Pille für den Mann rückt näher: Dieser Wirkstoff hemmt Spermienentwicklung bei Mäusen

Ein neuer Verhütungswirkstoff senkte bei Mausmännern die Zahl und Beweglichkeit ihrer Spermien. (Shutterstock)
Frauen können zwischen verschiedenen Verhütungsmitteln wählen, darunter vor allem die Anti-Baby-Pille. Auf die „Pille für den Mann“ muss man aber noch warten, wenngleich die Forschung weltweit auf Hochtouren läuft. Der Fokus liegt meist auf der Hemmung von verschiedenen Hormonen, die normalerweise für die Spermienbildung oder -reifung wichtig sind. Nicht-hormonelle Zielmoleküle gelten zwar auch als vielversprechend, weil ihre Hemmung potenziell weniger Nebenwirkungen hat. Allerdings sind sie schwieriger zu finden.
Forscher:innen vom Baylor College of Medicine in Houston sind dennoch fündig geworden. Sie haben sich eine innovative Methode zunutze gemacht, mit der sich Milliarden von Wirkstoffen gleichzeitig testen lassen. Dabei haben sie ein neues Hemmer-Molekül entdeckt, das als nicht-hormonelles Verhütungsmittel für Männer dienen könnte. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal Science.
Die CDD-2807 genannte Verbindung hemmte in Tierversuchen mit Mäusen ein Enzym, das sich in den Hoden anreichert und für die Spermienentwicklung unerlässlich ist. Serin/Threonin-Kinase 33 (STK33) heißt dieses Enzym. Fehlt diese STK33, entstehen ausschließlich funktionsunfähige Spermien mit schlechter Beweglichkeit. Das ist quer durch das Tierreich der Fall, denn STK33 ist, wie Biologen sagen, evolutionär konserviert – also bei Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Fischen sehr ähnlich aufgebaut und erfüllt dieselbe Funktion.
So hatte etwa bei früheren Mausversuchen das Abschalten (Knock-out) des STK33-Gens zu Unfruchtbarkeit geführt, weil nur abnormale Spermien gebildet wurden. Bei Männern wiederum führt eine Mutation im STK33-Gen zu Unfruchtbarkeit, verursacht durch die gleichen Spermiendefekte wie bei den STK33-Knockout-Mäusen.
Keine Nebenwirkungen beobachtet
Dabei wurden weder bei den Knockout-Mausböcken noch bei den menschlichen Probanden mit Mutationen physiologische oder anatomische Defekte beobachtet. „STK33 gilt daher als ein gut brauchbares Ziel mit minimalen Sicherheitsbedenken für die Empfängnisverhütung bei Männern“, sagt Martin Matzuk, Direktor des Center for Drug Discovery und Leiter der Abteilung für Pathologie und Immunologie bei Baylor.
Um die Suche nach einem gut passenden Hemmermolekül zu beschleunigen, setzte Matzuks Team auf ein Verfahren namens „DNA-Encoded Chemistry Technology (DEC-Tec)“. Dabei werden die Testverbindungen mit individuellen DNA-Abschnitten markiert, die als Barcodes fungieren. Nun kann eine extrem große Anzahl an potenziellen Wirkstoffen in Behälter mit immobilisierten STK33-Enzymen gegeben werden. Jene, die gut an das Enzym binden, werden beim anschließenden Spülvorgang nicht entfernt. Sie lassen sich anhand ihrer DNA-Barcodes identifizieren.
CDD-2807 ist der erste bekannte STK33-Hemmer, der spezifisch genug ist und nicht auch andere Moleküle hemmt. Das Team siebte es aus „unserer Sammlung von mehreren Milliarden Verbindungen“ heraus, sagt Erstautorin Angela Ku aus Matzuks Team. Bei anschließenden Wirksamkeitstests an Mausböcken untersuchte das Team die Beweglichkeit und Anzahl der Spermien sowie ihre Fähigkeit, Weibchen zu befruchten. Dabei kam der Wirkstoff nicht nur gut durch die Blut-Hoden-Schranke, sondern reduzierte tatsächlich die Beweglichkeit und Anzahl der Spermien sowie die Fruchtbarkeit der Mäuse schon bei niedrigen Dosen. Eine fast vollständige Verhütung wurde allerdings erst mit einer höheren Dosis erreicht.
Die Forscher fanden nach eigenen Angaben keine Anzeichen von Toxizität bei der Behandlung. Auch die Hodengröße veränderte sich nicht, ähnlich wie bei den STK33-Knockout-Mäusen und den Männern mit der STK33-Mutation. Dazu war die empfängnisverhütende Wirkung des CDD-2807-Wirkstoffs reversibel. Wurde der Wirkstoff wieder abgesetzt, erhielten die Mäuse die Spermienbeweglichkeit und -anzahl wieder zurück und waren wieder fruchtbar.
Volle Wirkung erst nach 3 Wochen
CDD-2807 hat dabei zwei mögliche Nachteile. Zum einen war der Wirkstoff in seiner schluckbaren Form weitaus weniger wirksam als durch die Bauchdecke gespritzt. Das müsse nicht unbedingt ein Nachteil sein, so Matzuk. Erweist sich die orale Gabe auch bei Primaten und Menschen als zu unverlässlich, wäre es denkbar, den Wirkstoff über ein Implantat zu verabreichen. Ob aber an höhere Säugetiere angepasste CDD-2807-Varianten oral ebenfalls schlechter wirken, müsse erst noch getestet werden. Dazu will das Team versuchen, das Molekül weiter anzupassen, damit es vielleicht doch in Pillenform einnehmbar ist.
Dazu sorgt der Wirkstoff bisher nicht sofort für volle Verhütung, sondern erst nach drei Wochen regelmäßiger Verabreichung. Ebenso lange dauert es, bis die volle Fruchtbarkeit nach dem Absetzen des Mittels zurückkehrt. Als Vergleich: Richtig und regelmäßig eingenommen sorgt die Pille für die Frau für eine sofortige Empfängnisverhütung, wenngleich „nur“ zu 99 Prozent und mit teils ernsten Nebenwirkungen wie einem erhöhten Thromboserisiko behaftet.
Ein weiterer Verhütungswirkstoff für den Mann, der sich noch in Tests befindet, ist ebenfalls weitgehend sofort wirksam. Das TDI-11861 genannte Mittel eines deutsch-amerikanischen Forschungsteams hemmt ein anderes Enzym namens lösliche Adenylylcyclase und hindert dadurch ejakulierte Spermien an der Fortbewegung. Damit können sie die Eizelle nicht erreichen und ihre Membran nicht durchdringen. Die Wirkung hielt in Mausversuchen zweieinhalb Stunden an. Damit würde sich dieses Mittel zum spontanen Einsatz eignen. 24 Stunden später war die normale Beweglichkeit und damit die Fruchtbarkeit der Spermien wiederhergestellt. Auch dieses Mittel wirkt allerdings bisher als Spritze besser, soll aber so angepasst werden, dass es auch in Pillenform gut wirkt.