ÖPNV mit Pferd: So starteten die ersten Omnibusse vor 200 Jahren in Berlin

Als Bolle jüngst zu Pfingsten nach Pankow reiste, war er höchstwahrscheinlich in einem Kremser unterwegs. Dabei hatte der Kremser um das Jahr 1900, als das Berliner Volkslied vom rauflustigen Bolle entstand, seine besten Jahre längst hinter sich. Und wofür genau der Name stand, wusste ohnehin kaum noch jemand. „Kremserplatz? Kremserstraße? Kremser-Denkmal? Ham wa nich“, frotzelt die Berliner Zeitung.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 4/2025 von MIT Technology Review erschienen – in der Rubrik „Jubiläum“. Aufgrund des Stichtages veröffentlichen wir den Text an dieser Stelle frei lesbar. Seit dem 15. Mai könnt ihr hier das neue Heft bestellen.
Dabei war Simon Kremser (1775 – 1851) einst so etwas wie ein Held. Als junger Fuhrunternehmer soll er die preußische Kriegskasse mehrfach vor Napoleons Truppen gerettet haben. Doch in Erinnerung blieb sein Name vor allem deshalb, weil er den Berlinern eine Ausflucht aus der überfüllten Stadt ermöglichte. Sonntagsausflüge waren Anfang des 19. Jahrhunderts nur etwas für Menschen, die sich eine eigene Mietkutsche leisten konnten. Oder die leidensbereit genug waren, sich in eine Sammeldroschke zu quetschen, die erst losfuhr, wenn sie auch wirklich bis zum letzten Winkel besetzt war.
Der Anfang vom ÖPNV: Feste Zeiten, feste Preise, Nummer für Kutscher und Wagen
Kremser erkannte darin eine Marktlücke – und bat die Regierung von Friedrich Wilhelm III. „untertänigst“ um die Erlaubnis, Pferdefuhrwerke für Lustfahrten zwischen dem Brandenburger Tor und Charlottenburg aufstellen zu dürfen. Er bekam die Genehmigung unter folgenden Auflagen: Feste Abfahrtszeiten von festen Punkten zu festen Preisen; durchgehende Fahrt bis zum Ziel; Nummerierung von Kutscher und Wagen – und Benimmregeln für die Kutscher.
Am 20. Mai 1825 ging die Pferdelinie in das damals noch eigenständige Charlottenburg in Betrieb. Damit wurde Kremser zum Erfinder des ÖPNV in Berlin. Im Gegensatz zu den bis dato üblichen „Rippenbrechern“ waren seine Kutschen gefedert und hatten ein Verdeck. Sie boten 10 bis 20 Personen Platz, die sich auf seitlichen Bänken gegenübersaßen. Da die Wagen allen offen standen, zählten sie zu den ersten „Omnibussen“ (Latein: „an alle“) – auch, wenn sich der Begriff erst später etablieren sollte.
Kremser expandierte schnell, verschuldete sich aber ebenso schnell und schied schon zwei Jahre später aus dem Geschäft aus. Doch sein Name war da längst ein Gattungsbegriff für Pferdebusse: „Mit dem Kremser ins Jrüne“ wurde zum geflügelten Wort.
1835 folgten Linien nach Pankow und zu anderen Zielen. Die Wagen waren meist doppelstöckig und wurden von zwei Pferden gezogen. Zu jedem Fuhrwerk gehörten vier bis fünf Gespanne, die im Schnitt täglich je 26,5 Kilometer zurücklegten. Um den Pferden das anstrengende Anfahren zu ersparen, hielten es „rüstige Männer und Knaben für eine Ehrensache, im Fahren auf- und abzusteigen“, wie die Berliner Verkehrsseiten zu berichten wissen.
1865: Pferdeomnibusse bekommen Konkurrenz
Ab 1865 bekamen die Pferdeomnibusse Konkurrenz durch Pferdestraßenbahnen, die kraftsparend über eigene Schienen rollten. Die erste Linie verkehrte, wie schon Kremsers Fuhrwerke 40 Jahre zuvor, zwischen dem Brandenburger Tor und Charlottenburg. 1881 folgte die weltweit erste elektrische Straßenbahn im Vorort Lichterfelde.
Doch Berlin konnte seine Pionierrolle nicht lange halten. In den meisten deutschen Städten wurden die Pferdestraßenbahnen bereits vor dem Ersten Weltkrieg vollständig elektrifiziert, in Hannover sogar schon 1896. Dort kam ein sogenanntes „gemischtes“ (heute würde man sagen: „hybrides“) System zum Einsatz – eine Kombination aus Oberleitungen und Batterien. Die Berliner Behörden sorgten sich allerdings, die Wagen könnten auf den längeren Strecken der Hauptstadt „stecken bleiben und so ein nicht leicht zu beseitigendes Verkehrshindernis bilden“. Und so wurden in Berlin noch Jahrzehnte später Pferde eingespannt. Noch 1923, im letzten vollständigen Betriebsjahr, standen 159 Tiere im Dienst der Allgemeinen Berliner Omnibus AG.