparenz sinnvoll sein, sie kann sich mitunter aber dennoch negativ auf das Gruppengefüge auswirken. Und für uns als Organisation stehen die Interessen der Gruppe letztlich über denen der einzelnen Personen. Wir leben in keiner Basisdemokratie. Was mich wiederum zum zweiten Punkt bringt: Es sollte bei so einem Thema nie einen Mehrheitsentscheid geben. Wenn jetzt 70 Prozent des Teams eine Offenlegung wünschen, was machen wir dann mit den anderen 30 Prozent? Ihnen eine Transparenz ihres Gehaltes vorschreiben? Da gibt es meiner Meinung nach bessere Ansätze.
t3n: Zum Beispiel?
Ich finde beispielsweise die Schaffung einer Opt-in-Gruppe, in der Transparenz besteht, deutlich besser. Jede Mitarbeiterin beziehungsweise jeder Mitarbeiter hat die Wahl, dieser Gruppe beizutreten. Einmal drin, liegt das eigene Gehalt offen für alle Gruppenteilnehmenden.
t3n: Wie offen geht ihr in Stellenausschreibungen damit um? Wissen Bewerbende bereits vorab um euer Gehaltssystem?
Wir betrachten das Thema in jedem Fall als eine Reise. Und ja, wir beginnen jetzt, die Gehälter in Stellenausschreibungen transparent zu machen. Wir wissen immer sehr genau, für welches Kompetenzlevel wir eine Stelle suchen. Dann ist es nur eine Frage der Transparenz für Kandidatinnen und Kandidaten, diese Kompetenzlevel auch bei der Frage des Gehalts in einer Stellenausschreibung zu beziffern. Am Ende hat das ja auch einen enormen Vorteil für die Conversion-Rate auf die Anzeigen, wie erste Daten zeigen.
t3n: Was heißt das konkret: Wie hat sich die Bewerbenden-Quote dadurch verändert?
Dazu können wir konkret für uns noch nichts sagen, da wir erst starten. Basierend auf aktuellen Zahlen aus den USA gehen wir jedoch davon aus, dass das einen erheblichen Einfluss auf die Conversion-Rate haben wird. So geben 65 Prozent der Befragten einer Paycheck-Erhebung an, dass ihnen spezifische Informationen zur Gehaltsspanne in Stellenausschreibungen fehlen und dass das für sie eine Red Flag darstellt.
t3n: Haben New Work und New Pay eine unternehmerische Auswirkung?
Ja, definitiv. New Pay zum Beispiel bedeutet für mich Fairness. Die richtigen Leute bekommen mehr Geld und werden damit auch gehalten. Wir zahlen fair zum Markt und fair zu ihrer Leistung. New Work wiederum zahlt darauf ein, dass Leute wertstiftend arbeiten können und nicht permanent kontrolliert werden, weil sie den nötigen Freiraum und das nötige Vertrauen haben. Die Folge ist, dass motivierte Menschen motiviert bleiben. Denn das ist ein Grundglaube bei uns: Menschen sind per se motiviert, zu arbeiten. Beides führt am Ende dazu, dass wir die besseren Talente halten und auch gewinnen können. Wenn wir die besseren Talente gewinnen und halten können, sind wir unweigerlich unternehmerisch erfolgreicher.
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